Was in Politik und Gesellschaft so negativ auffällt.
(ein paar nachdenklich stimmende Beispiele auf all diesen Seiten)
"Das Elend in der Politik" (Personalauswahl als Ausdruck von Mittelmaß? Mangelnde Repräsentanz?)
u.a. Gedanken zu den "Grünen" und zur AfD
Der "Doktor"-Titel ("Dr.") eine vielleicht notwendige Voraussetzung -- aber für wen und wofür ... (besonderer Blick auf Politiker)
Beispiel Coronakrise:
Ehrlichkeit
Nachhaltigkeit
Glaubwürdigkeit
mit kurzem Rückblick auf die Logik in der Diskussion um die Sterbehilfe
Politik und Experten; Eingestehen von Nicht-Wissen; gut wäre jedenfalls: multum non multa ...
WERDEN WIR AUS "CORONA" LERNEN?
demnächst dann hier weitere Inhalte: auch mal auf die Unterseiten hier blicken ....
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Politik
"Wenn Du wissen willst, wer dich beherrscht, musst Du nur herausfinden, wen Du nicht kritisieren darfst."
(Voltaire)
Was in Politik und Gesellschaft (mir) so negativ auffällt.
(ein paar Beispiele auf all diesen Seiten)
zurück zur Oberseite von "Politik": So Nicht!
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"Unpolitisch sein heißt politisch sein, ohne es zu merken."
(Rosa Luxemburg)
Wir bauen uns eine Welt von vorprogrammierten Katastrophen.
Friedrich Dürrenmatt
Das Elend in der Politik
(Vorbemerkung: Weil bestimmte Sachverhalte nicht oft genug betont werden können, arbeite ich hier vielfach mit "Redundanz" -- freilich aus jeweils m.E. feinsinnig unterschiedenen Perspektiven / Wiederholungen.)
Es gibt viele Gründe, weshalb sich immer mehr Menschen von der herrschenden Politik und denen, die in Eigendefinition der Auffassung sind, hier zum Wohle der Gesamtheit tätig zu sein, abwenden. Wer hierbei bei Erklärungsversuchen für diese Misere an Geltungsbedürfnis, an Machtgier, an eklatante Selbstüberschätzung, an Schaffung und darauf folgender Bewahrung von Pfründen o.ä. denkt, wird sicherlich für viele in der Politik Tätigen zumindest einen Teil einer Antwort finden, gefunden haben.
Leider dürfte für sehr viele Menschen, also auch für Politiker und Politikerinnen, die Aussage von Hape Kerkeling zutreffen: »Komischerweise sind gerade die Leute, die überhaupt nicht an sich zweifeln, meist besonders untalentiert.« Und dieses mangelnde Verständnis an sachbezogener Selbsteinschätzung führt leider dann zu Verhaltensweisen (Gründe hierfür u.a.: Selbstschutz, Furcht vor Identitätsverlust, Machtverlust, Preisgabe von Pfründen jedweder Art), die einer Demokratie nicht würdig sind respektive ihrer Entwicklung schaden: Rechthaberei, Diskursunfähigkeit, Diffamierung von Andersdenkenden, Versagen bei Problemlösungen, Dampfplauderei, Phrasendreschen, Unfähigkeit auf konkrete Fragen konkret zu antworten, Seilschaftenbildung gegenüber Versuchen anderer sich der Wahrheit zu nähern u.a.m. Letztlich dann leider sogar bis hin zu: Lüge und Täuschung (dies in Bezug auf sich selbst und auf andere), ein Leben und Ausleben in Scheinwelten und (zumindest relativer) Wirklichkeitsfremdheit.
Wenn man Politik (freilich nicht nur sie!) aufmerksam beobachtet, findet sich immer wieder die Bestätigung für »Sagt, ist noch ein Land, außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen?« (Georg Christoph Lichtenberg). Falsch daran dürfte allenfalls Lichtenbergs Beschränkung auf Deutschland sein. Es handelt sich um ein grundsätzliches Problem: das richtige Setzen von Prioritäten! Statt auf andere Meinungen sachlich einzugehen, sich mit ihnen konstruktiv auseinanderzusetzen, geäußerte Kritik aufzugreifen, um Mißstände abzustellen und Regelungsbedarf zu fördern, werden nicht selten jene verunglimpft, diffamiert, gar sozial isoliert, welche auf Problemlagen verweisen, dies getreu dem Motto Kurt Tucholskys: »Im Übrigen gilt in Deutschland derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.«
Ein gutes Beispiel für das (zu häufige häufige) Versagen und Unvermögen der etablierten Kräfte ist aus meiner Sicht die Entstehung der AfD, in der Folge dann ihr (vorübergehend und in Teilen) relatives Erstarken bis hin zur Entwicklung des sogenannten »Flügels« dieser Partei.
Hätte man von Anfang an all die Probleme, die dann die AfD aufgriff und sich zu eigen machte (z.B. Euro-Problematik, Einwanderung und Migration), seitens etablierter Kräfte aufgegriffen, sich den Anforderungen gestellt, offen in die Auseinandersetzung einbezogen, dann wäre jene Partei vielleicht nicht einmal entstanden, zumindest bereits in ihren ersten Anfängen schon wieder in der Versenkung verschwunden.
Aber in rechthaberischer und extrem ausgrenzender Weise (Manie?) haben gerade die etablierten Parteien hier leider kläglich versagt, Formen einer »Politischen Korrektheit« befördert (damit wirkliche Diskurs verhindert!!!) und so erst den Raum geschaffen, der uns heute mit Leuten aus dem »Flügel« herumärgern läßt und den Verfassungsschutz beschäftigen muß.
Aber weshalb kommt es immer wieder dazu, daß extreme Positionen (seien sie »links«, seien sie »rechts« positioniert) derart Macht, Wirkung und Zustimmung bekommen können? Eine meiner Thesen hierzu: das liegt vor allem daran, daß exponierte Vertreter in Politik (und auch in den Medien, vor allem in den Öffentlich Rechtlichen) hier im Anregen von diskursiver Auseinandersetzung (damit meine ich Diskussionen, die den Anspruch »diskursiv« auch wirklich, also im ursprünglichen Sprachverständnis erfüllen!!!) kläglich versagen.
Hier jedoch der Bevölkerung (oder Teilen derselben) einseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, geht an der Wirklichkeit vorbei, denn der Großteil ist relativ leicht beeinflußbar, vor allem dann, wenn »Sündenbocktheorien« formuliert werden, also die Wirklichkeit auf Einseitigkeit (in welcher Richtung auch immer dann) verengt wird. Es wäre Aufgabe aller Kräfte, besonders derjenigen die stark im öffentlichen Machtbereich stehen, durch umfassende Informationsanstrengungen der Bevölkerung immer wieder vorzuleben, was Beteiligungskompetenz in einer Demokratie tatsächlich ausmacht (sozusagen als notwendige Bedingung!) und wie sich daraus dann (auch auf Fakten bezogene!) Partizipation zu gestalten hat. Performation und Partizipation sind hier zwei Seiten einer Medaille. Dieses gelingt vielleicht umso besser als man entsprechende Vorbildwirkungen zeigt, zeigen kann. Indem man der Bevölkerung vorlebt, wie sachliche und respektvolle Auseinandersetzungen in einer Demokratie abzulaufen haben.
Wer jedoch die Auseinandersetzungen in Politik, einigen Medien, vor allem in den öden Talksendungen von ARD und ZDF immer wieder erlebt, der sieht, auf welchem niederen Niveau die Auseinandersetzungen, das sogenannte »Ringen um die beste Lösungen« nicht selten dann tatsächlich abläuft ...
Und da darf man sich nicht wundern – nochmals der Hinweis auf die unsägliche Existenz der politischen Korrektheit! –, wenn ungelöste, beiseite geschobene Probleme Unruhe in der Bevölkerung, ja sogar Furcht und Ängste, auslösen und so ein Nährboden für radikale Kräfte geschaffen wird.
Kurz gesagt: Glaubwürdige und Vorbild zeigende Politiker und Politikerinnen sind eine notwendige Bedingung für die Vermeidung von extremen Bestrebungen; für narzißtische Befriedigung, für »Politik als ausschließliche Fähigkeit zum Broterwerb«, für Freund-Feind-Denken und andere destruktive Anwandlungen sollte (gerade auch) im politischen Kontext kein Platz sein!
Aber die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit sieht allzu oft anders aus!
Ich denke einen wesentlichen Teil des Dilemmas von Politikerinnen und Politikern hat der derzeitige EU-Außenbeauftragte Josep Borrell unter den Begriff »Wunschdenken« subsumiert und wie folgt konkretisiert: »Wenn Sie nur an Ihre Absichten denken und vergessen, was Ihre Fähigkeiten sind, ist das nicht Politik, sondern Magie.« (zit.n. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr.57 vom 7. März 2020, S. 2: Helfen, ohne Erdogan zu belohnen).
Viele in der Politik ihren (sicherlich in vielen Fällen unangemessen hoch bezahlten) Lebensunterhalt verdienenden Personen, ist das Erkennen von (gesellschaftlicher) Wirklichkeit offensichtlich nicht geläufig resp. kraft eigener enger Grenzen nicht möglich.
Daß deren Behauptungen, Thesen, Formen des Wirklichkeitsverständnisses dennoch weithin Anklang finden und vielfach als glaubwürdig / plausibel bei Teilen der Bevölkerung ankommen, liegt nicht zuletzt einerseits an der Praxis jeweiliger intersubjektiver Übereinstimmung durch Gleichgesinnte (innerhalb ihres jeweils häufig dann fast schon als sakrosankt gesehenen eigenen sozialen Kontextes) und andererseits an fehlender Bereitschaft und/oder mangelnder Kompetenz vieler Menschen, sich diskursiv, also auch mit Anstrengungsbereitschaft hinsichtlich des Erlangens von Grundwissen und Faktenmaterial, mit Problemlagen auseinanderzusetzen.
Kurz: man hat sich längst eigener Denk- und Sachklärungsanstrengungen entledigt ... (Dies offensichtlich auf beiden Seiten einer solchen Meinungsphalanx, was dann wiederum die gleichsam Fan-hafte, unreflektierte Annäherung bzw. Identifizierung mit seines- resp. ihresgleichen, die zugleich Gegnerschaften bis hin zu Feindbildern erzeugt, erklärt!)
Auffallend ist immer wieder eine fast schon chamäleonhafte Wandlung diverser Personen, die weit über die im Zuge eines individuellen Lebenslaufes üblichen und gesunden Entwicklungen und auch Wandlungen hinausgehen: kein Ergebnis von Erfahrungszuwachs, von Läuterung, von Abwägungen der Sachverhalte in Bezug auf ihre Problemlagen, stattdessen Rechthaberei, Formulieren von Wunschdenken, Dreschen von Phrasen, Diffamierungsorgien gegenüber anderen Meinungen und deren Vertretern, Ausleben von Irrationalität – dies alles mit den jeweils bekannten und vor allem im Ergebnis auch spürbaren kontraproduktiven Folgen für die Allgemeinheit.
Von der grundgesetzlich vorgesehenen (und geforderten) Unabhängigkeit eines Abgeordneten ist da allzu häufig nichts mehr zu spüren, vielmehr erlebt man Kadavergehorsam, Fraktionszwang, abziehbilderhafte Erscheinungsformen – also Faktoren, welche eine Demokratie alles andere als reifen lassen ...
Daß es davon natürlich auch wertvolle, herausragende Ausnahmen gibt, weiß man auch, freilich gehen jene – oft von der Alltäglichkeit politischer Grabenkämpfe zermürbt – in der Masse der gelebten, praktizierten Mittelmäßigkeit unter oder geben ganz auf, wenden sich wieder ihrem bürgerlichen Berufsfeld zu.
So mancher Saulus ward da in der Folge seines politischen Daseins schon zum Paulus! Diese oft merkwürdig anmutenden Wandlungen gingen da nicht selten weit über Aspekte eines lifelong-learnings, einer stimmigen Entwicklung sowie sachlicher Begründungszusammenhänge hinaus (Beispiele hierfür seien vor allem aus dem Grundsatz »de mortuis nihil nisi bene« ausgespart ...), sodaß in derartigen Veränderungen / Verzerrungen / Verwandlungen schon der Gedanke an ausschließlicher Machtorientierung naheliegt, viel weniger jener an eine moralisch-ethische Läuterung ...
Aus meiner Sicht mutet es schon zumindest merkwürdig an, wenn Politiker, die zeitlebens auf tatsächliche oder vermeintliche Gegner eingedroschen haben, sich plötzlich in einer Art von »Altersmilde« gleichsam fast schon eines philosophischen Gestus und Habitus befleißigen, dies von einem Sprachduktus begleitet, der nicht selten an den sprichwörtlich Kreide gefressen habenden Wolfes aus dem Grimmschen Märchen erinnern läßt. Die Frage bleibt: Wie glaubwürdig sollen denn diese Wendehälse denn sein?
Damit sei nicht behauptet, es könne keine Änderung, keine positive Entwicklung im Lebensgefüge eines einzelnen geben. Gewiß gibt es das auch! Aber es heißt hier trotzdem schon, ideologische Analysen vorzunehmen, die »Stimmigkeit« zu ergründen, weiter Zweifel an der Aufrichtigkeit zu haben – dies bitte sicherlich auf der Grundlage einer Offenheit der Betrachtungsweise, also der Anwendung jenes Prinzips wie wir es aus dem Verhältnis von (jeweils bis zur Refutation gültigen) Theorien und dem Aspekt der Falsifikation kennen.
Ich möchte hier – unter so vielen möglichen Aspekten, die den »Glauben an Politk« unterminieren – besonders den Gesichtspunkt der Auswahl von führenden Politikern und Politikerinnen hervorheben: ich vermute, daß bei vielen Bürgern (ich beziehe stets das weibliche Pendant ein, man erspare mir die m.E. oberflächliche genderhafte Besessenheit und entsprechend sprachpolizeiliche Bevormundung!) es nicht gerade gut ankommt, wenn in den jeweiligen Parteien das Führungspersonal (dieses steht ja zunächst immer im Fokus!) zu wenig an Vorbildswirkung liefert.
Diesen Gedanken sollte man nicht einfach mit dem Argument (häufig von denen vorgetragen, die keine besonders "tolle" Berufsbiographie vorzuweisen haben!), Politik solle den Querschnitt eines Volkes repräsentieren, beiseite wischen. Denn erstens stimmt es ohnehin nicht, daß in den Parlamenten, in der Politik, das Volk in diesem Sinne sich repräsentiert wiederfinden kann, und zweitens verlangen gewisse Führungsaufgaben sicherlich dann doch auch entsprechende besondere Kompentenzen (vergleichbar einer jeweils geforderten Spezialisierung in Berufsfeldern), die dann auch Ergebnis eines entsprechenden Ausbildungs- und Werdeganges sein sollten / müssen!
Für mich persönlich gilt jedenfalls: Respekt und entsprechende Achtung, somit auch Vertrauen in deren (politische) Kompetenz, vermag ich nur gegenüber jenen zu erbringen, die durch ihre eigene Lebensbiographie gezeigt haben (und dies immer wieder zeigen!), daß sie in ihrem persönlichen Leben etwas geleistet haben, dabei Durchhaltevermögen, wo notwendig auch: Korrekturbereitschaft, zeigen und sich wirklich um Erweiterung des eigenen Horizonts erfolgreich bemüh(t)en, dabei sich allen Fragestellungen nicht verweigern (i.e.: nicht so tun, als wüßten sie bereits da und dort Bescheid, also keine Kompetenzanmaßung betreiben!) und sich auf der Grundlage ordentlicher Fundamente wirklich um das bemühen, was unter "Diskurs" tatsächlich zu verstehen ist! Dabei ist es für mich jedenfalls unerheblich, welcher (berufliche) Bildungsweg beschritten wird, nur konsequent und erfolgreich hat dieser zu verlaufen, stets vom intensiven Bemühen um Weiter- und Fortbildung begleitet.
(Im Parlament fehlen leider ohnehin viel zu viele Vertreter, welche handwerksorientierte Bildungsgänge beschreiten, und die Anzahl derer, die man landläufig oft mit "verkopft" bezeichnet ist deutlich überrepräsentiert; dabei ist zu beachten, daß gerade der Begriff "verkopft" allein nicht schon immer etwas über hohe Geistesleistung hinsichtlich geistigen Werdegangs aussagt! Im Klartext: Es gibt da durchaus auch einige "Bildungsscheiterte". So konnte, sicherlich ironisch kritisierend, gleichwohl zutreffend, sciencefiles.org am 15. August 2015 schreiben: "Deutschland ist eben doch eine durchlässige Republik. Zwar kommen nach wie vor keine Arbeiter ins Parlament, aber jede Menge Bildungsgescheiterte." Belegbar ist dieser Sachverhalt ohne große Rechercheanstrenungen ...)
Ohne jegliche Abstriche teile ich die Auffassung des verstorbenen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der am 19. 04. 2011 gegenüber dem "Zeitmagazin" gesagt hat: "Jemand, der in die Politik geht, ohne einen Beruf zu haben, kann mir gestohlen bleiben. Ich kenne leider mehr als genug von denen!" Und da gibt es leider schon eine nennenswerte Anzahl jener, die nicht besonders (oder gar nicht) geglänzt haben. Was es eigentlich nicht geben sollte und dürfte: den Typus "Berufspolitiker", vor allem darunter nicht jene, die außerhalb der Politik noch nie beruflich Fuß fassen konnten ... Und da wiederhole ich meine Frage: Wie kann es denn sein, daß Parteien es zulassen, daß Menschen mit einer recht erfolglosen "Berufsbasis" als "Ersatz" dafür in die Politik gehen und dort dann Karriere machen können?! Darf denn die sogenannte "Ochsentour" (innerhalb einer Parteiorganisation) bereits hinreichende Bedingung für politischen Aufstieg sein? Für mich ist die Antwort eindeutig: Nein! Niemals" Da muß schon noch etwas mehr an Substanz als Grund- und Ausgangslage vorhanden sein. Helmut Schmidt kritisierte in dem Artikel übrigens einen weiteren Mangel in der politischen Auseinandersetzung, nämlich den falscher Auseinandersetzung mit Problemlagen: so stellte er fest, deutsche Spitzenpolitiker erlägen mitunter der "ungeheuren Versuchung, dem Publikum nach dem Mund zu reden und das wegzulassen, was die Leute womöglich nicht hören wollen." Und wer sich so verhält, zeigt m.E. eigene Unfähigkeit zur diskursiven Auseinandersetzung, nicht einmal eine zielführende Debatte über ein Thema wird so möglich, zudem zeigt sich aus meiner Sicht hier eine Persönlichkeitsstörung (Kompensationsprobleme? Identitätsmangel? o.ä.) sowie letztlich ein Hang zur Unwahrheit. Demokratie kann so aber nicht gut funktionieren.
Um nicht falsch verstanden zu werden: ein jeder, eine jede, hat das Recht in die Politik zu gehen (schon allein wegen der Forderung nach angemessener Repräsentanz, denn schließlich sollen auch jene "ihre" Vertretung im Parlament vorfinden, die ihrem jeweiligen eigenen sozialen und beruflichen Status entspricht!); wem dann aber mit einem derart eingeschränktem (Aus-)Bildungsgang der Weg in höchste Parteiämter geebnet wird, dem wird man (in der breiten Bevölkerung) wohl kaum die Achtung, den Respekt, schon gar nicht Vertrauen in allgemeine Kompetenz entgegenbringen können, wie es in einer pluralistisch ausgerichteten Demokratie notwendig wäre ... Viele eklatante Fehlentscheidungen in Ministerien und anderen Gremien zeigen immer wieder, daß es um die notwendige Kompetenz nicht immer bestens bestellt ist -- das Maut-Desaster ist hier nur ein Beispiel unter leider sehr vielen. Mit einem "errare humanum est" sollte das alles jedenfalls nicht mehr entschuldigt werden. Auch nicht mit einem "Was schert mich mein Geschwätz von gestern!", schon gar nicht durch ein Ausbreiten des Mantels aus Vergessenheit und Verwirrung, getragen aus falscher (Partei-)Solidarität! Nein: Hier fehlt ein wirksames Instrumentarium, Versager auch zu entsprechender Verantwortung, auch: zur Haftung, zu zwingen.
Oft ist es bei jenen (mit m.E. unzureichender Berufsbiographie) in "vorderster Front" dann so, daß sie für all diejenigen, die Sprache und Äußerungen nicht auf Gehalt und Tiefgang prüfen, sondern sich stattdessen von jenen Geistern "einlullen" lassen (vielleicht auch aus Bewunderung, weil man selbst eben nach eigener Einschätzung nicht so eloquent wirkt), als "hochkompetent" und auch noch als umfassend "qualifiziert" gelten. Denn einige von jenem Kreis können tatsächlich "gut aufschwätzen", beherrschen die Klaviatur der Phrasendrescherei und Satzlawinen durchaus; aber was sollte das denn an Zustimmung abnötigen, wenn inhaltlich meistens dann nicht einmal der sprichwörtliche "heiße Dampf" aus den faktisch alles andere als begnadeten Mündern strömt ... In so vielen Fällen sollte eigentlich entscheidend wirksam werden: si tacuisses ... (weiter sei dies aber nicht zitiert, denn dann würde man jenen auch noch fälschlicherweise eine philosophische Grundbasis zuschreiben; da gilt eben: was man nicht war, kann man logischerweise auch nicht bleiben ..., also hier wird's nix mit "philosophus mansisses!)
Und was hat Deutschland schon alles für wirklich herausragende Politiker gehabt, die sehr stolz auf ihren (nichtakademischen) Werdegang sein konnten und in ihrem politisch-beruflichen Wirken höchste Qualität zeig(t)en; stellvertretend für eine doch stattliche Anzahl seien hier genannt: Georg Leber (SPD) als Verteidigungsminister, Walter Arendt (SPD) als Arbeitsminister (er war Bergmann), Alex Möller (SPD) als Finanzminister (er begann als Eisenbahner seine Berufslaufbahn), Egon Franke (SPD), der seinerzeit für innerdeutsche Beziehungen zuständig war, Johannes Rau (SPD), Ministerpräsident in NRW und Bundespräsident, der Verlagsbuchhändler gelernt hatte, u.a.m. -- damals war sie allerdings noch das: eine "Arbeiterpartei", heute existiert sie als solche längst nicht mehr, lediglich der Begriff wird immer noch zur Beschwörung besserer Zeiten auf dem als Volkspartei untergehenden Schiff-SPD bemüht. Ein erfolgloses Unterfangen, wie Wahlergebnisse immer wieder zeigen. Zynisch könnte man auch sagen: zu Recht geht es mit jener EX-Arbeiterpartei bergab. Aber nicht viel besser steht es um die CDU / CSU, auch wenn sie gerade zu Corona-Zeiten wieder einen (eigentlich durch nichts zu rechtfertigenden -- wahrscheinlich sehr kurzlebigen --) Aufschwung erlebt: wer einseitig sich profiliert, der geht als "Volkspartei" unter (man denke nur an den Abstieg der Christdemokraten in Italien), die Berufung auf Werte funktioniert auf längere Sicht eben nur dann, wenn sie vorbildhaft gelebt werden. Vorbei sind in der CDU /CSU jene Zeiten, wo tatsächlich erfolgreiche Werktätige aus dem Volke eine Parteikarriere machen konnten. An die FDP mag man in diesen Kategorien als Maßstab erst gar nicht denken, weil überflüssig. Und wie steht es um Bündnis90 / Die Grünen? Auch bei all jenen wird man nicht besonders fündig, wenn man breitaufgestellte Berufs-Qualität an Politikern und Politikerinnen sucht ... (siehe Box unten)
Hier ein gutes Beispiel, wie jemand sich "hochgearbeitet" hat, dabei jede Menge vielfältige Erfahrung sammeln konnte und, darauf aufbauend, politisch erfolgreich tätig werden konnte: Die Linke hat mit Bodo Ramelow einen erfolgreichen und kompetenten Politiker, der die "harte Tour" des gesellschaftlichen Aufstiegs gegangen ist, also wirklich "einen erfahrenen und erfolgreichen Mann aus dem Volke" innerhalb des Politgeschehens verkörpert. Ein Mann der Helmut Schmitdts Forderung nach beruflicher Qualifikation vor Eintritt in das politische Geschäft sicherlich hinreichend erfüllt! (s.o.)
Ramelow ist am 16. Februar 1956 in Osterholz-Scharmbeck geboren, er stammt also aus dem "Westen". Sein bildunsmäßiger und beruflicher Werdegang: Hauptschule, Kaufmann im Einzelhandel, Mittlere Reife, kaufmännische Fachhochschulreife, Substitut, Filialleiter, Ausbilder-Prüfung (gemäß: Ausbilder-Eignungsverordnung), Gewerkschaftssekretär, Landesvorsitzender der Gewerkschaft HBV (heute: ver.di) in Thüringen, Aufsichtsratsvorsitzender der Wohnungsbaugenossenschaft Zukunft eG in Erfurt. Von 2005 bis 2009 war Ramelow Mitglied des Deutschen Bundestages, im Jahr 1999 wurde er in den Thüringer Landtag gewählt, 2014 dann dort im zweiten Wahlgang zum deutschlandweit ersten Ministerpräsidenten der Partei Die Linke gewählt. Ich bin gewiß kein Anhänger der Linken (wie auch keiner anderen Partei!), aber ich beurteile Personen stets nach ihrem anständigen Auftreten, nach Diskussionsverhalten, nach Umgang mit anderen (vor allem mit Mitbewerbern und "politischen Gegnern"), nach gezeigter (und nicht deklamatorisch behaupteter) Sachkompetenz, nach Stringenz und Stimmigkeit, vor allem auch: nach Lebenserfahrung, um einige der wichtigen (aus meiner Sicht: notwendige, sicherlich noch nicht hinreichende!) Merkmale für gute Politiker zu nennen. Und vor diesem Hintergrund erscheint mir Bodo Ramelow als beispielgebend, er flößt Achtung ein und verdient Respekt! Leider sehen das viele, vor allem seine Kontrahenten aus anderen Parteien, anders. Ist es Neid angesichts dieser erfolgreichen Biographie und der doch sehr herausragenden politischen Kompetenz? Bei einigen sicherlich ... (Natürlich spielt bei Angriffen gegen Ramelow -- wie auch gegen andere häufig angegegriffe Politiker und Politikerinnen aus der "Gegenseite" -- da der eigene Parteien-Kadavergehorsam auch eine starke Rolle, somit also auch der Unwillen und / oder die Unfähigkeit über den eigenen Tellerrand hinauszusehen.)
Also dann Die Linke als Vorbild für parlamentarische Vielfalt? Sicherlich nicht! Denn eine Schwalbe macht noch lange keinen Sommer (mehrere übrigens auch noch nicht; so schätze ich durchaus auch die Politikerin der Linkspartei Sahra Wagenknecht ob ihres erfolgreichen Bemühens, sich intensiv Sachverstand anzueignen und entsprechende Auseinandersetzungen diskursiv zu führen -- leider eher eine Seltenheit im Parlament!)
Oder dann die AfD als Beispiel für angemessenere Repräsentation der Gesamtbevölkerung im Parlament? Dieser Partei wird von allen anderen (allerdings hat Bodo Ramelow hier in einer Personaldebatte im Jahr 2020 im Thüringer Landtag wiederum ein sehr positives Beispiel seiner politischen Kompetenz und Souveränität gesetzt, obwohl der wahrlich mit der AfD nichts am Hut hat: er achtete damit lediglich demokratische Gepflogenheiten, die den bislang meisten Vertretern im Bundestag bei der Wahl eines Vizepräsidenten aus Reihen der AfD offensichtlich fremd zu sein scheinen ...) eher gar schon feindselig entgegengetreten. Sie wird weitgehend ignoriert, nicht in politische Verfahren eingebunden und vehement angegriffen bis hin zu Denunziationen, überschüttet mit Beleidigungen bis hin zu offenkundigem Haß.
Zugegeben, die AfD hat eine Entwicklung genommen (vor allem mit den Repräsentanten des sog. Flügels), die bestimmt nicht nur mir wirklich mißfällt. Nur mir ist klar: "ich" bin hier nicht der Maßstab zur Beurteilung, welche Partei in der Parteienlandschaft genehm sein darf und welche nicht. Und dieses "Aussortieren" kann sich übrigens nur auf das Wahlverhalten und die sachliche diskursive Auseinandersetzung hinsichtlich der AfD (aber auch jeder anderen Partei!) beschränken, nicht jedoch auf Behinderung oder gar Verbot ihres Wirkens. Die Entscheidung darüber ist ganz allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten; dieses alleine entscheidet darüber, ob eine Partei demokratiefeindlich, verfassungswidrig, ist oder nicht. Wer irgendeiner Partei, die "erlaubt" ist, das Recht auf ihr Wirken, auf ihr Versammeln, auf ihr Tagen beschränkt, dies häufig mit massiven Drohungen verbunden (z.B. bei der Überlassung von Räumlichkeiten) bewegt sich selbst auf einer antidemokratischen Basis. Kurz: Die AfD hat bis zu einem etwaigen Verbot -- und solange dies nicht erfolgt ist, bleibt sie eine "demokratische" Partei! -- dieselben Rechte und auch die notwendige Voraussetzungen zu ihrem politischen Wirken zu erfahren wie alle anderen auch. So wenig dies einem auch gefallen mag.
Gerade im Umgang mit der AfD zeigen viele Vertreter und Vertreterinnen der Altparteien (und zu diesen gehören mittlerweile auch Bündnis 90 / Die Grünen, die wohl längst vergessen oder verdrängt haben, wie ihnen in ihren Anfängen seitens damaliger Altparteien geschah ...) eine geradezu widerliche Vereinfachung und unsachliche Verhaltensweisen: Polemik, Beleidigung, Verzerrung, häufig Verkürzung in Darstellung, (wohlgewählte) Vereinfachungen von Aussagen, Umgang der an den Begriff "schlechte Kinderstube" erinnert, u.a.m. -- das ist ein Teil des Verhaltensrepertoires der sich auf der Seite der Besseren, der Rechthabenden, ja: der Besserwisser befindlichen oder sich dort wähnenden Vertreter und Vertreterinnen der Altparteien. Warum nicht akzeptieren, daß jene Politiker der AfD nun mal auch gewählt worden sind? Warum nicht akzeptieren, daß ein Unterschied zwischen (auch hier unbedingt notwendiger!) sachlichen Auseinandersetzung oder häufig gübter Wörterschwadroniereien besteht? Warum nicht akzeptieren, daß man das Gepöbel und die Verkürzungsstrategien so mancher AfD-Anhänger besser nicht nachahmt, weil man sich damit nur auf deren niedriges Niveau begibt?!
An dieser Stelle scheint mir ein kurzer Exkurs zur Erinnerung geboten. Wie bzw. weshalb ist die AfD entstanden? Die damaligen Gründer sahen erhebliche Probleme durch die Aufgabe der DM und der Einführung des Euro! (Und diese Probleme haben sich ja all den Jahren immer wieder gezeigt, also bewahrheitet.) Von den Altparteien wurden sie von Anfang an geleugnet bzw. in einer Europa-Euphorie überhaupt nicht gesehen. (Auch ich war und bin für Europa, weigere mich jedoch im Gegensatz zu einigen "Wunschdenkern" so zu tun, als gäbe es da nicht erhebliche und ernsthaft aufzugreifende Probleme, deren Nicht-Bewältigung eher den Europa-Gedanken konterkariert und die Umsetzung, das Ziel: Europa, letztlich gefährdet!) Die damalige AfD griff also genau diese Problemlagen auf, leider ohne großen Erfolg, denn zu groß war die Phalanx all jener, die jegliche Problemfragen in einer Art intersubjektiver Übereinkunft unter den Teppich kehrten. Große Teile der Bevölkerung waren da allerdings nicht so optimistisch wie Waigel, Merkel und Co. Jene Kritiker bzw. Skeptiker wurden allerdings von den Altparteien nicht gehört, nicht ernst genommen, ja häufig geradezu als "Ewiggestrige" und "Friedensgefährder" beschimpft. Und da tauchten dann namhafte Kritiker der doch recht oberflächlich wirkenden Euro-Euphorie auf, zeigten jede Menge von Sachproblemen auf, wiesen auf im Vorfeld zu klärende Fragen hin, gründeten -- weil ihre Bedenken von den Altparteien nicht einmal aufgegriffen wurden! -- die AfD (Alternative für Deutschland), gaben somit all jenen, die all diese Bedenken teilten eine politische Heimat. Meine These: Hätten die Altparteien seinerzeit die Kritiker und Kritikerinnen integriert, deren Bedenken aufgegriffen und ernst genommen, wäre die AfD überhaupt nicht entstanden. Anders gewendet: das Unvermögen von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke "auf das Volk zu hören, dessen Bedenken ernst zu nehmen", sind mitverantwortlich dafür, daß wir uns nun mit einer längst sich von ihren ursprünglichen (rein sachbezogenen) Ideen entfernt habenden AfD auseinandersetzen müssen. Diese Auseinandersetzung darf jedoch -- und das gebietet demokratische Gepflogenheit -- nicht mit Drohung, mit Gewalt, mit Falschdarstellungen und Verleumdungen erfolgen, sondern muß inhaltlich geschehen, dies stets auf demokratischem Fundemant! Und wer die AfD als verfassungsfeindlichf ansieht und sie entsprechend behandelt, der oder die soll gefälligst den Weg zum Bundesverfassungsgericht wählen. Es kann nicht angehen, daß ein Großteil der Wähler einer bislang als demokratisch geltenden Partei ausgegrenzt, "verdächtigt" und diffamiert werden. (Das traurige Spiel der Altparteien bei der Verhinderung der Wahl eines AfD-Vizepräsidenten des Bundestages zeigt das Dilemma nur allzu deutlich; in diesem Zusammenhang sollte man ruhig auch mal überprüfen, ob denn alle dorthin gewählten Verteter / Vertreterinnen diesem hohen Amt wirklich würdig waren / sind. Gerade einige Äußerungen von Claudia Roth in der Vergangenheit erscheinen mir hier problematisch ...)
Und für all diejenigen, welche mit der AfD sogleich den Untergang des Abendlandes (das für viele allerdings ohnehin längst nicht mehr der tatsächliche Maßstab zu sein scheint!) beschwören: diese AfD wird sich, so meine These -- und die sorgfältige Beobachtung der Entwicklung innerhalb dieser Partei deutet darauf hin -- ohnehin von selbst erledigen, nicht zuletzt weil sie sich auch selbst "zerlegt".
Aus meiner Sicht hat die AfD nur eine einzige Möglichkeit, will sie in diesem Lande überleben, nämlich bürgerlicher zu werden, sich von Extrempositionen verabschieden und schwerpunktmäßig sachlich die Probleme aufgreifen und vertreten, welche von den anderen im Bundestag existierenden Parteien weitgehend oder gänzlich unbeachtet blieben und bleiben. Zu so einem "Aufgreifen" gehörte allerdings dann stets auch die Präsentation von realisierbaren Umsetzungsstrategien jeweils in organisatorischer als auch finanzieller Hinsicht (allerdings zwei Felder, auf denen auch die Altparteien immer wieder versagen und sich dabei überwiegend oft mit Phrasendrescherei davonstehlen ...).
Gleichwohl möchte ich hier ergänzend die Zusammensetzung der AfD-Bundestagsfraktion bezüglich Vorbildung kurz aufzeigen. Es fällt auf, daß bei der AfD (den "Blauen") die Qualifikationen derzeit noch breiter gestreut sind als bei den Altparteien. Die AfD hat 92 Abgeordnete, davon sind 22% Juristen, 17% Wirtschaftswissenschaftler, 12% Lehrer / Pädagogen, 9% (meist ehemalige) Soldaten, 12% Ingenieure, 5% IT-Spezialisten, ferner Naturwissenschaftler, Mediziner, Piloten, Polizisten, Landwirt, Malermeister. 31% der AfDler haben einen Berufsabschluß, fast 22% sind promoviert. Wir sehen also, bei der AfD zeigt sich die Bandbreite der Gesellschaft deutlicher als bei den anderen Parteien, die Tätigkeiten reichen vom höheren Staatsbediensteten über Berater, Unternehmer und Handwerksmeister bis zum Angestellten.
Hier jedoch daraus folgern, die AfD sei grundsätzlich der "bessere Boden" für eine breiter gestreute Repräsentanz, wäre falsch. Bei der AfD handelt es sich um eine relativ neue Partei und alle anderen Parteien (von den Grünen und der FDP vielleicht einmal abgesehen) hatten diese breitere Streuung in ihren Anfangsphasen (bei der SPD dauerte diese Phase allerdings -- erfreulicherweise! -- eine lange, lange Zeit!) ebenfalls. Die Annahme, daß hier eine strengere, damit enger gezogene Selektierung, im Laufe der parlamentarischen Parteienarbeit eo ipso erfolgt (Systemzwänge?), ist durchaus gerechtfertigt. So erwarte ich diese Verengung auch bei der AfD, sollte sie dafür überhaupt noch lange genug bestehen ... Kurz: Wer jetzt sich der AfD zuwendet, weil er in dieser Partei das Volk langfristig angemessener vertreten wähnt, der dürfte einem Irrglauben anhängen. (Übrigens findet man in der AfD mehrere ehemalige CDU-Mitglieder, die sich wegen der Richtungsänderung innerhalb der CDU der AfD zugewendet haben.)
Und wie sieht es im derzeitigen (viel zu großen und viel zu teueren!) Bundestag mit der berufsbezogenen Herkunft der Abgeordneten aus? Das schauen wir uns hier einmal an:
Beruflicher Hintergrund der Bundestagsabgeordneten als Hinweis auf diesbezüglich (un-)angemessene Repräsentanz des Volkes:
Während 81,9 Prozent der Abgeordneten einen Hochschulabschluß aufweisen, haben diesen in der Gesamtbevölkerung nur 17,6 Prozent. (Stand 2017) Die "Welt" hatte die Profile von 709 Abgeordneten entsprechend ausgewertet, vier Abgeordnete wollten sich trotz mehrfacher Nachfrage (sic!) nicht zu ihrem Abschluß äußern und wurden dann entsprechend nicht bewertet.
Vergleicht man relativ zur Zahl der Abgeordneten, dann sind die meisten Akademiker in der FDP-Fraktion (87,5%); bei den Grünen sind es 85%, in der Union 84,5%, in der AfD 79,7%, bei den Linken 78% und in der SPD 76,8 Prozent. (4,9 Prozent der Abgeordneten -- also: 35 -- gaben bei dieser Erhebung an, keinen Abschluß zu haben.)
Es wurde auch nach den Studienabbrechern gefragt: hier liegen Die Grünen an der Spitze (8 Abgeordnete, also 11.9%), knapp dahinter Die Linke (7 Abgeordnete, also 10,2%). Bei der AfD haben 5 Abgeordnete (5,6%), bei der SPD 6 Abgeordnete (3,9%), bei der FDP 3 Abgeordnete (3,7%) und in der Union 5 Parlamentarier (2%) jeweils ihr Studium abgebrochen. Bei Promotionen sah es folgendermaßen aus: Die meisten bei den Grünen (20,8%), die wenigsten bei Die Linke (13,2%). Bei Habilitationen führte -- relativ zur Fraktionsstärke -- damals die AfD (4 Professoren, 5%); die Union mit ihren 6 Professoren kam auf 2,4%, die FDP hatte 2 Habilitierte (Quote 2,5%), die SPD ebenfalls (Quote: 1,3%). Die Grünen hatten einen Habilitierten, die Linkspartei keinen.
(Quelle: report-K INTERNETZEITUNG KÖLN vom 15.06.2019, entnommen 4.4.2020)
Die Zahlen zeigen jedenfalls deutlich: Um einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung handelt es sich bei der Zusammensetzung des Bundestags jedenfalls nicht. Hier wirkt offensichtlich ein Selektionsmechanismus, der für die parlamentarische Demokratie nicht gerade förderlich ist. So ist es durchaus verständlich, daß der gelernte Maschinenschlosser mit Hauptschulabschluß Karl-Josef Laumann (CDU) -- ein sehr erfolgreicher Politiker und derzeit zudem Arbeitsminister in NRW -- sich über den hohen Anteil von Akademikern im Bundestag kritisch äußert: er wünscht sich dabei nicht nur eine Mischung der Berufe, sondern auch von Frauen und Männern, Alten und Jungen, von Stadt- und Landbevölkerung und ergänzt "Die CDU kann nur auf Dauer Volkspartei bleiben, wenn sich der Blickwinkel nicht verengt -- zum Beispiel auf die Sichtweise von Juristen". Weiter betont Laumann: "Die Politik lebt davon, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Lebenswelten unser Zusammenleben gestalten." Wie richti, wie weise diese Aussage! Und genau das Gegenteil ist jedoch längst, spätestens seit 2015, geschehen: die CDU ist -- da sollte man sich durch den vorübergehenden Aufwind angesichts der Corona-Krise nicht täuschen lassen -- keine "Volkspartei" mehr, sie hat dafür zu viele Problemlagen aus den Augen verloren bzw. weggedrängt.
Auch Annalena Baerbock (Bündnis90 / Die Grünen), Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete, betont, das Parlament sollte "auch ein Spiegel der Gesellschaft sein -- mit Blick auf Geschlecht, Berufe und Schulabschlüsse, auf Alter und Herkunft" und alle Fraktionen sollten daran arbeiten, "dass hier mehr Vielfalt entsteht". Wer wirklich an Demokratie interessiert ist, müßte ihre Forderung da teilen (egal wie man sonst zu ihrem politischen Auftreten steht, das leider nur allzu oft der Devise multa-Darbietungen statt einer der Sache eigentlich angemesseneren multum-Präsentation zu gehorchen scheint).
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Sehen wir uns doch einmal die Abgeordneten von Bündnis 90 / Die Grünen einmal genauer an, damit wir erkennen können, ob die o.g. Forderung Annalena Baerbocks nach angemessener Repräsentanz wenigstens in ihrer eigenen Partei Früchte trägt. Dem ist leider nicht so, wie Frank Hennig in TICHY'S EINBLICK vom 4. Januar 2018 (entnommen am 4. April 2020) aufzeigt: "Ein Blick in die Biographien der jetzt 67 Abgeordneten von Bündnis 90 / Die Grünen zeigt eine Gruppe mit spezifischen Lebensläufen und Karrieren, eine Mischung verschiedener Qualifikationen, die sich am Ende doch ähneln und in der sich das Spektrum der Gesellschaft nicht wiederfindet." (Hervorh. durch Fettdruck, d.V.) Das läßt sich durch die Zusammensetzung leicht belegen: 27% Politikwissenschaftler, 19% VWLern und BWLern, 16% Soziologen, 13% Pädagogen und 12% Juristen, sowie Verwaltungswissenschaftler, Religionswissenschaftler, Mediziner; Landschaftsökologen, Biologen, Philologen, Philosophen, Psychologen, Germanisten, Umweltwissenschaftler, Religionswissenschaftler und Kunstwissenschaftler. Frank Henning: " Immerhin sieben von ihnen (10,5%) haben einen Beruf erlernt. Oft haben Studienrichtung und –abschluss, so vorhanden, nicht viel mit der später ausgeübten Tätigkeit zu tun. Zumeist ausgeübte Tätigkeiten waren Politiker, Projektmitarbeiter, Kulturreferent, Büroleiter, wissenschaftlicher Angestellter, Lehrer/Referent/Dozent, Verwaltungsmitarbeiter, Anwalt, Manager, studentische Hilfskraft. Eine Polizistin mutet schon exotisch an." Ein gutes Zeugnis, was Abbild der Gesellschaft angeht, kann man Bündnis 90 / Die Grünen da wahrlich nicht ausstellen. Allerdings, wie ich meine, auch kein herausragendes hinsichtlich Problemlösungskompetenz in gesellschaftlich-politischen Angelegenheiten.
In seiner Abhandlung erwähnt Frank Henning auch die Vergütung von Abgeordneten: 9.541,74 Euro monatlich, hinzu kommt noch eine steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von 5.318,38 Euro. Und er vertritt die Ansicht, die ich ebenfalls teile, daß "der größte Teil der Grünen-Abgeordneten im Leben außerhalb der Politik nicht annähernd das Einkommen erzielen können (würde), das ihnen der Abgeordnetensitz einbringt."
Dies festzustellen hat nichts mit Neiddebatte o.ä. zu tun, sondern verweist lediglich darauf, wie attraktiv für manche doch so ein Sitz im Parlament sein kann, besonders für jene, die zuvor im "normalen" bürgerlichen Leben nicht annähernd eine derartige Existenzsicherung vorzuweisen hatten. Da stellt sich dann sicherlich bezogen auf einige Abgeordnete dann die Frage, ob hier Ethos und politische Verantwortung handlungs- und denkleitend bzw. sinnstiftend waren oder eher die Aussicht auf Macht, Pfründe und Kompensation von Geltungsbedürfnissen. Nun wäre es natürlich unfair, allein Die Grünen hier zu kritisieren; immerhin verdanken wir dieser Partei, daß sie energisch für eine Änderung des Umweltbewußtseins in unserer Gesellschaft mitverantwortlich sind und andere Parteien (die seinerzeit die Gründen geradezu verteufelten!) hier indirekt zwangen (wohl auch, weil jene den Verlust von Wählerstimmen fürchteten), den eigenen Umgang mit der Natur und Umwelt zu überdenken. Wir sind da leider (politisch und gesellschaftich) längst noch lange nicht auf dem richtigen Weg -- trotz einiger Korrekturen --, aber zumindest ein relatives Umdenken hat auch in anderen Parteien (mal mehr, mal weniger zielführend) stattgefunden, sodaß die Grünen ihr diesbezügliches Alleinstellungsmerkmal weitgehend verloren haben. So kann Frank Henning hier durchaus mit einigem Recht kritisch über die Grünen urteilen, daß sie "auf Grund ihres ökoesoterisch praktizierten Klimaschutzes den Umweltschutz aus dem Auge verloren haben und andere Aspekte wie Wirtschaft und Soziales ohnehin nur am Rande betrachten." Einfacher ausgedrückt: Die Grünen sind längst nicht mehr das, was sie (im positivsten Sinne) einmal waren, sie haben sich etabliert und den politischen Handlungsstrategien der anderen Altparteien sehr angenähert ... Vor allem auch im Dreschen von Phrasen und Verkünden von Oberflächlickeit sowie im häufigen Zeigen mangelhafter Gesprächsdisziplin und im lautstarken Diffamieren von "Gegnern" (dabei sind sie einmal für Sachlichkeit und Diskurs angetreten ...). Alternativ in einem qualitativen Sinn ist auch bei ihnen nicht mehr viel übrig geblieben, so mein Fazit; auch lassen sie sich viel zu sehr durch Wunschdenken leiten, trüben so immer wieder auch ihren Blick für die gesellschaftliche Realität. (Ich habe diese Partei übrigens von ihren ersten Minuten bis heute sehr aufmerksam, damals in der Gründungsphase auch sehr hautnah und wohlwollend, verfolgen können.)
Besonders kritisch urteilt Frank Henning in seinem Fazit das Agieren der Bundestagsabgeordneten (dabei hat er offensichtlich die damals doch recht lange Phase der Regierungsbildung im Sinn): "709 Abgeordnete im Bundestag gelten derzeit nach Definition der Bundesagentur für Arbeit (sic!, d.V.) als unterbeschäftigt. Sie befinden sich in einer „Maßnahme“ namens Selbstfindung. Die einen beschäftigen sich mit der Regierungsbildung. Die anderen können sich über leicht verdientes Geld freuen und proben parlamentarisches Handwerk wie Argumentieren und Euphemisieren, Netzwerken und Intrigieren, Tricksen, Täuschen und Skandalisieren." (ebd.) Man kann da wirklich nur hoffen, daß es nicht ganz so schlimm war, ist und bleibt ...
Wer so manchen Politiker, so manche Politikerin im Auftreten vor der Öffentlichkeit (meistens sicherlich nur: medial vermittelt) erlebt, wird nicht selten den Glauben an deren Kompetenz sehr schnell verlieren. Das fängt in der jeweils gepflegten Rhetorik an (von wegen Diskursfähigkeit oder -- sofern eine solche überhaupt vorhanden -- praktizierte Diskursbereitschaft!): wie oft jagen sich da die unterschiedlichsten Formen von Phrasendreschereien, das Vorgeben vermeintlichen Sachwissens, ein Ausweichen vor konkreten Festlegungen, das Wiederkauen nichtssagender Floskeln, dies alles zumeist vermischt mit (einstudierter) theatralisch anmutender Gestik und Mimik. Wenn dies alles (eine leider auch nicht seltene Erscheinung!) auch noch in diverse Arten von Logoröe ausartet, wird sich zumindest der aufgeklärte Gast -- allein schon aus Gründen der Selbstachtung -- mit Grausen abwenden ...
Die Gefahr: bei derart negativen Vorbildern wird Demokratie nicht reifen können, nicht gefestigter werden denke ich. (Es sei denn man verwässert den Demokratiebegriff, indem man ihn beispielsweise allein auf die Möglichkeit von Wahlen reduziert.)
Nein, Demokratie braucht gerade keine Personen, welche sich überwiegend in Sprechdurchfall ergehen, die Geschwätzigkeit mit Diskurs oder zumindest Debatte verwechseln freilich dabei fast ausnahmslos den Begriff "Diskurs" im Munde führen, in völliger Verkennung dessen, was das tatsächlich bedeutet: Diskurs, nämlich zumindest die Erfüllung der notwendigen Bedingungen wie Argumentieren auf tatsächlichen Fakten, wie Zuhören, wie gezieltes Eingehen auf Argumente, wie Höflichkeit und Respekt im Umgang mit den anderen, wie Sachlichkeit, wie das Bemühen um Vermehrung von Erkenntnis.
Rechthaberei und Besserwisserheit dürfen gerade hier überhaupt keinen Raum bekommen! Disziplinlosigkeit im Umgang mit anderen Meinungen sowie Verfälschung "gegnerischer" Argumentationen wie auch das unsägliche "Niederreden" ("Niederbrüllen") zeugen nur von einem: von der eigenen Inkompetenz und der eigenen Unfähigkeit wirkliche Demokratie zu leben und zu (be-)fördern. Wer da glaubt, sich in der Politik (wie leider vielfach auch in den Medien) auf einem Podest einnisten zu müssen, von dem aus eine Art betreuten Denkens (hier läßt vor allem auch die "Political Correctness" schön grüßen!) betrieben wird, hat die Grundzüge von Demokratie, von Aufklärung, von konstruktiv-kritischem Bemühen wohl kaum verstanden ... Und: für das Ausleben narzißtischer Komponenten sollte man gerade in der Politik und Medienwelt kein Forum bieten.
Zwei Beispiele für die Auswahl von Spitzenpolitikern
Vorab die mich leitende Frage: Was kann der Grund dafür sein, daß man innerhalb einer Partei für derart verantwortungsvolle Positionen nicht Personen auswählt, die mit einer "vorbildhaftlicheren" Bildungs- und Berufsbiographie glänzen können? Und ergänzend: Ist das unbedingt auch notwendig, zielführend?
Beispiel SPD (Kevin Kühnert):
Vorbemerkung: Medial vermittelt "kenne" ich Keven Kühnert aus TV, Printmedien und Interviews (so z.B. aus Tilo Jungs YouTube-Beitrag "Jung&naiv", Folge 366, 03.06.2018). Auf mich wirkt(e) Kevin Kühnert sicherlich sehr glaubwürdig; in seiner Argumentation ist er stimmig, spricht Klartext, wirkt jeweils sehr offen und ehrlich und hat keinerlei Anflug von Arroganz und Eitelkeit (sofern man das alles auch medialer Übermittlung beurteilen kann). Kurz: ein extrem sympathischer Mensch, was man auf Grund von entsprechenden Erfahrungen gewiß nicht vom Verhalten von Vertretern in der Politik als selbstverständlich voraussetzen dürfte. Allein diese positiven Eigenschaften verwundern mich allerdings doch ein wenig, daß Kühnert innerhalb einer Partei so Karriere machen kann, denn es sind nicht gerade jene, welche Klartext sprechen, die dann auch innerhalb vom Parteiengefüge den Aufstieg schaffen.
Gleichwohl ist Keven Kühnert auch einer jener Politiker, die beruflich keinen Abschluß aufweisen (Helmut Schmidt hat ja das Fehlen von einem bürgerlichen Beruf bei Politikern als ein großes Manko gesehen, s.o.). Insofern kann man durchaus fragen, weshalb jemand gerade unter diesen Umständen in der Politik "groß herauskommen" kann. Andererseits ist es auch berechtigt, wenn man schon auf Widerspiegelung der Bevölkerung in einem Parlament pocht, zu fragen, weshalb jemand mit (so bewerteter) unorthodoxer Biographie nicht in der Politik vertreten sein sollte. Zumindest eine gewisse Ambivalenz zeigt sich hier dem Beobachter, vor allem stellt sich damit auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen jemand die "gesellschaftliche Wirklichkeit" möglichst hautnah kennenlernen kann resp. kennt. Ich meine, eine erfolgreiche berufliche Ausbildung mit dann entsprechender Tätigkeit dürfte diesbezüglich durchaus zielführend(er) sein.
Kevin Kühnert wurde am 1. Juli 1989 in West-Berlin geboren. (Seine Eltern sind beide Beamte in der Verwaltung, seine Mutter wechselte dann zu einem Jobcenter.) Seit 24. November 2017 ist er Bundesvorsitzender der Jusos, seit dem 6. Dezember 2019 stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Abitur 2008 am Beethoven-Gymnasium (Berlin-Lankwitz), wo er bereits auch Schülersprecher war. Danach ein Freiwilliges Soziales Jahr im Kinder- und Jugendbüro Steglitz-Zehlendorf. 2009 begann er ein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin. In dieses Studium hatte sich Kühnert übrigens hineingeklagt (Grundlage: Kapazitätsklage. Die Universität hatte das Numerus Klausus Kontingent zu niedrig angesetzt, sodaß auf Grundlage der Klage weitere Personen, allerdings nur jene, die diesbezüglich auch Klage eingereicht hatten, zum Studium zugelassen werden mußten. Nach eigenen Angaben hatte Kühnert einen Abiturschnitt von 2,5). Allerdings brach Kühnert dieses Studium ab, weil er merkte, daß dies für ihn eine falsche Berufswahl gewesen war. Er arbeitete danach 3 1/2 Jahre in einem Callcenter. Von 2014 bis 2016 arbeitete er im Abgeordnetenbüro von Dilek Kalayci, ab 2016 in dem von Melanie Kühnemann. Kevin Kühnert hat kommunalpolitisch zusätzliche Erfahrungen neben seinen sonstigen Engagements sammeln können: ab 2016 als Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg in Berlin.
In die SPD trat Kevin Kühnert im Jahr 2005 ein, von 2012 bis 2015 war er Landesvorsitzender der Jusos Berlin, ab 2015 war er stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender. Themenschwerpunkte warn für ihn vor allem: Steuerpolitik, Rentenpolitik, Strukturpolitik, Rechtsextremismus, Migrationspolitik und die Social-Media-Arbeit. Er versteht sich als zum linken Flügel innerhalb der SPD gehörend. Im SPD-Parteivorstand ist er seit Februar 2020 u.a. für den Bereich Immobilien, Bauen und Wohnen verantwortlich. Kevin Kühnert vertritt Thesen, die vielen -- vor allem konservativen Kräften -- nicht gefallen dürften; so stellt er schon mal Fragen wie mit welchem Recht denn jemand mehr als zwanzig Wohnungen haben dürfe, meint dabei jeder solle maximal den Wohnraum besitzen dürfen, in dem er selbst wohne, fordert die Besteuerung von Vermögen und betont, daß eine von ihm als notwendig angesehene Überwindung des Kapitalismus ohne Kollektivierung nicht denkbar wäre. Auch argumentiert er gegen die Tendenz der Zunahme einer ungleichen Verteilung. Er wendet sich gegen Leiharbeit und fordert einen höheren Mindestlohn. Zudem fordert Kühnert eine demokratischere Oganisation von Wirtschaft, d.h. eine stärkere Beteiligung an den Entscheidungsfindungsprozessen. Dies sind nur einige seiner Vorstellungen, die er jedoch stets als diskutabel vorzubringen versteht. Eine Demokratie, gerade sie!, hat derartige Positionen auszuhalten und aufzugreifen, weil es schließlich um Optimierung gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse gehen muß. Oder anders gewendet: All dies darf und muß Gegenstand von sicherlich auch notwendigem Diskurs sein! Wenn ihm da beispielsweise Andreas Scheuer (CSU) vorwirft, es handele sich bei Kühnerts Positionen um das "verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten", dann frage ich mich schon, auf welcher Seite bei derartiger Verkürzung der Darstellung von gesellschaftlichen Problemlagen hier die Bereitschaft zu sachlicher Auseinandersetzung fehlt. Wenn Kühnast solchen "Argumenten" entgegenhält, man sehe am Beispiel der heftigen Kritik, "wie eng mittlerweile die Grenzen des Vorstellbaren geworden sind", dann kann ich ihm nur zustimmen. Demokratie lebt eben nicht durch das Beharren auf rigiden Weltbildern, sondern gerade dadurch, daß der Fragilität innerhalb von Zuständen so Rechnung getragen wird, daß man Antifragilität -- also auch die Möglichkeit das Unerwartete nicht von vorneherein auszuklammern und von reiner Statik oder aber bestenfalls als resilient gedachten Orientierungen als eine Art Non-plus-ultra eines Lösungsansatzes auszugehen! -- zumindest in seinen Überlegungen einen Raum läßt. Daß Andreas Scheuer davon nichts zu halten scheint, zeigt mir u.a. sein Maut-Desaster. (Er hatte sich offensichtlich niemals vorstellen können, daß sein Konzept fragil sein könnte, daß er eine antifragile Komponente hätte in Betracht ziehen müssen, eben: das Unerwartete im Denkprozeß über diverse Szenarien zulassen.
Ein weiteres Studium (Politikwissenschaften), aufgenommen an der Fernuniversität Hagen, läßt er seit seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden der Juso ruhen, vor allem weil ihm dazu nach eigenen Angaben die für das Studium notwendige Zeit neben seinen umfangreichen Aufgaben innerhalb der Parteiarbeit fehlt.
Nun kann man sicherlich fragen, mit welchem persönlichem Erfahrungshintergrund Kevin Kühnert derart komplexe Fragestellungen fundiert vorbringen kann, ob dies alles überhaupt "fundiert" ist und nicht nur das Nachbeten von Gehörtem oder Angelesenem. Die Frage ist sicherlich berechtigt. Aber ist es nicht auch so, daß das Aufgeworfene ohne den persönlichen biographischen Hintergrund diskutiert werden kann? Ich meine: man kann es nicht nur, es ist sogar notwendig! Der Ansatzpunkt ist doch: die Probleme sind benannt, die Möglichkeiten des unterschiedlichen Nachdenkens über Themen ebenso. Also kann man sie aufgreifen und erötern, so man dies denn möchte (und Parteien sollten gerade das als primäre Aufgabe ansehen und weniger sich Aspekten des eigenen Machterhalts unterordnen).
Hat also eine brüchige Berufsbiographie / Ausbildungsbiographie / Studienbiographie (ungern möchte ich hier den Vergleich mit dem Grünen Joschka Fischer im Zusammenhang mit Kühnert ziehen, denn aus meiner Sicht hat Kühnert da wohl die bessere Substanz vorzuweisen ...; aber wir wissen ja wohl alle noch, wie dennoch fast schon kometenhaft jener J. Fischer sich im politischen Äther dann bewegt hat...) kein Fundament für eine Ausgangslage, kritische Fragen zu stellen, Widersprüche aufzuzeigen und sozusagen en passent im jeweils eigenen Lebensablauf dazuzulernen? Ich meine: Ja. Letztlich ist dies dann: Lernen durch das Leben! Fragestellungen aus erfahrenem Leben heraus! Dies setzt freilich voraus, daß man sich umfassend und intensiv der Vielfältigkeit aussetzt, sich für sie öffnet, andernfalls führt das allenfalls zu entsprechend reduzierten Perspektiven, die dann einem umfassenden Lernen (sicherlich abgestuft) abträglich sind. Und noch eines gilt: Primärerfahrungen sind das eigentliche Ziel der Anstrengungen, ja, sie müssen es ein; alle Sekundärerfahrungen (oder noch nachrangigere ...) sind da längst nicht so zielführend, wenn überhaupt. Und jemand, der außer Schule, dann eventuell nur mit Studium (sei es abgeschlossen oder abgebrochen), nichts anderes erfahren hat und so unmittelbar in die Politik eingetreten ist (Typus Berufspolitiker vom Anfang seines Berufslebens an), dürfte in aller Regel eine reduziertere Wirklichkeitssicht und weniger allgemeines Verständnis für gesellschaftliche Belange aufbringen als jemand, der vielfach und vielfältig "das Leben" aus eigener Anschauung und mit eigener Anstrengung durchgemacht hat. (Hierfür sei stellvertretend für viele andere erneut auf den Lebensweg von Bodo Ramelow, Die Linke, oder auf den von Wolfgang Bosbach, CDU, als beispielgebend hingewiesen.)
Verwunderlicher ist für mich da eher schon, daß in dem Feld der doch recht rigiden und auf spezielle Auslese orientierten Politstrukturen mit den sogenannten Etablierten, sich häufig für Experten haltenden Vertretern, den Platzhirschen, den Nur-Berufspolitikern, dann auch Menschen mit brüchiger oder brüchig erscheinenden Biographie Fuß fassen können. Sind jene also dann die exotisch anmutenden Ausnahmen? Oder läßt das System gerade jenen auch eine Chance? Vielleicht ist doch das Charisma hier ausschlaggebend, das andere (also die Mehrheit aller Politiker) wiederum durch mühsam anmutende Ochsentourmentalität ersetzen müssen, um ihren politischen Weg gehen zu können.
Jedenfalls dürfte der Eindruck nicht täuschen, daß es in jeder der beiden idealtypisch umrissenen Gruppierungen immer wenige von wirklich nennenswerter Qualität gibt sowie auf der anderen Seite die große Masse der Mitläufer, der Unscheinbaren, ja: bisweilen auch der eher Unfähigen. Also damit auch jene, die durch ihre parlamentarische Existenz eine (nicht nur finanzielle) Sicherheit haben, die ihnen im "normalen" bürgerlichen Dasein zumindest in dieser hohen Qualität verwehrt sein dürfte ...
Was Kevin Kühnert betrifft, vermag ich nicht zu sagen, welche Möglichkeiten ihm das allgemeine Berufsfeld bieten würde, verabschiedete er sich von der Politik (bei ihm eigentlich unvorstellbar, dazu ist er wohl zu sehr engagiert!); sicherlich hätte er es einfacher als so mancher andere Politiker, allein schon weil er nach eigenem Bekunden nicht besonders anspruchsvoll ist, sich also bescheiden kann (und dies ja auch immer wieder bewiesen hat). Auch hat er ja durchaus schon längere Zeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gearbeitet. Auch wirkt er wahrlich nicht so, als würden die beiden jeweils aufgenommenen Studiengänge in ihrem Ergebnis ihm zum Manko gereichen. Vergleicht man ihn da mit anderen Studienabbrechern im Parlament, mit versagt habenden Doktoranden o.ä., da kann man -- wohlgemerkt dies alles als Fazit aus Distanz und auf dem Fundament medialer Vermittlungen -- sagen: geschadet hat es ihm in seiner Entwicklung, in seiner Glaubwürdigkeit, in seinem Diskussionsverhalten, in seiner Analysefähigkeiten, vor allem auch in seiner Natürlichkeit und seiner Stimmigkeit sicherlich nicht. Aber ich bleibe dabei: Kevin Kühnert dürfte hier eher die seltene Ausnahme sein. Und die Frage, weshalb er gegen die Phalanx der Alteingesessenen dennoch diesen respektablen Aufstieg geschafft hat, vermag ich natürlich vor dem Hintergrund des hier Dargebotenen nicht eindeutig zu beantworten. Es dürften jedoch weder sogenannte Seilschaften noch anderweitige Beziehungen oder gar eilfertige Unterordnungsbereitschaft gewesen sein, denen er seinen Aufstieg verdankt... Gewiß, eine erzielte höhere Position bei den Jusos ist (fast immer) ein Vorteil. Aber das allein kann es nicht gewesen sein. Ich denke: es liegt überwiegend an seiner Person und seiner Haltung als Ganzes, also an seiner Art. Und wahrscheinlich ist er innerhalb des Parteiengewühls leider "nur"die seltene Ausnahme, welche die Regel bestimmt.
Für mich ist die Eingangsfrage, was Kevin Kühnert angeht, leicht zu beantworten: Die SPD muß froh sein, mit ihm eine Person, die von Gründlichkeit, Weitsicht und Natürlichkeit getragen wird, zu haben. Er kennt -- gewiß im Gegensatz zu so manch anderem Parteimitglied mit "ungetrübtem" bürgerlichen Werdegang -- das "wirkliche Leben" gut genug, um wirklich auch einmal glaubwürdiger sowie effektiver "Volksvertreter" sein zu können. Er scheint mir eher "dem Volke nahe" zu sein als so manche andere (nochmals: mit vorzeigbarer Ausbildungsbiographie), die sich längst schon abgehoben in einer Art Efeuturm bewegen, sich mit Floskeln durch den politischen Alltag retten und auf Fragen meist keine verstehbaren Antworten wissen, schon gar keine zielführenden. Wir brauchen gerade auch in der Politik mehr Leute mit Bodenständigkeit, mit erfrischender Direktheit, mit Unmittelbarkeit (zu Personen und zu den Herausforderungen des Alltags), mit Natürlichkeit und Unverkrampftheit, kurz: mit wirklicher Souveränität und spürbarer Identität. Letztlich zählen übrigens auch nicht irgendwann erworbene Lorbeern (wie immer deren Qualität auch sein mag) und das Outfit mit dem man sich umhüllt, sondern jeweils das, was man aus allem für sich (und für andere) daraus gemacht hat und macht.
Beispiel CDU (Paul Ziemiak):
Vorbemerkung: Natürlich kenne ich auch Paul Ziemiak nur medial vermittelt, wie eben andere Politiker und Politikerinnen auch. Aber ich denke, es läßt sehr wohl Rückschlüsse auf Person und deren Kompetenz zu, vor allem auf deren Nähe zu Volk und Problemlagen, wenn man sieht, wie bzw. ob gestellte Fragen beantwortet werden, ob man sich konkret Problemen stellt oder überwiegend mit Ausflüchten oder Allgemeinplätzen reagiert, ob man eine Nähe zum Volk und dessen wirklichen Problemen spürt, ob Abgehobenheit oder Nähe denk- und handlungsleitend sind.
Paul Ziemiak, geboren am 6. September 1984 in Szeczin (Stettin, Polen), kam 1988 mit seinen Eltern und dem älteren Bruder als Aussiedler nach Deutschland. Die Stationen waren zunächst das Aussiedlerlager in Unna-Massen, später zog er dann nach Iserlohn. Paul Ziemiak war Internatsschüler und beendete diese Schullaufbahn mit dem Abitur. Er studierte dann Rechtswissenschaft in Osnabrück und Münster. Da er die Erste Juristische Staatsprüfung zweimal hintereinander nicht bestanden hat, kann er hier keinen Abschluß vorweisen. Er begann dann ein weiteres Studium, das der Unternehmenskommunikation an der Business and Information Technology School in Iserlohn. Auch dieses wurde nicht abgeschlossen.
Seit dem 8. Dezember 2018 ist er Generalsekretär der CDU. Von September 2014 bis März 2019 war er Bundesvorsitzender der Jungen Union (JU) in die er 1999 eintrat, in die CDU dnn 2001. Dem deutschen Bundestag gehört er seit der Bundestagswahl 2017 als Abgeordneter an; er erhielt sein Mandat über die Landesliste. Neben seinem Studium hat Ziemiak als Werkstudent in Düsseldorf für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers gearbeitet. Diese Tätigkeit führte er bis zu seinem Einzug in den Bundestag aus.
Paul Ziemiak ist Mitglied der katholischen Studentenverbindung AV Widukind Osnabrück im CV (Cartellverband der katholischen, nichtschlagenden, farbentragenden deutschen Studentenverbindung und der KDStV Winfridia Breslau Münster (1856 in Breslau gegründete nichtschlagende katholische Studentenverbindung, Gründungsmitglied der katholischen deutschen Studentenverbindungen). (Quellen zu Paul Ziemiak: Wikipedia)
Paul Ziemiak ist 1999 in die Junge Union, 2001 dann auch in die CDU eingetreten. 1999 bis 2001: erster Vorsitzender des (damals neu gegründeten) Kinder- und Jugendparlaments der Stadt Iserlohn; 2009 bis 2012: Bezirksvorsitzender der JU Südwestfalen; 2012 bis 2014: Landesvorsitzender der Jungen Union NRW. Seit 2017 ist er Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstandes der CDU in NRW sowie Mitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Rat der Stadt Iserlohn war er Mitglied von 2012 bis 2014, dort auch bis 2017 stellvertretender Fraktionsvorsitzender.
Er ist ein fast schon bilderbuchhaftes Beispiel dafür, wie jemand im politischen Geschäft Karriere machen kann, ohne wesentliche Erfahrungen auf anderen Gebieten gemacht zu haben und dort Erfolge vorzuweisen. Sein Sprungbrett in die Politik ist die JU; jedenfalls keine abgeschlossene Berufsausbildung, auch kein erfolgreich abgeschlossenes Studium. Nach langem Wahlkampf 2014 kandidierte er auf dem Deutschlandtag (alljährliches bundesweite Treffen der Jungen Union) für den Bundesvorsitz der JU gegen Benedict Pöttering, gewann mit 63% der Stimmen, löste damit den nicht mehr kandidierenden (und mittlerweile leider verstorbenen) Philipp Mißfelder ab. Für die JU seit 1973 die erste Kampfkandidatur um dieses Amt. Am 14. Oktober 2016 wurde Ziemiak erneut zum Bundesvorsitzenden der JU gewählt (85%) und im Oktober 2018 gar mit 91,1% der abgegebenen Stimmen.
Der NRW-Landtag entsandte Paul Ziemiak im Februar 2017 in die 16. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten. Die Wahlkreisvertreterversammlung im Bundestagswahlkreis Herne-Bochum stellte ihn mit einer Zustimmung von 97 Prozent als CDU-Wahlkreiskandidaten für die Bundestagswahl auf, über die Landesliste kam Ziemiak dann auch in den Bundestag. (Dort ist er Mitglied im Auswärtigen Ausschuß, dort auch Berichterstatter für internationalen Terrorismus.) Auf Vorschlag von Annegret Kamp-Karrenbauer wurde Paul Ziemiak am 8. Dezember 2018 zu ihrem Nachfolger als Generalsekretär der CDU gewählt (mit 62,8% der gültigen Stimmen). Ziemiak war damit das erste aktive Mitglied der JU, das direkt in diese Funktion bei der Bundespartei aufstieg. Er ließ seine Aufgaben als Bundesvorsitzender seit dem 11. Dezember 2018 ruhen, mit der Wahl seines Nachvolkers Tilman Kuban im März 2019 endete Ziemiaks Funktion in der JU dann endgültig.
Laut Wikipedia steht Ziemiak für folgende politischen Schwerpunkte: Generationengerechtigkeit, Bildung (sic! d.V.), Digitalisierung, Energiepolitik, er kritisiert die Einführung der Rente mit 63 durch die Große Koalition, plädierte auf dem Deutschlandtag 2014 dafür, den Schwerpunkt der Bildungspolitik stärker auf "Nicht-Akademiker" (sic! d.V.) zu legen, denn Deutschland müsse ein Land der Möglichkeiten für alle sein. Auch forderte er die Bundesregierung bereits damals auf, in Breitbandausbau und Digitalisierung zu investieren. Mit Hinweis auf die seit 2014 andauernde Krise in der Ukraine fordert Ziemiak eine stärkere europäische Koordinierung der Energiepolitik. Auch soll er ein hartes Durchgreifen gegen Extremisten und Islamisten in Deutschland fordern, so sei eine seiner Aussagen bei einer Rede in Inzell: Wer die Scharia mehr achtet als das Grundgesetz -- da hilft kein Integrationskurs, da hilft nur Gefängnis." (Quelle: reporter-forum.de, Emilia Smechowski: Der Anpasser, SZ-Magazin vom 30.06.2070) Auch trat er bereits auf dem CDU-Bundesparteitag am 9. und 10. Dezember 2014 dafür ein, die Bürger steuerlich bei der kalten Progression zu entlasten. Auch die Gleichstellung homosexueller mit heterosexuellen Partnerschaften und die Adoptionsmöglichkeit durch homosexuelle Paare stehen auf seiner Agenda.
Paul Ziemiak wollte schon in sehr frühen Jahren politisch aktiv sein. Ursprünglich klopfte er zunächst bei den Grünen an. So berichtete Elke Obrich-Tripp, Grünen-Fraktionschefin in Iserlohn, Ziemiaks Heimatstadt gegenüber dem Blatt "Bild am Sonntag": "Paul kam an einem Nachmittag 1999 in mein Büro im Iserlohner Rathaus und wollte bei uns mitmachen." Aber auch bei der SPD hat er es dort mit seinen damals 13 Jahren laut örtlichem SPD-Fraktionschef Peter Leye versucht: "Paul kam auch zu uns, wollte Mitglied werden, sich engagieren." (Quelle: Merkur.de, online vom 18.12.2018) Beide Parteien haben jedoch darauf verwiesen, daß man bei ihnen erst ab einem Alter von 16 Jahren bei ihnen aktiv werden könne. Daß er bei beiden Parteien vorgesprochen habe hat Paul Ziemiak übrigens bestätigt (gegenüber "Bild"), dabei jedoch angemerkt, es wäre ihm sehr "schnell klar geworden, daß er zur CDU gehen wolle. Denn auch seine Eltern seien CDU-Wähler gewesen." (Quelle: Merkur.de, ebd.) Paul Ziemiak ist verheiratet, hat zwei Kinder, ansonsten möchte er Details aus seinem Privatleben nicht in die Öffentlichkeit bringen: "Meine Familie ist mir hoch und heilig. Sie ist meine Kraftquelle. Ich will sie aus allem raushalten." (Paul Ziemiak, Merkur.de, ebd.)
Anmerkungen / Kommentar:
Ich hätte natürlich auch Vertreter / Vertreterinnen anderer Parteien hier darzustellen versuchen können. Eine Auswahl ist da immer auch etwas willkürlich, vor allem aber meinem mir dafür vorhandenen Zeitbudget unterworfen. Auch wenn -- bei jeweils fluktuierender Tendenz (so profitiert die ebenfalls als "Volkspartei" sich auf einem absteigenden Ast befindende CDU zur Zeit von der Coronakrise und hat wieder -- laut den üblichen Umfragen -- an Wählerzustimmung stark gewonnen, die SPD dagegen nur ein wenig) dem Zeitgeist entsprechend -- die Zeit des Alleinstellungsanspruchs von CDU und SPD als "Volksparteien" vorbei zu sein scheint, beide sind allein schon aus Gründen der Tradition immer noch wirkmächtig, verdienen es, besonders herausgehoben zu werden. Auch kann hier m.E. "Typisches" aufgezeigt werden, wie es in mehr oder weniger ähnlichen Weise auch in anderen Parteien abläuft.
Wir sehen hier zwei zumindest auf den ersten Blick doch etwas brüchig erscheinende Biographien, was die Berufsausbildung und allgemeine Bildungsgänge angeht. Ich habe mit solchen "Karrieren" gewisse Probleme insofern als ich meine sozialen und politischen Belange bei Leuten mit derartigem Werdegängen (in aller Regel) nicht gut aufgehoben sehe. Da fehlt es aus meiner Sicht an einem breitgefächerteren authentischen Erleben, was letztlich nur allzu oft zu einer verengten Welt- und Wirklichkeitssicht führt. Grundsätzlich (sic!) also ist es mir persönlich lieber, wenn jemand in einem ihn fordernden Beruf bereits Erfahrungen sammeln konnte und Erfolge zu vermelden weiß. Natürlich bin ich bereit (und auch fähig!) bei brüchigen Lebenswegen zu differenzieren, sofern dies möglich und angemessen ist. Bei Politikern kann hier als ein Maßstab gelten: ihr Reden mit ihrem Tun vergleichen, ihre Weiterentwicklung (sofern vorhanden!) zu sehen und zu würdigen, vor allem: ihre Art mit anderen zu reden und zu diskutieren beobachten (am besten wäre es hier natürlich, wenn die Fähigkeit und Bereitschaft zu wirklichem Diskurs sich zeigen würde!), wie sie mit ihren Fehlern und Schwächen, wie mit Unwissen und reduzierter Kenntnis sie umgehen, ob sie Aspekte von Fragilität versus Kontrafragilität zu erfassen und entsprechend zu handeln vermögen, wie sie sich hinsichtlich Dogmatismus und Ideologie verhalten, u.a.m. (Ich denke, hier dürfte Kevin Kühnast gegenüber Paul Ziemiak deutliche Vorzüge haben -- aber das ist natürlich Ansichtssache und ein Ausfluß dessen, was man selbst jeweils als Schwerpunkte vorzieht ...) Wir finden natürlich "Brüchigkeit" in Lebensläufen in allen anderen Parteien auch, wobei "Brüchigkeit" per se nicht immer negativ zu sehen ist: sie kann auch zu Weiter- und Fortentwicklung führen, bei positivem Umgang damit Resilienz erzeugen und für andere / weitere Aufgaben stark bzw mitunter auch (besonders) geeignet machen.
Ich persönlich bin auf der Seite derjenigen, die Menschen mit Berufsabschluß und auch gezeigter beruflicher Erfahrung (wozu ich aus guten Gründen nicht den Werdegang eines Berufspolitikers zähle, denn der ist mir zu einseitig und auch zu efeuturmhaft ausgerichtet und unterliegt ganz besonderen Bedingungen, welche nicht unbedingt auf gesellschaftspolitische Weitsicht als Grundvoraussetzung für Vertretung von Bürgerinteressen schließen lassen, kurz: hier besteht zu sehr die Gefahr der Abgehobenheit!), die sich sozusagen auch "durchgebissen" haben, nicht aufgeben wenn es schwierig zu werden scheint, als Volksvertreter all jenen vorziehen, die dies aus welchen Gründen auch immer nicht geleistet haben; dies betrifft nach meiner Auffassung aber ganz besonders auch jene, die studieren, dann das Studium "hinwerfen", wenn Schwierigkeiten auftauchen. Das betrifft sicherlich aus meiner Sicht vor allem auch jene, die einen "leichteren" Studiengang wählen, diesen dann häufig nicht einmal abschließen und dann im Parlament und in Talkrunden o.ä. ihre großen Reden schwingen. Also jene der Much-ado-about-nothing-Fraktion, die man in allen Parteien finden kann.
Für all jene, die nun die Lust verspüren, anzunehmen ich verstünde von der Thematik zu wenig, dem oder der sei gesagt, daß ich beide Seiten, also berufliche als auch schulische Bildung durchaus kennengelernt und "durchgezogen" habe. Zur praktischen Berufsausbildung zähle ich meine folgenden Tätigkeiten: Lehre im Bergbau, Abschluß. Knappenbrief; Tätigkeit als freier Handelsvertreter, Verkäufer in einem Kaufhaus, Lastkraftwagenfahrer, DJ, Bundeswehr mit anschließender Kriegsdienstverweigerung -- den Begriff "Wehrdienstverweigerung" lehne ich nach wie vor, weil an der Sache wirklich sehr vorbeigehend und den wahren Sachverhalt euphemisierend, natürlich ab! --, immer wieder Ferienarbeiten in einem Bauunternehmen, vorübergehend Schlafwagenkellner bei der DB (Strecke Dortmund-München), eine lange Tätigkeit als Englischlehrer an Hauptschulen in Bayern. Der "schulische" Weg: Grundschule, ORS Hohenschwangau (Oberrealschule), Bergbauberufsschule, Begabtenabitur (Bayern), Mittlere Dolmetscherprüfung, Cambridge Certificate of Proficiency, Fachlehrerprüfung für Englisch an Hauptschulen, Magister Artium (Erziehungswissenschaft, Sozialwissenschaft, Quantitative Methoden), berufsbegleitend dann diverse weitere universitäre Studiengänge mit vielen Scheinen, jedoch ohne weiteren akademischen Abschluß (Jura, Literaturwissenschaft, Psychologie, Arbeitswissenschaft, Philosophie, WiWi, Politik, u.a.). Ab einem gewissen Alter wurde für mich also das Prinzip des "lebenslangen Lernens" zur selbstgewählten Aufgabe. (Um ehrlich zu sein: während meiner Gymnasialzeit tat ich damals nur das, was unbedingt notwendig war, hatte mehr Lust auf Sport, Freizeit und Natur ...; die wirkliche Lust auf und Freude am Lernen stellte sich bei mir erst so richtig während meiner Lehrzeit im Bergbau ein -- dann hat sie allerdings bis heute angehalten.) Warum ich das hier besonders erwähne? Weil ich eben anderen gerne -- wie ich finde: zu Recht -- vorwerfe, sie würden ihre eigene Biographie verschleiern und die jeweilige ideologische Position verstecken; somit muß ich hier dann doch ein besseres Beispiel geben, nicht wahr?
Die Bevorzugung akademischer Bildung, deren höhere Wertschätzung, zieht sich durch unsere gesellschaftliche Bildungsgeschichte, im Vergleich dazu wurde berufliche Bildung viel geringer geachtet. Das war (und ist immer noch) ein Fehler, der sich heutzutage wohl auch im Fehlen von Fachkräften zeigt. Und wer hin und wieder in seinem Alltag einen Handwerker benötigt, wer Einkäufe tätigt, wer schlicht und ganz normal seinen Alltag gestalten möchte, der oder die wird wohl wissen, daß handwerkliches Können und Verständnis da meist hilfreicher sind als universitäre Abschlüsse. Natürlich gibt es Bereiche wie Schule, in Teilen die Medizin und die Juristerei, wo sich der Sachverhalt anders darstellt.
Vielleicht geben manche auch viel auf das, was uns (sogenannte) Philosophen (merke jedoch: längst nicht jeder, der Philosophie lehrt, ist zugleich Philosoph!) vorsetzen oder all die zahlreichen Psychologen an Lebensweisheiten zum Besten geben, ich bin da bescheidener in meinen Ansprüchen auf Fremdberatungsorgien und ich denke, viele denken ebenso. Also so manches, was sich akademischer Herkunft rühmt, dürfte für das Gros der Bevölkerung eher nutzlos sein. (Sehr persönlich nun noch: Theologen und all die Theologinnen mit ihren "Gescheitheiten" und "Rat", vor allem deren: "Prophezeihungen" und gedankliche Konstruktionen, brauche ich wirklich nicht und nie, den versierten Automechaniker, den kompetenten Installateur, den zuverlässigen Maurer und all jene, die sich im konkreten Leben jenseits von Traumtänzereien bewegen und äußern, die bodenständige und hilfreiche "Hand", dafür sicherlich umso mehr ...)
Und es sind die letzten Punkte, die mich zunächst zu Kevin Kühnert zurückführen. Ich habe das Gefühl, daß er sehr wohl zu den Bodenständigen, den Suchenden (sowohl was Fragen als auch was Antworten angeht!), den an wirklichem Gemeinwohl Orientierten gehört. Er kann zuhören, er fragt nach, er räumt -- bei Politikern eine leider höchst seltene Eigenschaft! -- auch schon mal Nichtwissen ein. (Wer sich hier weitergehend informieren möchte, dem empfehle ich einige seiner Interviews, z.B. auf YouTube.)
Er hat sein Studium abgebrochen, weil er (für ihn noch rechtzeitig) gemerkt hat, es ist ihm zu viel "PR" und zu wenig an journalistischem Tun, wie er sich vorgestellt hatte. (so er selbst in einem Interview Tilo Jung, s.o.) Und er ist alles andere als "stromlinienförmig", was nicht ausschließt, daß er nicht auch Kompromisse eingeht, sich der normativen Kraft des Faktischen nicht sisyhushaft entgegenstellt (Beispiel hierfür u.a.: daß sein Ziel die GroKo zu beenden nicht gänzlich halsstarrig weiter verfolgt hat).
Er erscheint eben nicht als der "Karrierist", der seine Überzeugung einem wie auch immer gearteten Vorteil opfert. Einfach ist das gerade in der Politik gewiß nicht, vielleicht hat er aber den Vorteil, daß die SPD (trotz aller Platzhirschen und Rechthaber sowie Dogmatiker in ihr) da dem freieren Geist vielleicht doch noch einen besseren Humus, ein günstigeres Betätigungsfeld als andere Parteien bietet (Vielleicht auch: weil Tradition verpfichtet?). Dies darf man durchaus, selbst wenn mir die heutige SPD -- ob ihrer Performanz und auch ob ihrer mangelnden Personalkompetenz -- eher suspekt ist, im Vergleich zu anderen Parteien feststellen. Sicherlich, auch in ihr dominieren vor allem "die großen Wörter" (und weniger die "großen Taten"), aber Leute wie Kevin Kühnert zeigen doch, daß innerhalb der SPD immer noch viel möglich ist. Immer noch? Ja, ungern erinnere ich mich an die Zeit (ich war damals Befürworter der sozial-liberalen Koalition), in der Brandts "Mehr Demokratie wagen!" als freudiger Aufbruch empfunden wurde und dann irgendwie und irgendwann unter anderem mit dem "Radikalenerlaß" endete ...
Es ist also eine fortwährende Aufgabe, weiterhin wachsam zu sein -- dies eigentlich für jede und in jeder Partei; Leute wie Kühnert, die mitunter gut auch gegen den Strom schwimmen können, sind da zielführend, sie brauchen wirklich nicht den Segen aus akademischem Himmel oder sonstigen Gefilden! Ihnen reicht ihr So-Sein, ihre Neugierde für Welt und Mitmenschen und vor allem ihre große Bereitschaft, Notwendigkeiten zu sehen und sie zu diskutieren. Das soll in keine Lobhudelei ausarten, nichts läge mir ferner. Wie schon oben erwähnt: ich ziehe fundierte, stimmige Berufswerdegänge und erfolgreiche Ausbildungsabschlüsse dem Zukurzgekommen, dem Scheitern, dem Versagen letztlich vor. Aber wir brauchen in der Politik weniger Pfau, sondern mehr Sein. Gockelhaftes Verhalten gehört nicht in die Politik (eigentlich überhaupt nirgendwohin)! Wir brauchen Sachverstand, ehrliche Bemühen, die faktische Akzeptanz von Antifaktizität, denn man muß immer auch mit dem unerwarteten rechnen, es nicht schon a priori auschließen. (Die Coronakrise hat uns das ja einmal mehr gelehrt!) Ich glaube, Leute wie Kevin Kühnert können da durchaus das Salz in der Suppe sein ...
Damit hier niemand auf den Gedanken kommt, ich wäre gar so etwas wie ein Kühnert-Fan (in der Politik sollte es den "Fan", also letztlich den nahezu blinden und tauben Anhänger einer Person oder Gruppierung, überhaupt nicht geben!), möchte ich abschliießend noch eine andere Sicht aufzeigen. Als er in einem Interview gefragt wurde, ob er jemals in seinem Leben daran gedacht hatte, das Parteibuch der SPD zurückzugeben, da meinte er -- nach kurzem Zögern -- heftig, ja, damals als es nicht gelungen sei, Thilo Sarrazin aus der SPD auszuschließen. Hier widerspreche ich Kevin Kühnert insofern, als ich Sarrazins Arbeiten anders bewerte und behaupte, Kühnert kann nur zu diesem Schluß gekommen sein, weil er -- wie es mir scheint -- Sarrazins Bücher überhaupt nicht (gründlich) gelesen hat. Ich habe das jedenfalls getan, die meisten dort angeführten Quellen nachgeprüft, und bin zu dem Schluß gekommen, daß die öffentliche Aufregung über Thilo Sarrazin völlig unangemessen und überzogen ist, daß die dortigen Inhalte durchaus diskutabel und deren Darstellung diskursfähig ist. Die Aufregung und (häufig vielleicht doch auch gespielte?) Empörung findet jedenfalls kein Fundament in Sarrazins Sichtweisen. Gerade eine Partei, die am Diskurs interessiert ist, ihn immer wieder auf ihre Fahnen schreibt, sollte mit diesen Wirklichkeitsdarstellungen anders umgehen können als darauf mit Diffamierung und gar Haß zu antworten. Eine Volkspartei muß die Bandbreite innerhalb einer Gesellschaft zulassen und auch aufgreifen. Hat hier Kevin Kühnert gar aus einer Art von Pflichtschuld gegenüber seinem Status als "Linksaußen" innerhalb der SPD wenig fundiert gesprochen? Ich weiß das natürlich nicht; eine gründliche Diskussion mit ihm wäre mir das jedoch sicherlich wert, dies dann auf der Grundlage des jeweiligen Kontextes zu kritisierten Passagen oder isolierten Sätzen. Nochmals: Ich vermute, hier hat er sich gewiß nicht ausreichend genug sachkundig gemacht. Aber Sachkunde ist ebenfalls eine elementare Verpflichtung für einen Politiker.
In einem etwas anderen Licht dagegen erscheint mir Paul Ziemiak. Man kann natürlich seine Zielstrebigkeit bewundern, denn wer weiß schon mit 13 Jahren so genau, daß er "in die Politik" möchte. Und so ganz eindeutig war die Richtung ja nicht, wie sein Anklopfen bei drei (doch recht verschiedenen) Parteien war. Und dann der konsequente Weg: fast ausschließlich dem Erfolg auf der Leiter einer Parteikarriere ausgerichtet. Dann eigentlich der für (spätere) Politiker nicht unübliche Weg über ein Jurastudium. Dieses dann nicht ordentlich abgeschlossen, die Prüfung nicht bestanden. (Man sollte hier berücksichtigen, daß auch davon berichtet wird, daß in jener Zeit seine Mutter sehr früh (an Krebs) gestorben ist und er sich um sie in ihrem Leiden sehr intensiv gekümmert hat. Es kann durchaus sein, daß hierfür die Ursache für das Scheitern im Studium zu finden ist.) Und die fehlende Prüfung sagt obendrein sicherlich nichts darüber aus, ob er in seinem Studium nicht umfassende juristische Kenntnisse erworben hat, die ihm gegenwärtig bleiben und für sein Arbeiten somit hilfreich sind. Gleichwohl: seine Studienbiographie (es gibt ja noch ein zweites Studium, s.o.) scheint für Außenstehende nicht gerade als Achtung einflößend. Ziemiaks Biographie weist natürlich einen anderen Lebenshintergrund auf als ihn die meisten Parlamentarier kennen. Er ist als Flüchtling mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen, kennt als eine ganz spezifische Lebenswelt mit den Umständen innerhalb derer er sich zu behaupten hatte. Und das gelang ihm ja, schulisch gesehen bis hin zum erfolgreichen Abitur. Fakt ist aber auch: die politische Welt hat er zumindes überwiegend innerhalb seiner Parteisozialisation kennengelernt. Und die JU ist alles andere als die Jusos; das dürfte sich auch in der persönlichen Entwicklung nolens volens zeigen. So beschreibt Emilia Smechowski: "Von der JU wird erwartet, dass sie sich ein bisschen aufmüpfig zeigt gegenüber Merkel, allerdings muss das wohldosiert geschehen, schließlich wollen sich die zukünftigen Alphatiere der Partei nicht die Zugänge versperren. Das ist einer von vielen Widersprüche im Leben von Paul Ziemiak." Und bezogen auf die Kampfkandidatur (ein für die JU eigentlich unüblicher Vorgang) bei der JU-Vorsitzenden-Wahl schildert E. Smechowski das so: "Später wird Paul Ziemiak sagen, die Menschen wollten dies doch: Geschichten hören. Er kann das gut, Stimmungen erfühlen, wissen, wann welche Ansprache angebracht ist. Beobachten, sich anpassen. Das hat er gelernt. (...) Paul Ziemiak lebt die typische Aufsteigergeschichte der CDU, einer konservativ, bürgerlichen Volkspartei. Die Partei sagt nicht: Wenn du anders bist, darfst du nicht bei uns mitmachen. Sie sagt: Du bist anders? Das macht nichts, du kannst dich ja anpassen." (Quelle: reporter-forum.de, Emilia Smechowski: Der Anpasser, SZ-Magazin vom 30.06.2070)
Ich denke, Emilia Smechowski hat die Institution, die Möglichkeiten und die Grenzen welche sie bietet und setzt, treffend erfaßt. Ein Kevin Kühnert hätte in der JU niemals etwas werden können, dazu ist er zu freidenkend, zu sehr Individuum mit eigenen und nur durch eigene Anstrengung erweiterbare Vorstellungen, er hat für sich zu enge Grenzen, was Anpassung und Unterordnung angeht. Ich denke, diese Verhaltensweisen sind jedoch notwendig, ist man an einer durch (Selbst-)Kritik getragenen Fortentwicklung einer Institution interessiert. Wer (zu) konservativ ist, kann damit sicherlich nichts oder nur sehr wenig anfangen: der findet in der JU dann seinen Platz und darf sich dort in deren relativ statischen Grenzen bewegen und entfalten. Mehr geht da nicht, für gar revolutionäres Denken dürfte dort kein Raum bleiben. Anders eben verhält es sich mit den Jusos und bei den Jusos. Insofern ist (war) Kevin Kühnert bei den Jusos gut aufgehoben, Paul Ziemiak wurde in der JU politisch sozialisiert und wird weiterhin in der CDU seinen ihn stabilisierenden Hintergrund, seine politische Heimat gestalten. Ich fürchte, dieses doch relativ eher enges "Erfahrungskorsett" wirkt sich zusätzlich auf eine fehlende breitgefächerte berufliche Basis und Praxis aus. Es fehlt da ein m.E. notwendiges Korrektiv, die Gefahr, daß der Blickwinkel auf die Gesamtgesellschaft sich verengt, ist dadurch größer.
Wer also mehr an Parteidisziplin, wer stärker an Fraktionszwang, wer weniger an konstruktivem Streit und heftigen Auseinandersetzungen interessiert ist, der oder die dürfte Personen mit der politischen Sozialisation (oder einer ähnlichen) wie wir sie bei Paul Ziemiak vorfinden, zufrieden sein, wer jedoch ernsthafteren Diskurs möchte, wer Nein-Sagen nicht als Problem sondern als Aufforderung zum Über- und Nachdenken empfindet, wem der Gedanke von "Nestbeschmutzung" nicht gerade als Sakrileg den Schlaf raubt, wer dem Denken von Utopischem (im Sinne von Möglichkeiten, von Imponderabilien! -- dies vor allem die Adresse von Herrn Dobrinth mit seiner vereinfachenden Etikettierung gerichtet ...) größere Räume belassen möchte, der wird wohl Politiker wie Kevin Kühnert (ob mit oder ohne entsprechende Abschlüsse) bevorzugen.
Letztere sind wohl anstrengender in der Auseinandersetzung, erstere vielleicht anstrengender wenn man größere Schwierigkeiten beim Ertragen von strikten Vorgaben hat ...
Wer nun eine klare Aussage dazu vermißt, ob man als Volksvertreter (ich erinnere an Helmut Schmidt und seine Aussage zu beruflichem Hintergrund, die ich übrigens nach wie vor teile, jedoch hier -- im Gegensatz zu Schmidt? -- Ausnahmen zulassen möchte) Politiker mit Abschlüssen oder anderen Biographien bevorzugen soll, den verweise ich auf meine obige grundsätzliche Haltung. Allerdings entbindet das nicht von einem jeweils individuellen Bezug und einem darauf gerichtetes Urteil. Man mag ja den Ex-Taxifahrer mit Abitur und seiner dann doch offensichtlich erfolgreichen Politkarriere als mostranzhaftes Beispiel für eine Art "Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär"-Politiker empfinden, mir imponiert das jedenfalls nicht, vor allem nicht vor diesem Hintergrund. Was es natürlich schon aussagt: in welchem Zustand eine Gesellschaft ist, in der das möglich ist. (Übrigens auch über die Stabilität des Fundaments der FDGO -- hier sollten auch einige für ein wirkliches Einsetzen für dieses Land kontraproduktive Verlautbarungen einiger Politpersonen, Gott sei Dank nur weniger, eine Mahnung, besser: eine Warnung, sein!).
Es ist eben oft "nur" die Gunst der Stunde bzw. der Zufall, die "momentane" Konstellation (z.B. als die Grünen sich so erfolgreich gründen konnten), welche die eine oder andere Politkkarriere dann ermöglichen. Ob wohl heute Claudia Roth (mit ihrer Biographie) noch eine Chance in einer Partei hätte, müßte sie nochmals von vorne anfangen? Ich glaube eher nein. Jede Zeit läßt eben Dinge zu und eine andere nicht, jede Zeit setzt auch entsprechende Grenzen bei Möglichkeiten: jedenfalls ist die Flexibilität nicht endlos .. Oder um eine Politikerin für ein anderes Beispiel zu nennen, die erfolgreich ein Studium abgeschlossen hat (sicherlich nicht gerade auf schwierigstem Gebiet), also aus bürgerlicher Perspektive eine "ordentliche" (=geordnete?) Biographie vorzuweisen hat, in einem Kurzpraktikum bei einer Schreinerei dann feststellen muß, sie habe gar nicht gewußt, was so ein Schreiner alles herstellen kann und dann ob ihrer Bürgernähe und Kompetenz in einer norddeutschen Zeitung hochgelobt wird, als habe sie gerade den Goldkranz im Erkenntnisvermögen gewonnen: natürlich ist ein "better late than never" besser als nichts, aber wer bereits auf derart einfachen Niveau den Blick für unsere Gesellschaft verloren hat, der oder die dürfte wohl nicht unbedingt adäquate Repräsentanz im Parlament ausüben können. (Oder genauer: hoffentlich nicht, denn dann stünde es wirklich mehr als arm um die Gesellschaft der Dichter und Denker und Werktätigen ...)
Die Antwort auf die Frage, ob Volksvertreter einen Abschluß als Grundlage für ihre (dem Volk gegenüber!) verantwortungsvolle Tätigkeit vorzuweisen haben, und vor allem: welchen, läßt sich pauschal nicht so einfach beantworten. Der Fokus sollte hier auf die angemessene Repräsentanz liegen, ein Parlament das überwiegend aus Akademikern besteht (ungeachtet derer Qualität) erfüllt diesen Anspruch jedenfalls nicht! Warum aber dann so viele Akademiker, so viele, die zumindest als solche erscheinen wollen, bisweilen sogar mit ihrem Abschluß bzw. mit einer "Dissertation" Schindluder betreiben, in unserem Bundestag? Den Versuch einer Antwort ist diese Frage schon wert, nicht wahr? Es wird alllerdings auch bei dieser Frage -- das steht zu befürchten -- keine eindeutige Antwort, schon gar keine zufriedenstellende, geben. Dennoch: weiter unten greife ich diese Thematik kurz einmal auf ...
Wo und wie auch immer das Vortreffliche auftritt; gleich ist die gesamte
Mittelmäßigkeit verbündet und verschworen, es zu ersticken.
Arthur Schopenhauer
"Doktor" ist nicht gleich "Doktor" und auch nur in ganz bestimmten Fällen notwendige Bedingung zum beruflichen Dasein. Und wie steht es um die "persönliche Komponente" im "Doktor"-Kontext? Ein paar Anmerkungen aus meiner schriftstellerischen Perspektive (mit besonderem Fokus auf Politiker) ...
Teil I
Fakt ist: ein Doktortitel spielt im politischen Geschäft nicht gerade eine unbedeutende Rolle. Ganz im Gegenteil! Vielen erscheint er wichtig, gar unverzichtbar, bestimmt auch -- je nach gewähltem Ziel -- zielführend. Diese (zumindest subjektiv und vielfach auch objektiv praktizierte) Wichtigkeit wird -- so meine ich -- immer dann besonders auffällig, wenn wieder einmal ein Verfahren der Aberkennung eines Doktortitels eingeleitet wird, eingeleitet werden muß. Das schlägt bei entsprechend betroffenen Politikern und Politikerinnen meistens besonders hohe Wellen, nicht zuletzt weil sich die Öffentlichkeit mit großer Schadenfreude und Häme dann wie die Prädatoren auf ihr Opfer stürzen. Und unterhaltsam ist es für viele dann ohnehin auch noch. Für manche sind eben Dinge (fast schon) überlebenswichtig und sinnstiftend, wenn man sein Opfer (wieder einmal mehr) gefunden zu haben glaubt. Oft sind es dann Politiker, welche zuvor hochgelobt worden waren, dann wie zum Beispiel dereinst der CSU-Politiker von und zu Guttenberg lernen mußten, was das Sprichwort "the higher the top the bigger the drop" tatsächlich bedeutet.
Sollte man sich nicht besser einmal davon verabschieden, Politiker und Politikerinnen nach derartigen "Äußerlichkeiten" (überhaupt: nach Äußerlichkeiten und der Fähigkeit zur Selbstinszenierung!) auszusuchen und zu schätzen? Ja, man sollte.
Ein Doktortitel macht noch lange keinen guten Politiker, allerdings wer bei der Dissertation unseriöse Wege gegangen ist, hat wohl auch nicht die Eigenschaften, die zumindest ich mir von einem Volksvertreter wünsche. Das sei hier auch einmal gesagt. Seriös müssen sie nämlich schon sein: unsere Volksvertreter. Und Seriosität hat mit durchlaufenen (oder nicht durchlaufenen) Bildungsgängen meistens wenig zu tun, mit Bildung allerdings jede Menge!
Warum glauben so manche, ein Doktortitel mache sich für einen Politiker besser, erhöhe seine Chancen innerhalb der Partei oder beim Wahlvolk? Weil eben viele Menschen vor Achtung halbstarr und ehrfurchtsvoll geraten, wenn jemand mit einem Doktortitel gekrönt erscheint, ist man hier versucht die (übrigens längst geklärte aber immer noch gerne zitierte) Frage zu stellen: was denn zunächst da gewesen sei, die Henne oder das Ei. Auf die "Doktorei" gewendet: Strebt man den Doktortitel an, weil man so seine Chancen beim Wahlvolk verbessert (sprich: verlangt der Bürger nach "Doktor") oder aber ist man diesen Weg aus anderen Gründen gegangen und kann letztlich nichts dafür, daß von anderen diesem Titel so eine Art "Zauberwirkung" zuschreibt? Kurz gefaßt: Ist es so daß Leute glauben, weil jemand den Doktortitel hat, ist jener zugleich eine Art Tausendsassa im Lösen gesellschaftlicher und politischer Probleme, jedenfalls besser dazu geschaffen als andere, die nicht diesen akademischen Höhenweg erklommen haben?
Natürlich sind viele Vorstellungen darüber, was so ein Doktortitel eigentlich bedeutet, was er tatsächlich aussagt, falsch! (Schon gar nicht sind solche Titelinhaber die besseren Menschen, meistens nicht mal die kompetenteren -- allerdings je nach betrachtetem Gebiet.) Also klären wir zunächst: was ist das denn eigentlich, ein "Doktor" (nicht angesprochen sind hier -- das sei ausdrücklich betont -- Mediziner, die man vielfach als "Doktor" anspricht, ob mit oder ohne Titel spielt da weniger eine Rolle; obendrein sind Dissertationen von Medizinern sehr differenziert zu betrachten, aber das soll uns hier an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen ...).
Aus rein sachlicher Perspektive gibt es sehr, sehr viele Berufe, bei denen ein Doktor-Titel nicht notwendig, also keineswegs zielführend ist. Wer allerdings systematisch eine (erfolgreiche) akademische Karriere anstrebt, kommt am Erwerb eines Doktortitels kaum vorbei. Was geschieht also beim Erwerb eines Doktorgrades, was sind die damit eng verbundenen Umstände und Voraussetzungen?
Zur Erlangung eines Doktorgrades (vergeben durch eine Wissenschaftliche Hochschule mit Promotionsrecht!) ist grundsätzlich eine herausragende wissenschaftliche Arbeit, die festgelegten qualitativen und formalen Kriterien entsprechen muß, vorgeschrieben. Bekannt ist eine derartige Leistung unter den Begriffen Doktorarbeit, Dissertation (Diss.), Inauguraldissertation, Antritts- oder Einführungsdissertation (andere Bezeichnungen noch: Promotionsschrift, Dissertationsschrift, Doktorschrift).
Neben der Annahme der Doktorarbeit (im angelsächsischen Sprachgebrauch: PhD thesis) und deren Veröffentlichung ist noch das Bestehen einer mündlichen Prüfung notwendige Voraussetzung. Diese erfolgt entweder als eine Disputation (hier werden die Inhalte der Dissertation verteidigt; disputare = auseinandersetzen, erörtern, über etw. abhandeln; es handelt sich also um ein "wissenschaftliches Streitgespräch") oder aber durch das sogenannte Rigorosum (hier werden neben dem eigentlichen Thema der Dissertation noch weitere Inhalte aus dem jeweiligen wissenschaftlichen Kontext abgeprüft).
Eine Doktorarbeit ist also eine Forschungsarbeit, in der die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Arbeiten nachzuweisen ist. (Etwas anders scheint die Einstufung von medizinischen Dissertationen zu sein: sie können im Gegensatz zu anderen Disziplinen bereits während des Studiums begonnen werden, haben meistens einen deutlich geringeren Umfang als Doktorarbeiten in anderen Wissenschaftsbereichen, werden deshalb oft nicht als "vollwertige" Dissertationen gesehen und vielmehr eher mit den Diplomarbeiten veglichen; insofern ist es auffallen, daß der deutsche "Dr. med." vom European Research Council nicht ohne zusätzliche Anforderungen dem (internationalen) Grad eines Ph.D. gleichgestellt werden!)
Es gibt übrigens auch noch die Möglichkeit einer kumulativen Dissertation: Hier werden, statt in einer Monographie die Dissertation zu erstellen, mehrere zunächst eigenständige Texte (z.B. Teilergebnisse einer Forschung durch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften) erstellt, diese abschließend zu einem Sammelwerk zusammengefasst und dann gemeinsam bewertet. Allgemeingültige Regeln, wie das abzulaufen hat, gibt es bislang in Deutschland jedoch nicht; die Voraussetzungen hierfür wird in der Promotionsordnung einer jeweiligen Fakultät festgelegt. Mögliche ausschlaggebende Kriterien können u. a. sein: Anzahl der Publikationen, Art der Publikationen (Kasuistik, Originalarbeit, Übersichtsarbeit), Wertigkeit der Fachzeitschriften in denen veröffentlicht wurde (Impact-Factor), Autorenschaft des Doktoranden (Erstautor!). Ein standardisiertes Verfahren für die Erstellung einer kumulative Doktorarbeit steht allerdings noch aus; der dadurch erworbene Doktorgrad ist mit den anderen erworbenen gleichwertig.
Worin unterscheiden sich Doktorarbeiten beispielsweise von anderen wissenschaftlichen Arbeiten wie Examens-, Magister- oder Diplomarbeiten? Sie haben eine eigenständige wissenschaftliche Arbeit zu sein, während bei den anderen vorgenannten Arbeiten überwiegend der aktuelle Forschungsstand, dies zumeist auch noch unter Anleitung von Hochschuldozenten, wiedergegeben wird. Die Dissertation soll einen forschungsbasierten Wissenszuwachs enthalten. Die Doktorarbeit wird meistens an einem Institut angefertigt (sie kann jedoch auch ohne Anstellung oder Immatrikulation bei einer Universität angefertigt und "extern" bei dieser eingereicht werden) und erfolgt unter Betreuung eines Professors oder Privatdozenten ("Doktorvater", sprachlich neuerdings natürlich auch "Doktormutter", Mentor/in, Betreuer/in). Viele Promotionsordnungen verlangen, daß von Anfang an ein Zweitbetreuer / eine Zweitbetreuerin festgelegt werden (die auch Angehörige einer anderen Universität sein können).
Der lateinische Ursprung von Dissertation (dissertatio = Auseinandersetzung, Erörterung, ausführliche Besprechung) verweist schon darauf, daß ein Thesenpapier als Kernleistung der Promotion durch die "disputatio" vorbereitet und ergänzt werden sollte, deshalb auch die o.g. mündliche Prüfung als Teil der Promotion. Nochmals sei betont: der Ablauf eines Promotionsverfahrens kann sich von Universität zu Universität unterscheiden, ein Trend zur Vereinheitlichung ist im Kontext des Bologna-Prozesses jedoch allmählich zu erkennen.
Ungeachtet dessen, ob eine Dissertation theoretisch, hermeneutisch oder historisch orientiert ist, ob sie empirisch oder experimentell gewonnene Erkenntnisse beschreibt und / oder interpretiert, sie muß auf jeden Fall methodisch einwandfrei sein. (Dies ist mitunter nicht der Fall, wie immer wieder nachträglich aus diesen Gründen aberkannte Doktortitel belegen!) Und eine Dissertation -- nochmals hier betont! -- soll belegen, daß der Kandidat / die Kandidatin sowohl wissenschaftlich aus auch selbständig arbeiten kann. Im Regelfall soll sie auch neue Erkenntnisse zum gewählten Untersuchungsgegenstand enthalten. Eine Doktorarbeit ist also ein vollwertige (!) Forschungsarbeit, es müssen Kenntnisse der relevanten Forschungsliteratur sowie der üblichen Arbeitsweise des Fachgebiets, die Fähigkeit zum Ziehen überprüfbarer (!) Rückschlüsse sowie die Integration der eigenen Arbeiten in den wissenschaftlichen Kontext nachgewiesen werden. (Auf den Sonderfall medizinischer Dissertationen habe ich weiter oben bereits kurz hingewiesen: hier gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich Zeit- und Arbeitsaufwand, abhängig von der Art und Ausrichtung der Doktorarbeit: beispielsweise klinisch/experimentell oder prospektiv/retrospektiv, Festlegung des Beginns der Arbeit, etc., was freilich zu Problemen in der Vergleichbarkeit führt und die Diskussion über eine Vereinheitlichung der Promotionsanforderungen zusätzlich befördert. Natürlich gibt es hier anspruchsvolle Dissertationen, durchaus vergleichbar mit denen anderer naturwissenschaftlicher Fächer, aber auch jene die in kürzester Zeit und mit dem damit korrspondierenden Aufwand erstellt wurden, häufig binnen Jahresfrist ...)
Die im Ausland erworbenen Doktortitel -- dies galt zumindest bis zur Einführung der "Bologna-Regelungen" -- durften in Deutschland übrigens erst dann geführt werden, nachdem das jeweils zuständige Kultusministerium die Gleichwertigkeit festgestellt hatte (sog. Nostrifikation). So finden wir (gerade bei Politiker) immer wieder auch Beispiele für im Ausland erworbene Doktortitel, deren Anerkennung im Inhalt "Probleme" bereitet.
Wir können also feststellen: grundsätzlich sind Dissertationen für einen beruflichen Werdegang im wissenschaftlichen Bereich (vor allem bei Hochschulen) von Bedeutung, dafür oft auch notwendige Voraussetzungen zum "Aufsteigen" und "Fortkommen". Auch müssen wir festhalten, daß an Dissertationen wirklich sehr hohe Kriterien / hohe Anforderungen gestellt werden, die ja meistens dann auch erfüllt werden. Was aber besonders klar geworden ist: Die Erstellung einer Dissertation erfordert a) hoche Sachkompetenz, b) die Fähigkeit zu systematischem und ausdauerndem Arbeiten und auf jeden Fall c) viel, sehr viel, unendlich viel Zeit!
Daraus kann man sicherlich folgern: Wer nicht ein entsprechendes Zeitbudget zur Verfügung hat, der oder die wird wohl kaum eine Doktorarbeit erstellen können, die den vorgenannten Kriterien vollumfänglich entspricht. Allerdings ist der Zeitfaktor auch vor dem Hintergrund umfangreicher Recherchemöglichkeiten sowie der jeweils persönlichen Alltagsgestaltung und beruflichen wie persönlichen Einbindungen und Anforderungen zu betrachten.
Wie ist es dann gerade auch unter Berücksichtigung dieses Zeitaspektes möglich, daß auch Leute sozusagen neben ihrer beruflichen Tätigkeit, sofern sie nicht bereits an einer Hochschule, an einer Universität arbeiten und ihre Dissertation in vielen Fällen bereits mit der dortigen Aufgabenstellung verbinden können oder etwa von einer Firma "gesponsort" werden, promovieren (können)? Diese Frage bedarf näherer Erörterung!
Allerdings sei ergänzend erwähnt: Wer finanziell bereits so abgesichert ist, daß er / sie für den eigenen Lebensunterhalt nicht mehr groß sorgen muß, wer also "Millionär" oder bereits "Privatier" (ja, das tut es natürlich auch schon) ist, hat zumindest die Zeit, sich voll und ganz in eine angestrebte Doktorarbeit hineinzuknien, aber viele dürften es nicht sein, die dieses Privileg haben bzw. die in ihrer derart privilegierten Situation sich gerade der Erstellung einer Dissertation zuwenden würden.
Also neben jenen, die eine Dissertation für ihren (wissenschaftlich ausgerichteten) Berufsweg benötigen (sozusagen als eine condition sine qua non), gibt es also schon auch diesen Typus, der eine Doktorarbeit nur oder überwiegend deshalb schreibt, weil er sich entsprechend in eine Thematik vertiefen möchte, einfach Freude an dieser Form des Arbeitens findet, diese Arbeit dann in ihrer Vollendung entsprechend sozusagen als "krönenden Abschluß" formal gewürdigt sehen möchte (vor allem als Feedback) -- also auch: eine Doktorarbeit schreiben als Hobby -- und sich dabei auf den Titel als solchen nicht als primäres Ziel einstellen und ausrichten.
Auf der anderen Seite sind aber dann wiederum jene, denen es rein um den Titel als solchen geht und den Kontext dazu bestenfalls eher als zu erledigende Notwendigkeit erachten, also das Schreiben einer Doktorarbeit, weil man sich von dem Titel als solchen allein sich Vorteile für sein eigenes Leben erhofft und verspricht. Daß diese Haltung sich dann auch auf die Qualität einer Arbeit auswirken kann, ist zumindest ein sich aufdrängender Gedanke. Wer hier allerdings einwendet, mit einer "schlecht(er)en " Qualität könne man nie und nimmer einen Doktortitel zuerkannt bekommen, dürfte etwas realitätsfremd argumentieren bzw. einen in der Wirklichkeit leider nicht immer zutreffenden Idealzustand skizzieren. Nicht umsonst wird häufig (nicht nur in den USA, aber besonders auch dort!) bei Abschlüssen nach der Bildungsstätte, wo man sie erworben hat, gefragt und dann entsprechend gewichtet.
Was mir immer wieder aufgefallen ist, sind Aussagen von Politikern, wonach sie ihre Doktorarbeit (häufig bereits schon ihr Studium) unterbrochen bzw. aufgegeben haben, weil ihnen -- nach eigenem Kundtun -- neben der zeitlichen Inanspruchnahme im politischen Alltag einfach keine Zeit mehr für anderes bleibt. Dagegen stehen nun aber auch Vertreter aus der Politik, die offensichtlich kein Problem hatten / haben, trotz ihrer Arbeitsaufgaben noch nebenher eine Dissertation zu schreiben.
Diese beiden entgegengesetzte Pole erzeugen natürlich eine kognitive Dissonanz: Geht das nun, die politischen Aufgaben in vollem Umfang wahrzunehmen und trotzdem eine Doktorarbeit zu schreiben oder geht das nicht und wenn doch dann zumindest unter Vernachlässigung der Pflichten? Und vor allem: Welche Auswirkungen könnte so ein Spagat auch auf die Qualität einer Dissertation haben, natürlich ebenfalls auf die Qualität der Aufgabenerfüllung innerhalb der Politik?
Ich möchte hier nun -- sicherlich ohne jeglichen Anspruch auf evidenzbasierte Generalisierbarkeit -- 3 Beispiele berichten, die ich mehr oder weniger "hautnah" miterleben konnte. Zwei davon beziehen sich auf Dissertationen, bei denen ein Riesenaufwand auch hinsichtlich zeitlicher Inanspruchnahme zu verzeichnen war und im Vergleich dazu eine, bei der es für mich doch weniger nachvollziehbar ist, wie man so eine Dissertation (wenn überhaupt, so zumindest mit Abstrichen bei der Qualität) bei dem daneben überdurchschnittlichen Engagement auf beruflichem (außerwissenschaftlicher Kontext!) und persönlichem Gebiet sowie politischem Feld (dem Hauptberuf!) überhaupt leisten kann. Abschließend möchte ich -- man sollte gerade wenn man die Blicke nach außen richtet, auch eigene Kontexte nicht vorenthalten! -- noch meine eigenen Erfahrungen mit dem Erstellen einer Doktorarbeit, dies im Zusammenhang mit meinem damaligen beruflichen Umfeld und Aufgabenbereich, kurz darstellen.
Beginnen werde ich mit einem für mich zumindest schwer nachvollziehbaren -- ich nenne es mal so -- "Zeit-Dilemma". Ausgangsthese: Wer eine Dissertation schreibt, braucht sehr viel Zeit, muß dafür viele andere Dinge beiseite lassen, kann schon gar nicht -- zumindest ohne Vernachlässigung von einzelnen Bereichen -- zusätzlich in einer Art "Ämter- und Aufgabenhäufung" fest eingebunden sein. Es handelt sich um eine Arbeit eines politisch überaus engagierten und eingebetteten Menschen, der für seinen beruflichen Einsatz sicherlich große Anerkennung verdient (hat). Da war,ist und bleibt aber wohl auch meine Frage, wie man das alles, ohne alle eingegangenen Verpflichtungen zu vernachlässigen, schaffen kann.
Da ich damals selbst wissenschaftlich mit einer Magisterarbeit beschäftigt war, ich für deren Ausarbeitung auch Quellen aus dem politischen Bereich beanspruchen mußte / wollte, kam ich über meine bereits sonstigen Aktivitäten (Bürgerinitiative) in noch näheren Kontakt mit dem (damaligen) Doktoranden. Wir diskutierten mehrfach über politische, vor allem auch über schulpolitischen Problemlagen. In einem der Gespräche teilte mit der Gesprächspartner mit, er könne mir da ein wertvolles Buch leihen (Hans Maier, Anstöße. Beiträge zur Kultur- und Verfassungspolitik, Seewald Verlag 1978). Er bräuchte es jedoch aus gegebenen Anlaß bald zurück. Das voluminöse Buch, 917 Seiten, hatte er in Teilen deutlich mit dicken Ausrufezeichen und Einkreisung von Textteilen versehen. Es zeigte sich später, daß jenes Buch Grundlage im Rigorosum sein sollte. Übrigens ein hervorragendes Buch, wie eigentlich alles von Prof. Dr. Hans Maier, der als Kultusminister in Bayern, 1970 bis 1986, vergleichsweise sicherlich eine Ausnahmeerscheinung gewesen war. Aber als zentraler Gegenstand im Rigorosum, wo es doch um das Aufzeigen entsprechender Kompetenz, s.o., gehen sollte? Da hatte ich damals schon meine erhebllichen Zweifel.
Nehmen wir einmal dies Beispiel, das zumindest die Berechtigung von Nachfragen hinsichtlich Zeitbudget und Tiefgang etc. beim Erstellen einer Dissertation aufzeigen dürfte sowie die Beleitumstände etwas näher vor. Gegen Ende der 1980er Jahre war in Deutschland das Thema "Gesamtschule" in Deutschland aus wissenschaftlicher Sicht schon ziemlich ausführlich untersucht und diskutiert worden (politisch blieb das Thema allerdings noch länger eine Art "Zankapfel"). Es war entsprechend fast unmöglich, hierzulande jemanden zu finden, der großes Interesse an der Betreuung einer entsprechenden Dissertation zeigte. Gleichwohl gab es vereinzelt immer wieder Bemühungen / Versuche, die Gesamtschulthematik als Doktorarbeit zu behandeln. Einen dieser Versuche stellt die Doktorarbeit "Pädagogische und bildungspolitische Probleme und Implikationen der Gesamtschule : aufgezeigt am Beispiel der integrierten Orientierungsstufe der Stadt Schwabmünchen/Bayern", Karl Vogele (1986, 228 Bl, Wien, Univ., Diss., 1986; Institution: Universität Wien, siehe: UB Wien, https://ubdata.univie.ac.at/AC05902958) dar.
Der Verfasser hatte zunächst die Ausbildung zum Volksschullehrer vollzogen und wurde schon sehr früh (1960 / JU) politisch (in der CSU) aktiv. Von 1963 bis 1969 war er als Volksschullehrer tätig. Im Zuge des Schulversuchs "Kooperative Gesamtschule Schwabmünchen" war er einer der stellvertretenden Direktoren unter dem damaligen Schulleiter Emmer. Aber sehen wir uns seine Biographie,veröffentlicht bei www1.bayern.landtag.de/www/lebenslauf_ehemalige (...), einmal wegen der dortigen Vollständigkeit genau an: "Volksschule, Humanistisches Gymnasium, Abitur. Studium der Pädagogik, Germanistik, Geographie, Politik und Philosophie. Lehrbefähigung für Volks-, Real- und Fachoberschule. 1986 Promotion zum Dr. phil. 1963/69 Lehrer an Volksschulen. 1969/71 Studienrat an der Staatlichen Realschule Schwabmünchen. 1971/74 Studienrat an der Fachoberschule Augsburg. 01.03. bis 01.10.1974 stellv. Gesamtschulleiter (Realschulzugleiter) an der Leonhard-Wagner-Schule Schwabmünchen.1955/65 aktiv in der kath. Jugendarbeit. 1963/65 Kreisjugendringvorsitzender. Seit 1960 Mitglied der JU und CSU. 1966/70 CSU-Ortsvorsitzender. 1970/72 CSU-Kreisvor sitzender im Altlandkreis Schwabmünchen. 1972/78 stv. CSU-Kreisvorsitzender im Großlandkreis Augsburg. 1972/78 Stadtrat in Schwabmünchen. Seit 1972 Kreisrat und seit 1978 Stellvertreter des Landrats im Landkreis Augsburg. Von 1978/86 Mitglied im Ausschuß für Landesentwicklung und Umweltfragen. Seit 1984 Vorsitzender des Arbeitskreises Umwelt Schwaben. Mitglied der CSU-Bezirksvorstandschaft Schwaben. Beiratsmitglied der Landeszentrale für politische Bildung seit 1974. Von 1974/78 und ab 1986 Mitglied im Ausschuß für kulturpolitische Fragen. Mitglied des Bayerischen Landtags seit 1974. Ausgeschieden am 28.04.1988." Karl Vogele wurde im Stimmkreis Augsburg-Land-Süd stets als Direktkandidat in den Landtag gewählt, was sicherlich für seine gute politische Arbeit und für eine intensiv gepflegte Nähe zur Wahlbevölkerung spricht.
Dr. Karl Vogele hat sich also als Lehrkraft vom Volksschullehrer (1963 bis 1969 als solcher tätig) durch zusätzliches Studium zum Realschullehrer (Studium in München /u.a. Prof. Marian Heitger) hochgearbeitet. Bei Wikipedia liest sich seine Bildungs- und Berufs-Biographie so: "Vogele erwarb die Lehrbefähigung für Volks-, Real- und Fachoberschule und war von 1963 bis 1969 an Volksschulen tätig, danach Lehrer an der Staatlichen Realschule in Schwabmünchen und an der Fachoberschule in Ausgsburg. Ab 1974 war er stellvertretender Gesamtschulleiter und Realschulkonrektor. Ferner war Vogele aktiv in der katholischen Jugendarbeit, Kreisjugendringvorsitzender und Mitglied des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses. 1960 wurde Vogele Mitglied der JU und der CSU. Dort war er Ortsvorsitzender, Kreisvorsitzender im Landkreis Schwabmünchen und seither stellvertretender Kreisvorsitzender im Landkreis Augsburg Er war Mitglied des Stadtrats des Kreisausschusses und Kreistags sowie stellvertretender Landrat im Landkreis Augsburg. Von 1974 bis 1988 war er Mitglied des Bayerischen Landtags, stets direkt gewählt im Stimmkries Augsburg-Land-Süd. 1988 wurde Karl Vogele als Nachfolger von Dr. Franz Xaver Frey zum Landrat des Landkreises Augsburg gewählt. Dieses Amt hatte er bis 2008 inne."
Die in Bayern durchgeführten Gesamtschulversuche (3 integrierte und 2 kooperative) wurden im Jahr 1994 beendet. Die Gesamtschule ist in Bayern ohnehin zumindest bei der CSU nicht als die für das Land sinnvolle Schulform gesehen wurden. So gab es allerdings auch Vorwürfe, die Schulversuche wären bereits mit dem Ziel des Scheitern-Sollens konzipiert worden, was ich persönlich nicht unbedingt so bewerten möchte. (Vergleiche beispielsweise zu jenen kritischen Sichtweisen: Helmut Lukesch, Ergebnisse und "Ergebnisse" -- Bemerkungen zu den Begleituntersuchungen über die bayerischen Schulversuche mit Gesamtschulen, Zeitschrift für Pädagogik 31 (1985) 4, S. 525 -541)
Jeder Schulversuch wurde wissenschaftlich begleitet und entsprechend dokumentiert, um dann so zu einem Gesamt der Auswertung mit dem Ziel politischer Entscheidungsfindung zu gelangen. Die Dissertation von Dr. Karl Vogele beschreibt den Schulversuch der Kooperativen Gesamtschule Schwabmünchen, wo er ab 01.03.1974 zugleich Realschulkonrektor und einer der stellvertretenden Gesamtschulleiter war (m.W. neben dem Gesamtschulleiter Emmer zunächst vier, dann fünf!).
Es ist zumindest nicht verwunderlich,wenn hier die kritische Frage auftaucht, wie eine Dissertation, die ja u.a. "eigenständig" zu sein hat und "neue wissenschaftliche Erkenntnisse" beisteuern soll, rein zeitlich zu bewerkstelligen ist, wenn zugleich eine Ämter- und Aufgabenhäufung (von doch sehr beachtlichem Ausmaß!) vorliegt.
Zum klareren Überblick hier nochmals die chronologisch wohl übersichtlichste Darstellung des Werdeganges: "Dr. Karl Vogele Realschulkonrektor, geb. 29.06.1940, Langerringen b.Augsburg. Lehrbefähigung für Volks-, Real- und Fachoberschule 1963-1969 an Volksschulen tätig 1969-1971 Lehrer an der Staatlichen Realschule Schwabmünchen 1971-1974 Lehrer an der der Fachoberschule Augsburg Ab 01.03.1974 stellv. Gesamtschulleiter (Realschulkonrektor) 1955-1965 aktiv in der katholischen Jugendarbeit 1963-1965 Kreisjugendringvorsitzender 1966-1972 Mitglied des Kreisjugendwohlfahrtsausschusses Ab 1960 Mitglied der JU und CSU 1968-1971 CSU-Ortsvorsitzender 1971-1972 CSU-Kreisvorsitzender im Altlandkreis Schwabmünchen, seither stellv. Kreisvorsitzender im Großlandkreis Augsburg Ab 1972 Mitglied des Stadtrats, Mitglied des Kreisausschusses und Kreistags Ab Mai 1978 stellv. Landrat im Landkreis Augsburg Mitglied des Bayerischen Landtags: 07.11.1974 - 28.04.1988. (Quelle: Haus der Bayerischen Geschichte: Biografien, Menschen aus Bayern) Ergänzung d.V.: ab 1988 dann Landrat
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Anläßlich einer Ehrung (seinem 70. Geburtstag) von Prof. Dr. Marian Heitger *) auf dem Mönchsberg in Salzburg 1997 gibt es im Netz eine Photoserie u.a. mit der Erläuterung "Dr. Marian Heitger in Salzburg auf dem Mönchsberg, 1997. ... mit seinem Schüler dem damaligen Augsburger Landrat Dr. Karl Vogele aus Schwabmünchen." (Quelle: flickr.com, entnommen 24. April 2020). So ist es für mich jedenfalls verständlich, daß jemand sich eine Person als Doktorvater auszuwählen versucht, den man bereits kennt. (Mit "Schüler" dürfte hier allerdings "Student" gemeint sein, hier wohl die Zeit des Aufbaustudiums zum Realschullehrer in München.) Prof. Dr. Marian Heitger nahm ja dann den Ruf an die Universität Wien an. Dort promovierte dann Dr. Karl Vogele auch bei ihm. So "wanderte" dieses Schwabmünchener Gesamtschulereignis dann eben nach Wien, doch etwas fernab bundesdeutscher Gesamtschulgefilden. Natürlich ist es nicht verwunderlich, daß es immer wieder fragende Stimmen gab, wie man denn als MdL, stellvertretender Landrat sowie mit vielen anderen politischen Aufgaben betraute Person noch Zeit, Kraft und Elan für eine anspruchsvolle Dissertation aufbringen könne.
Bohrende Fragen (diese leider wie so oft in solchen Fällen hinter vorgehaltender Hand) ließen genauso wenig warten (z.B. es sei hier doch nur der Ablauf des Schulversuchs niedergeschrieben worden) wie öffentlicher Spott (so z.B. im Fasching hörte man häufig den spöttischen Ruf "Dr. Vienna", sicherlich der Realität der alterwürdigen Wiener Universität überhaupt nicht angemessen, wie ich meine).
*) Prof. Dr. Marian Heitger, geboren am 18.08.1927 in Hamm (Westfalen), war von 1966 bis 1995 Professor für Pädagogik an der Universität Wien. Sein Werdegang: Studium der Pädagogik, Philosophie und Theologie an den Unis in Paderborn und Münster. Es folgten berufliche Tätigkeiten am Pädagogischen Seminar der Uni Münster (1951 Assistent), am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster, an der PH München und an der Universität Würzburg. In Wien war sein Gebiet Theoretische und Systematische Pädagogik, ab 1981 zudem Sonder- und Heilpädagogik.
Ich selbst hatte seinerzeit ein mir doch sehr seltsam anmutendes "Erleben": Da ich in jenen Jahren sehr viel an der Universitätsbibliothek in Augsburg für mein Magister-Studium arbeitete, fand ich dort einmal auch über die Recherche die Dissertation von Dr. Vogele. Ich nahm sie mir ein wenig vor, zu mehr reichte die Zeit wegen dringend zu erledigender Termine an jenem Tage leider nicht. Jedoch war es (damals) meine feste Absicht, diese Dissertation einmal gründlich durchzuarbeiten. Dies teilte ich der Bibliothek an jenem Tag auch mit, wollte mir die Arbeit reservieren lassen, was jedoch laut Auskunft nicht möglich war. Vier Wochen später wollte ich das Vorhaben dann verwirklichen. Das Problem nun: jene Dissertation war in der Recherche plötzlich nicht mehr zu finden. So suchte ich am Ort, wo die Arbeit zu finden sein könnte. Ergebnislos. Die anschließende Nachfrage bei den Bibliothekaren ergab dann aber etwas Seltsames: Angeblich hätte es diese Dissertation in der Augsburger Unibibliothek nie gegeben, sie könne auch gar nicht in der Recherche jemals gewesen sein ... Da fielen mir dann doch Medienberichte aus früherer Zeit an, wonach schon mal Dissertationen von Prominenten verschwunden waren. Das läßt einen zumindest nicht zufrieden zurück. Na ja, in Wien war sie ja noch, jene Dissertation über diesen Gesamtschulschulversuch.
Ich habe allerdings schon bei mehreren Personen miterleben können, wie sie ihre Dissertation geleistet haben, wie bei ihnen das Verhältnis von Zeit und Aufwand war: darunter war jedoch niemand, der da noch viel Zeit neben der Promotionstätigkeit, geschweige denn viel Freizeit hatte, alle jener Doktoranden arbeiteten an der Universität, hatten also keine anderen Beschäftigungen und Verpflichtungen, auch keine Familie um die sie sich zusätzlich hätten kümmern müssen. Für mich persönlich war es damals eher erschreckend mit anzusehen, wie neben dem Erstellen einer Dissertation kaum noch Zeit für "außerwissenschaftliches Leben" bleibt.
Natürlich frage ich mich da schon, wie derartige Unterschiede im Aufwand sein können, was letztlich die Ursache davon sein mag. Liegt es dann letztlich doch an der Qualität der jeweiligen Doktorarbeit?
So erinnere ich mich an A.M., der eine Dissertation in Ökonometrie schrieb; Tag und Nacht saß er damals bei Siemens vor einer jener damals so riesigen Datenverarbeitungsanlagen und simulierte Regressionsanalysen mit ihren jeweiligen Schätzern, wohlgemerkt dies neben all den anderen damit verbundenen Recherchen. Freizeit kannte jener Doktorand jedenfalls nicht. Natürlich ist eine naturwissenschaftlich ausgerichtete Arbeit vielleicht doch etwas anspruchsvoller, was Zeit und Umfang angeht, als z.B. eine geisteswissenschaftliche. Aber so groß dürften die Unterschiede nun auch wieder nicht sein (ich kenne auch einige Dissertationen aus den Geisteswissenschaften, die enorm umfangreich sind, nachweislich einen erheblichen Zeit- und Kraftaufwand bedeuten!).
A.M. stammte aus dem Iran, sprach hervorragend Deutsch, hatte mich seinerzeit jedoch gebeten, seine Arbeit bezüglich sprachlicher Formulierungen zu überprüfen. Dem Wunsch kam ich gerne nach, auch weil es eine Win-win-Situation war: ich konnte damals wertvolle Kenntnisse für mein Magisterstudium bezüglich mein Nebenfach "Quantitative Methoden" gewinnen. Jedenfalls erlebte ich den enormen Zeitaufwand jenes Doktoranden für seine Arbeit. (Er arbeitete übrigens sehr hart, strukturiert, zielstrebig und intensiv, vor allem mit der zweifelsohne notwendigen Gründlichkeit, also keiner, der viel Zeit durch "Umständlichkeit" etc. verplempert ...) Sicherlich erfordert eine Thematik wie "Schätzverfahren im linearen Regressionsmodell: Ein theoretischer und empirischer Vergleich" (Augsburg 1984) erhebliche Anstrengungen und viel Zeit. Für andere Beschäftigungen bleibt da, wenn überhaupt, nur wenig Raum.
Nicht viel anders stand es um R.I.'s "Nichtgleichgewichts-Phasenübergänge bei der Katalytischen Oxidation von CO an Pt(100)" (München 1984) , die zudem den sicherlich extrem hochstehenden Anforderungen eines Doktorvaters mit späterem Nobelpreis zu genügen hatte. Da hätte es keine Zeit für sonstige Aufgaben wie Wahrnehmung politischer Aktivitäten oder gar eines anspruchsvollen Postens wie MdL, stellvertretender Landrat, etc. gegeben.
Um Eingeweihten nur ein kleines Beispiel zu geben: Von fundamentaler Bedeutung bei Regressionsanalysen ist die Robustheit von Schätzern. Diese wird sehr oft in Simulationen untersucht und dann bestätigt bzw. falsifiziert. A.M. überprüfte einen solchen Schätzer in geradezu endlosen Simulationen und statt besser wurde dessen Qualität immer schlechter. Da das Gegenteil davon erhofft / erwartet worden war, mußte A.M. immer wieder Versuche durchführen. Diese Vorgehensweise bei unerwartetem Ereignis ist jedoch kein auf die Naturwissenschaften begrenztes Problem; es kann überall auftreten: so ist es durchaus bei der Auswertung von Gesamtschulversuchen, wie überhaupt bei Schulversuchen, immer wieder notwendig, sehr umfangreiche statistische Datenauswertung und dann die entsprechenden Verfahren zu diskutieren. Mit geringem Zeitaufwand ist dies jedenfalls kaum auf eine qualitativ zufriedenstellende (= von der Wissenschaft ernsthaft aufzugreifende und die Thematik erweiternde) Weise zu leisten. Ausnahmen dürften hier nur Abstriche in der Anforderung eines Doktorvaters zu finden sein, wenn zum Beispiel für die Erlangung des Doktorgrades ein Themenbereich entsprechend eingegrenzt und nur vereinfacht bearbeitet werden muß. Ist dies jedoch nicht der Fall, gibt es natürlich auch noch andere Verfahrensweisen der "Simplifikation", wie aberkannte Doktortitel einen immer wieder lehren.
Blickt man in die "Liste deutscher Dissertationen mit Plagiaten" (Wikipedia) fallen sofort zahlreiche Politiker bzw. Politikerinnen auf, denen im Nachhinein der Doktortitel wieder aberkannt wurde, weil deren Arbeit erhebliche Mängel aufwiesen. (In einigen Fällen wurde der Doktortitel nach Prüfung dann nicht aberkannt, z.B. weil "Plagiate ohne Täuschungsabsicht" gewertet wurden, weil sie "minderschwer" waren, auch wurde es schon mal bei einer "Rüge" belassen, weil die festgestellten Mängel für einen Entzug des Titels nicht hinreichend waren.)
Diese Erkenntnisse könnten darauf verweisen, daß in derartigen Fällen also unter Zeitdruck gearbeitet, daß die Dissertation sozusagen "nebenher" erledigt wurde, daß eben durch dieses Zuwenig an Zeitaufwand zwangsläufig diese "Minderqualität" erzeugt wurde. Bekannt sind vor allem auch einige "copy and paste"-Fälle sowie das Unterlassen der Kennzeichnung von Zitaten. Absicht oder "nur" Zufall bzw. Schlamperei? Die Antwort hierauf dürfte unterschiedlich ausfallen: Fakt scheint zu sein, daß man eine Dissertation eben nicht mal so parallelt zu anderen großen Verpflichtungen erledigen kann. (Vielleicht gibt es hier davon dann doch Ausnahmen, sogenannte Genies, aber die dürften vernachlässigbar sein, denn für die große Masse gilt sicherlich: Ohne adäquatem Zeitbudget keine qualitative Dissertation.)
Ein persönlich gesehen geradzu tragischer Fall mag der Entzug der Doktorwürde von Frau Annette Schavan durch die Universität Düsseldorf sein, denn da die Promotion bei ihr zugleich erster Studienabschluß war, hatte der Entzug des Doktorgrads zugleich auch den Verlust des Hochschulabschlusses zur Folge. (Geschadet hinsichtlich ihres beruflichen Werdegangs hat ihr das aber offensichtlich nicht.) (Quelle: Betrug und Fälschung in der Wissenschaft, Wikipedia)
Vielfach erinnern die Titel-Aberkennungs-Schicksale (und Schicksale dürften diese Vorkommnisse trotz allem sein!) an das Sprichwort "the higher the top, the bigger the drop". Ein Beispiel: Viele erinnern sich vielleicht noch an den aufstrebenden Politiker, dem wegen seiner vom Durchschnitt sicherlich herausragenden Eloquenz, seinen stets sehr analytisch wirkenden Darstellungen von Sachverhalten und Problemlagen und zusätzlich seiner stattlichen Erscheinungsform eine sehr große Zukunft in der deutschen Politik vorhergesagt wurde: Karl-Theodor zu Guttenberg. Nach eigenen Worten hatte er sich zum Abfassen einer Doktorarbeit "neben meiner Berufs- und Abgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevollster Kleinarbeit" entschlossen. (SZ vom 29. Juli 2013)
Der Doktorgrad war ihm von der Universität Bayreuth 2007 verliehen worden; als die Plagiate öffentlich wurden und ihm die Universität nach Überprüfung den Titel wieder entzog, trat Karl-Theodor zu Guttenberg am 1. März 2011 auch von seinem Ministeramt (Verteidigungsminister) zurück.
Welch problematische und durchaus lästig werdende Entwicklung neben der Entziehung eines Doktortitels so eine Angelegenheit zusätzlich nehmen kann, zeigt der Fall von zu Guttenberg zusätzlich: Wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das Urheberrecht waren 199 Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft in Hof eingegangen. In einem Riesenaufwand wurden monatelang Guttenbergs rechtswissenschaftliche Abhandlung (Titel: "Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU.") von "Polizisten und Staatsanwälten durchforstet". Es wurde auch überprüft, "ob eine Untreue oder ein Betrug zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland durch Inanspruchnahme der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages" vorlag.
Es konnte allerdings kein strafbares Verhalten festgestellt werden. "Die Staatsanwaltschaft Hof hat das Verfahren gegen den früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen dessen Plagiatsaffäre gegen eine Geldauflage eingestellt. Der Politiker muss in Abstimmung mit dem Amtsgericht Hof 20.000 Euro an die Deutsche Kinderkrebshilfe zahlen." Die Ermiittlungen wurden eingestellt. (Quelle und Zitate: FAZ vm 23.11.2011, Plagiatsaffaire: Verfahren gegen Guttenberg eingestellt.)
Zum Verfahren allgemein heißt es erläuternd im vorgenannten Artikel: "Laut Strafprozessordnung kann der Staatsanwalt auf eine Anklage verzichten und zugleich dem Beschuldigten Auflagen erteilen. Voraussetzung ist, dass Gericht und der Betroffene zustimmen. Somit würde zu Guttenberg als nicht vorbestraft gelten und auch keinen Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis erhalten. Die Schuldfrage bleibt nach Einstellung des Verfahrens juristisch gesehen jedoch offen."
Eine Dissertation ist in aller Regel mit erheblichem Kraft- und Zeitaufwand verbunden,das sei hier wiederholt betont. So "neben (...) Berufs- und Abgeordnetentätigkeit" dürfte das nur unter äußerst günstigen Voraussetzungen zu leisten sein, noch schwerer gerät dies dann, wenn man eine Familie mit all den damit verbundenen Bedürfnissen und Anforderungen hat. Schreibt unter diesen Umständen jemand eine Doktorarbeit, darf es nicht verwundern, wenn da so manche näher hinsehen ... (Gleichwohl möchte ich mir über den moralischen Aspekt dieses "Näherhinsehens" weiter unten doch noch ein paar Gedanken machen.)
Wie wichtig von Teilen der Bevölkerung und von einzelnen Politikern / Politikerinnen offensichtlich ein Doktortitel für die politische Karriere eingeschätzt wird, verdeutlicht auch die Geschichte um Andreas Scheuers Doktorarbeit. Die Promotion hatte Andreas Scheuer letztlich im Ausland an der Karlsuniversität in Prag durchgeführt. Dort hatte Scheuer 2004 ein 'kleines Doktorat' erworben, das ihn nur in Bayern und Berlin, nicht aber in anderen Bundesländern zum Tragen eines allgemeinen Doktortitels berechtigte. Nachdem Andreas Scheuer öffentlich für die uneingeschränkte Titelverwendung kritisiert worden war, hatte der dann doch noch darauf verzichtet, diesen akademischen Titel weiterhin zu tragen.
So berichtet die FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) am 18.01.2014 unter der Überschrift "CSU-Generalsekretär: Scheuer durfte in Passau nicht promovieren", daß nach Recherchen der FAS dem damaligen CSU-Generalsekretär und heutigen Verkehrsminister Andreas Scheuer "der Weg zu einer ordentlichen Promotion an seiner Heimatuniversität in Passau verbaut" war. Seine Magisterarbeit im Fach Politikwissenschaft war nur mit der Note 'befriedigend' bewertet worden und "mindestens einer der beiden Gutachter hegte schwere Bedenken ob ihrer wissenschaftichen Qualität." Für die Zulassung zu einer Promotion war jedoch die Mindestnote 'gut' Voraussetzung.
Die FAS zitiert den Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter, der jedoch an Scheuers Magisterprüfung nicht beteiligt war, folgendermaßen: "Andreas Scheuer gehörte nicht zu denen, die sich uns dazu aufgedrängt hätten, dass wir sie zu höheren akademischen Weihen führen." Professor Heinrich Oberreuter hatte jedoch "eine mündliche Prüfung im Rahmen Scheuers Staatsexamen im vorangegangenen Lehramtsstudium" abgenommen und die sei, so Oberreuter, "ordentlich" gewesen.
Aufschlußreich dürfte hier vor allem Oberreuters Einschätzung bezüglich "Scheuers Entscheidung, eine mit deutschen Standards nicht vergleichbare Promotion an der Karlsuniversität in Prag zu absolvieren", sein: "Scheuer wäre nie auf die Idee gekommen, den Umweg über Prag zu nehmen, wenn er sich davon nicht eine Beförderung seiner politischen Karriere versprochen hätte." Interessant ist auch die Stellungnahme von Juraprofessor Wolfgang Löwer (Bonn), Ombudsmann für die deutsche Wissenschaft, der eine Überprüfung der unter Plagiatsverdacht stehenden Promotionsarbeit von Andreas Scheuer für notwendig erachtete, denn die bekannt gewordenen Stellen, "sollten Anlass sein, genauer hinzusehen und zu prüfen, wie der Text entstanden ist" und "Ich gehe davon aus, dass die Karlsuniversität in Prag dieser Aufgabe nachkommen wird." (FAS, ebd.)
Wolfgang Löwer "stufte Stellen in Scheuers Promotionsarbeit, die offenbar aus einer Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung übernommen wurden, als 'klassisches Plagiat' ein. 'Diese Art der Übernahme ist äußerst signifikant', befand der Ombudsmann, der für gute wissenschaftliche Praxis und Verstöße dagegen zuständig ist. Es könne sich jedoch auch um ein Versehen handeln. Ob der Verfasser eine systematische Täuschungsabsicht verfolgt habe, sei erst durch eine gründliche Prüfung der gesamten Arbeit festzustellen, sagte Löwer." (FAS, ebd.)
Für mich (und sicherlich für viele andere an Seriosität Interessierte) stellen sich vor dem Hintergrund zahlreicher öffentlich kritisierter Dissertationen hier dann doch ein paar Fragen:
1. Wie kommt bei Bescheinigung einer nicht hinreichenden Leistung durch zuständige Stellen eine derart falsche Selbsteinschätzung (Überschätzung?) zustande?
2. Was führt zu dieser Beharrlichkeit zur Erreichung eines Zieles trotz Überforderung, zudem wenn man wissen sollte, wie es um die jeweilige Anerkennung von Abschlüssen steht?
3. Wie kann man vor sich selbst bestehen, wenn man eigentlich um die fehlende Adäquanz einer Leistung wissen müßte und weiß?
4. Selbst wenn es gelänge, die Öffentlichkeit zu täuschen: Wie kann es funktionieren, daß man nicht zumindest Schamgefühle sich selbst gegenüber empfindet?
5. Hat das Beharren auf Äußerlichkeit(en) (hier Führen eines dazu noch zweifelhaften Titels) mit mangelnder Identität zu tun? Fehlt es hier an Souveränität?
Die Antworten auf all diese Fragen und mögliche weitere dürften sicherlich vielfältig ausfallen, je nach persönlicher Verortung. Für mich stelle ich fest, daß ich keinerlei Freude an einer Arbeit, an einem Titel, hätte, selbst wenn andere dies positiver sehen würden, wenn ich aber um die mangelnde Qualität weiß. Insofern beanspruche ich auf meine Person bezogen durchaus den Satz von Anatole France, wonach es "schwieriger ist, sich selbst zu täuschen als andere". Das mögen andere geradezu umgekehrt handhaben (können). Gerade bei zahlreichen Personen des öffentlichen Lebens, aber auch im privaten Umfeld, kann man immer wieder diese Umsetzung erleben, sehen, spüren: "Wir sind so gewöhnt, uns vor anderen zu verstellen, daß wir uns am Ende vor uns selbst verstellen." (François de La Rochefoucauld)
Ich denke, Menschen, die ihre Kraft, ihr Tun, darauf verwenden, mehr scheinen zu wollen als zu sein, begeben sich der Möglichkeit des tatsächlichen Reifens, des wirklichen Wachsens an Aufgaben. Das kann man immer wieder auch im politischen Bereich erleben, das Maut-Desaster mag da stellvertretend für vieles andere stehen. Ich vermute, daß jemand, der sich im beruflichen Alltag nicht vielfältig zu beweisen hatte, sich der Konkurrenz entsprechend ausgesetzt hat (d.h. sich bewähren mußte), oder der beispielsweise in einer wissenschaftlichen Arbeit keine (große) Sorgfalt und analytische Fähigkeiten zeigen konnte, von diesem Mangel an Erfahrung und Kompetenz weiterhin belastet sein dürfte. Es stimmt nämlich nicht in allen Fällen, daß man mit den Aufgaben wächst (zumindest nicht hinreichend!). Dies trifft nur dann zu, wenn man als notwendige Voraussetzung die Einsicht in eigene Grenzen kennt und auf dieser Grundlage dazulernen, sich also weiterentwickeln möchte. Aber gerade dieses Eingestehen von (zumindest momentanem) Nichtkönnen, Nichtverstehen, Nichtwissen ist für viele -- vor allem auch in der Politik -- leider offensichtlich eine allzu große Hürde auf dem Weg zu (möglicher) Vervollkommnung.
Mag ja sein, daß dieser Gedanke für die große Masse bereits zuviel an Grenzüberschreitung zur Philosophie bedeutet, gerade auch für Politiker in ihren spezifischen Arbeitsbezügen (z.B. gekennzeichnet durch ja nicht zugeben, daß man von etwas momentan noch zu wenig oder keine Ahnung hat und erst einmal eingestehen sollte, daß man sich zunächst gründlich informieren muß, dazulernen muß ... -- dieses Damoklesschwert der Furcht vor Ansehensverlust, vor Identitätsverlorenheit über vielen gewählten Häuptern), die, was Philosophie (eigentlich: die Liebe zur Weisheit) angeht, sich eher im Alltag als besonders unphilosophisch erweisen (können), bisweilen wohl es vielleicht auch (leider) müssen.
Man kennt dies jedoch auch: Rücktritte von Politikern, die versagt haben oder denen (persönliches) Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, ja, man kennt derartige (mehr oder weniger freiwillige) Rücktritte. Leider jedoch kaum aus unserem eigenen Land. Da überwiegt da schon immer wieder eine Art von Sesselklebementalität, diese dann meist duch einen Zirkel intersubjektiver Übereinkunft eigener Seilschaften unterstützt und abgesichert. Vielleicht sollte man das in Deutschland auch noch mehr vervollkommnen, zu internalisieren, was das wirklich heißt und welche Konsequenzen es zu zeitigen hat: Übernahme von Verantwortung. Es gibt da durchaus ein paar (leider zu wenige) Länder, von denen wir sicherlich auch diesbezüglich dazulernen könnten ...
Wie man sich dann einen Politiker, eine Politikerin, hinsichtlich des Erkennens eigener Grenzen wünschen sollte? Ganz einfach: Wer entsprechend geringe Kompetenz hat, sollte die Finger von so einer Aufgabe gefälligst lassen! Und wem die Einsicht in entsprechend eigene Unzulänglichkeit fehlt, dem bzw. der sollten sie stets und unmißverständlich aufgezeigt werden. Wo die Möglichkeit auf einer bereits relativen Substanz aufzubauen vorhanden ist, sollte man dies unterstützend beobachten (und auch in der Öffentlichkeit wohlwollend begleiten, denn es darf nicht als Mangel angerechnet werden, wenn man partielle Unkenntnis einräumt, dies allerdings verbunden mit dem Willen und der Fähigkeit auf Wissenszuwachs!).
Und wer erkennt -- oder wenn es offenkundig für Außenstehende wird --, daß er in seinem Amt tatsächlich überfordert ist (und das dürften in den Regierungen immer wieder einige sein ...), für die sollte der sofortige Rücktritt zur Selbstverständlichkeit werden! Ein Kleben am Sesseln auf Kosten einer auf Höchstleistungsfähigkeit und Aufrichtigkeit hoffenden Wählerschar darf kein möglicher Weg sein! Man kann immer wieder von Personen hören, die vermeintlich oder tatsächlich aus der Einsicht in eigene Grenzen die anständige Schlußfolgerung gezogen haben. Das Ideal also muß sein: In ein Amt darf nur jemand ernannt werden, wenn er dazu auch die Fähigkeit aufweist; andere Kriterien wie Geschlecht, Herkunft, Länderproporz, Seilschaften, Häufigkeit der Medienauftritte, Bildungsabschlüsse (Doktortitel!), etc. dürfen keine entscheidende Rolle bei der Auswahl spielen!
Wir begegnen leider jedoch immer wieder der unerträglichen Diskrepanz von Sein und Schein, dem Problem von "Multum non multa", der Kluft zwischen Können und Nichtkönnen! Diese Dilemmata gilt es in einem positiven Sinn aufzulösen.
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Hier zur Erholung ein kleiner Exkurs, ein Beispiel dafür, wie jemand immer wieder als gutes Beispiel für Einsichtsfähigkeit dargestellt wurde, wie jemand eher der Devise "Schuster bleib bei deinem Leisten" als sich zu überfordern huldigen sollte (was er letztlich dann doch in einer Art Selbstkorrektur wieder verwirklichte bis hin zu seinem tragischen Ende ...), aber in einem Abschnitt seines Lebens dieser Maxime nicht folgen wollte, ja auch nicht konnte -- das muß der Wahrheit gehorchend hinzugefügt werden --, weil eben zu wenig Substanz (= Manpower) für die Lösung von schwierigen Aufgaben innerhalb der damals umgekrempelten Gesellschaft vorhanden war. Auch nahm die Uneinigkeit über die Gestaltung des neuen Weges für Kuba stetig zu, vor allem ging Ernesto Guevara zunehemend auf Distanz zum russischen Weg, näherte sich stattdessen mehr dem chinesischen Vorbild an, dies nicht zur Freude Fidel Castros.
Was aber durchaus -- trotz gewisser Märchenhaftigkeit dieser Übermittlungen -- ungeachtet der jeweiligen Gesamtbewertung von Che Guevara im Gedächtnis bleiben sollte, ist die ideale Vorstellung, daß ein inkompetenter Mensch seine Inkompetenz rechtzeitig erkennt (bzw. dazu gebracht wird, sie zu erkennen!) und daraus die Folgerung zieht: Ich trete zurück (bzw. erst gar nicht an)! Schauen wir uns aus dieser Perspektive an, wie es seinerzeit Che Guevara diesbezüglich ergangen ist ... (Das Beispiel dieses Mannes durch mich deshalb, weil Ernesto Guevara dem Bedürfnis nach "Mythen, Helden und Utopien" (P.I. Taibo II) zweifelsohne in sehr hohem Maße entgegenkommt und er vor allem in seinem Tun, wie immer man dies ansonsten (politisch) bewerten mag, sehr stimmig und glaubwürdig geblieben ist, eine durchaus nicht häufige Eigenschaft im politischen Bereich.)
Häufig wurde in dieser Hinsicht beispielsweise auch der Revolutionär Che Guevara als Vorbild genannt. Vielfach war kolportiert worden, er habe seine nach der erfolgreichen Revolution in Kuba (von Fidel Castro) zugewiesene Macht bald wieder freiwillig abgegeben, weil er selbst eingesehen habe, für diese Posten (er war Industrieminister, danach Präsident der Nationalbank Kubas zusätzlich mit den Vollmachten eines Finanzministers) nicht geeignet gewesen zu sein. Wenn es denn so gewesen wäre, hätte er ein leuchtendes Beispiel für Einsicht in eigene Grenzen von Kompetenz und mit daraus folgender persönlicher Konsequenz im Handeln sein können: ein Beispiel für all jene, die sich ein Amt zutrauen, sich dabei haushoch überschätzen und nicht die nötige Schlußfolgerung ziehen, nämlich freiwillig aus bester Einsicht sich wieder zurückzuziehen (oder die optimalere Lösung, das Amt erst gar nicht anzunehmen, wählen), zurückzutreten. Freiwilliger Rücktritt eines Politikers in Deutschland? Eher undenkbar. Fast schon ein sogenannter "Schwarzer Schwan", möchte ich da sagen.
Leider stimmt auch die vorgenannte so positive Haltung Che Guevaras hinsichtlich seines Rückzugs nicht (wäre ja schön, weil dann beispielgebend, wenn dem so wäre!). Die vielfach verbreitete sicherlich idealistisch wirkende Schilderung Guevaras hinsichtlich seines Rückzugs aus Verantwortung im Amt ist dann doch etwas zu monokausal gezeichnet, vielleicht ist diese so nicht zutreffende Darstellung seinem späteren Eingeständnis hinsichtlich eigener wirtschaftlich-organisatorischer Fehler geschuldet, weil Che Guevara z.B. auf einer Ägyptenreise gegenüber Gamal Abdel Nasser erklärte, daß die Revolution (in Kuba, d.V.) Fehler begangen habe und daß die Hauptverantwortung dafür bei ihm läge, "Wir haben 98% von allem verstaatlicht." (vgl.: F.D.Garcia, O. Sola, Hg, Che. Der Traum des Rebellen, Rütten & Loening, Berlin 2003, S. 148f.)
Gegen diese idealtypische Einsicht in eigene fiskalische und wirtschaftswissenschaftliche Inkompetenz spricht sicherlich auch ein doch recht langes Verweilen in diesen hohen Staatsämtern (vom 08.10.1959 bis März / Oktober 1965 -- Fidel Castro verliest am 03.10.1965 öffentlich den Brief Guevaras vom März 1965, in dem er den Rücktritt von all seinen Ämtern auf Kuba erklärt hatte; allerdings hatte nach Phasen der Desorientierung ab März endlich am 23. Juni 1065 Radio Havanna gemeldet, daß nunmehr Arturo Guzmán Pascual als Industrieminister fungierte), dann auch noch die zunehmende Entzweiung von Fidel Castro sowie Che Guevaras Wunsch und Plan in Afrika die Befreiung dortiger Menschen von der Unterdrückung zu unterstützen. In seinem Tagebuch hatte er zumindest tendenziell auch einen für ihn tiefergehenden Abschied von Kuba festgehalten, indem er schrieb daß ihn dies vor den Kubanern in einen Ausländer verwandele. Daß er jedoch zu wenig Sachkenntnisse für die Aufgabe in jenen Ämtern hatte, ließ er immer wieder durchblicken, arbeitete diesbezüglich hart an sich, reifte auch in und mit seinen Aufgaben, wie er auf zahlreichen Konferenzen und Verhandlungen wie Besuchen im Ausland zeigte. Gleichwohl: auch im eigenen Verständnis war er mehr Revolutionär als Politiker, irgendwie angesichts des Elends in der Welt auch "ruhelos". (vgl.: Daniel James, Che Guevara. Mythos und Wahrheit eines Revolutionärs, Heyne, München 1969; Paco Ignacio Taibo II, Che. Die Biographie des Ernesto Guevara, Hamburg 1997, hier: zu den Schwierigkeiten der Gestaltung von Wirtschaft und Finanzen nach der Vertreibung Battistas S. 286 ff.; Jon Lee Anderson, Che. Die Biographie, List, München 1997, eine sehr umfangreiche und sehr in Details gehende Biographie)
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Wir nähern uns damit sicherlich dem Erkennen, wie wichtig es ist, seine eigene Stärken und Schwächen zu erkennen, einzuräumen und mit ihnen konstruktiv umzugehen. Auch diese Fähigkeit ist nämlich ein Stück "Freiheit", oder um es mit Leo Tolstoi zu sagen: "Freiheit ist Befreiung von der Illusion, der Täuschung der Persönlichkeit." Und leider versagen diesbezüglich allzu viele Menschen, vor allem auch jene, welche Führungsaufgaben und Verantwortung für "das Ganze" wahrzunehmen haben.
Es gibt leider viel zu viel an Geschwätzigkeit, an Besserwisserei, böser formuliert: an Klugscheißerei, denn an wirklicher Kompetenz und gesunder Bescheidenheit. Jüngstes Beispiel von derartigem Fehlverhalten ist für mich -- der im Kontext der Coronakrise geborene -- Versuch des Gesundheitsministers Jens Spahn, einen Immunitätsausweis*) einführen zu wollen. Da weiß bislang noch niemand, ob jemand, der von diesem Virus einmal betroffen wurde, zukünftig deswegen bereits immun ist, man weiß nichts über eine Dauer möglicher einschlägiger Immunisierung und schon tritt ein Minister da forsch in die Öffentlichkeit -- mit einem aus meiner Sicht untauglichen (man kann auch subjektiv urteilen: dummen) Vorschlag. Nun, er wurde letztlich von der öffentlichen Reaktion sehr schnell dann zurückgepfiffen, aber statt seinen Irrtum, seinen Fehler im Denken, nun einzugestehen, hat er sich wortreich -- den wahren Hintergrund somit verschleiernd! -- vom eigentlichen Problem verabschiedet. Und dieses eigentliche Problem war in diesem Fall: er selbst ... Beispiele dieser Art aus der Politik gibt es leider zuhauf, sie sind fast schon die Regel. Reden ohne wirklich etwas zu wissen, auf tönernem Boden ein "Lösungsmodell" zu konstruieren, das kann nur schiefgehen, das ist schlechtes Beispiel, das ist armseliger Stil. Häufen sich derartige Erscheinungen, darf man sich nicht wundern, wenn ein Großteil der Bevölkerung von "Politik" ein schlechtes Bild bekommt und sich abwendet. Dabei bedarf Demokratie gerade des Gegenteils davon!
Anschein zu erwecken, Schein zu pflegen und ihn zu betreiben -- das sollte gerade auch in der Politik keinen Platz haben. Nicht eilfertige Schritte in der Nähe von Kameras, nicht leere Wörter in viele in sensationshafter Weise vorgehaltene Mikrophone geblasen, machen seriöse Politik aus, sondern das tatsächliche und ernsthafte Bemühen um Annäherung an Wahrheit, an Wirklichkeit, an Herausforderungen. Anders lassen sich anstehende Probleme nämlich nicht lösen! Wie hat Marc Aurel (bei ihm holte sich der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt nach eigenem Bekunden immer wieder gerne Anregungen!) es in seinen Selbstbetrachtungen einmal so schön und zutreffend gesagt: "Der Schein ist ein gefährlicher Betrüger. Gerade wenn du glaubst mit ernsten und hohen Dingen beschäftigt zu sein, übt er am meisten seine täuschende Gewalt." Diese Einsicht wünsche ich mir von so vielen Politikern (es gibt natürlich auch andere, die um diese Crux wissen und sich entsprechend mühen!), natürlich auch von anderen Menschen, hoffe ebenso auch für mich selbst, in diesem Ringen um Aufrichtigkeit den Ansprüchen zu genügen.
*) Auch Patientenschützer lehnen Pläne beim Coronavirus einen Nachweis für eine Immunität zu institutionalisieren ab. So urteilt beispielsweise Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, ein solcher "Immunitätsausweis wäre ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte." Der Vorschlag gehe "ethisch weit über die aktuelle Bekämpfung der Pandemie hinaus" und stellt weiter fest "Denn während die Immunisierten Teilhabe am öffentlichen Leben erhalten, wird sie den Nichtimmunisierten (das sind noch lange nicht Erkrankte!, Anm. d.V.) verwehrt. Das ist zutiefst diskriminierend." (so Brysch gegenüber Redaktionsnetzwerk Deutschland). Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Stand 05.05.2020) muß man noch gar nicht so weit in der Kritik gehen, denn es ist Fakt, daß noch keine verlässliche Aussagen über Immunisierung im Zusammenhang mit Corona gemacht werden können; mit einem bildlichen Vergleich kann man in Richtung Jens Spahn sagen, hier hat jemand gegackert ohne daß bislang überhaupt ein Ei gelegt worden ist. Es sollte freilich umgekehrt sein (wenn überhaupt notwendig) ...
Damit möchte ich den ersten Teil meiner Überlegungen zu einer Thematik, welche man durchaus auch in etwa "Sein und Schein" in der Politik beschließen. In einem zweiten, nachfolgenden Teil greife ich dann nochmals die Aspekt der "Wichtigkeit" eines Doktortitels für Politiker / Politikerinnen auf und werde daran anschließend sowie abschließend, sozusagen als "Akt persönlicher Transparenz", noch meine eigenen Erfahrungen und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen kurz aufzeigen.
Eine gute Abrundung dieses Abschnitts, weil aus meiner Sicht sehr zutreffend, liefert nach meinem Dafürhalten, sicherlich nicht nur an Personen im politischen Geschäft zu richten, einmal mehr der "Philosophenkaiser" Marc Aurel:
"Beschränke Deine Tätigkeit auf weniges, sagt Demokritos, wenn du in deinem Inneren ruhig sein willst. Vielleicht wäre es besser, zu sagen: Tu das, was notwendig ist und was die Vernunft eines von Natur zur Staatsgemeinschaft bestimmten Wesens gebietet und so, wie sie es gebietet; dies verschafft uns nicht nur Zufriedenheit, die aus dem Rechttun, sondern auch diejenige, die aus dem Wenigtun entspringt. In der Tat, wenn wir das meiste, was in unserem Reden und Tun unnötig ist, wegließen, so würden wir mehr Muße und weniger Unruhe haben. Frage dich also bei jeglicher Sache: Gehört diese etwa zu den unnötigen Dingen? Man muß aber nicht nur die unnützen Handlungen, sondern auch die unnützen Gedanken vermeiden; denn die letzteren sind auch die Ursache der überflüssigen Handlungen." (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen, Stuttgart 1995 -- Nachdruck der Ausgabe von 1949 --, S. 49)
Und nochmals der "Dr.", weil es oft so scheint: Ein Doktortitel als das (optimale) Aufstiegsgen in der Politik?
Teil II
Für all jene, welche sich stets oder überwiegend an zukünftigen Möglichkeiten orientieren, dabei ihr jeweiliges "So-Sein" außer Acht lassend, seien sozusagen als Introspektion Marc Aurels Gedanken Leitlinie: "Denke lieber an das, was du hast, als an das, was dir fehlt! Suche von den Dingen, die du hast, die besten aus und bedenke dann, wie eifrig du nach ihnen gesucht haben würdest, wenn du sie nicht hättest." Freilich: ich ergänze hier, daß man sich auf dieser Basis der Gegenwart nicht ausruhen sollte, sondern im Rahmen des einem jeweils Möglichen darauf aufzubauen hat, sich eben vervollkommnen muß. Hierbei ist die Ausgewogenheit von dem persönlichen Aspirationsniveau (Anspruchsniveau) dann jeweils zu berücksichtigen. Dieses Anspruchsniveau ist eng verknüpft mit dem Anstreben eines Ziels und der wahrgenommenen Schwierigkeit, dieses Ziel zu erreichen. Problematisch könnte hier jedoch die eigene Fähigkeit des Wahrnehmens sein. Hierunter fallen dann auch die Selbsttäuschung, falsche Selbsteinschätzung und Verkennung tatsächlicher Prioritätenfestlegung.
Auf eine angestrebte Dissertation bedeutet das freilich: Habe ich die notwendige Zeit, hindern mich andere Zielsetzungen an der tatsächlichen Verwirklichung (vor allem unter qualitativen Aspekten!), bin ich bereit (und auch fähig auf Grund der äußeren Umstände) auf andere Lebensgestaltung (vorübergehend) zu verzichten, habe ich die faktischen Voraussetzungen für einen solchen Weg und überwiegt das intrinisische Interesse gegenüber wie auch immer gearteten extrinsischen (Ver-)Lockungen?
Falsche Fehleinschätzung führt in aller Regel zu Minderqualität bei dem Versuch einer Zielerfüllung. (Dies gilt natürlich nicht nur für Dissertationen sondern für alle Lebensbereiche bis hinein in die unmittelbar persönliche Lebensgestaltung!) Bezogen auf den Sektor der Politik und dadurch ausgelöste "Anspruchssetzungen" kann man durchaus von einem seltsam anmutenden technokratischen Politikverständnis sprechen.
Das dahinterlegende Schema klingt einfach: So reichen beispielsweise Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan und Silvana Koch-Mehrin Doktorarbeiten ein, deren Qualität den Ansprüchen (s.o.) nicht entspricht, von Copy-Paste-Dimensionen durchzogen sind und was zu früheren Zeiten allein schon wegen des Arbeitsaufwands vielleicht unauffällig geblieben wäre, läßt sich nun dank Computertechnik relativ leicht erhellen: hier greifen dann Plattformen wie VroniPlag, GuttenPlag, WikiPlag, o.ä. und gründeln an der Substanz der jeweiligen in Verdacht geratenen Arbeiten. In anderen Worten: Schummeln dürfte nicht mehr ganz so einfach geraten, vor allem hat die Gefahr des Entdecktwerdens enorm zugenommen.
Man mag bei der moralischen Bewertung dieses "Schnüffelns" nach untauglichen Dissertationen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen; ich persönlich finde es grundsätzlich sinnvoll, hier die Spreu vom Weizen zu trennen, jedoch stellt sich mir zugleich die Frage nach dem faktischen Wert eines solchen Tuns, anders formuliert: Ist ein letztlich so eng umgrenzter Rahmen einer Doktorarbeit diese Aufmerksamkeit wert oder sollte man das alles dort belassen, wohin es letztlich gehört: in der Verantwortung der jeweils zuständigen akademischen Umgebung? Den hauptsächlichen Wert dieser Überprüfung sehe ich darin, daß es vielleicht dadurch auch öffentlich wird, welche Bedeutung eine Doktorarbeit tatsächlich hat und die Träger des Titels ihrer generellen "Habacht-Würdigung" zumindest etwas entzogen werden. Also daß eine Relativierung der Bedeutung eines solchen Titels in der breiten Öffentlichkeit stattfindet. Vielleicht führte eine derartige Hintergrundinformation dann auch dazu, daß Personen, denen Kompetenz, Zeit, Aufwandsbereitschaft zur Erstellung einer Dissertation fehlen, auf diesen Weg gänzlich verzichten und so in die Politik ein wenig mehr an Normalität einzieht. Was im akademischen Bereich unverzichtbar ist, nämlich mit einer Dissertation einschlägige Kompetenz und Erkenntnisfortschritt zu dokumentieren, dürfte gerade in der Politik, die Personen mit breitgefächertem gesellschaftsbezogenen (Er-)Kenntnisniveau als notwendige Bedingung erfordert, eher überflüssig sein. Es sollte somit an den Hochschulen und Universitäten liegen, hier die Ansprüche entsprechend hochzuhalten, abzugrenzen und Pseudowissenschaftlichkeit einen Riegel vorzuschieben! Dies würde auch einer möglichen Entwertung von Doktortiteln und anderen von den Hochschulen und Universitäten vergebenen Abschlüssen (z.B. Magister/Magistra Artium, neuerdings dann eben Bachelor und Master) entgegenwirken.
Mir erscheint wesentlich: Die breite Bevölkerung muß vor allem mit Blick auf Politik endlich erkennen können, was ein Doktortitel tatsächlich aussagt und ihn nicht als eine Art "Allumfassende-Kenntnis-Monstranz" einstufen. Weshalb soll eine Doktortitel-Inhaber denn in der Politik "besser" sein als jemand, der, in welchem bürgerlichen Beruf auch immer, eine umfassendere Kompetenz erworben hat!?
Ist denn jemand, der beispielsweise so "nebenher" einen Doktortitel erworben hat (gar jemand, der zuvor sich in keinem bürgerlichen Beruf längere Zeit und mit dort erworbenen Qualifikationen "bewiesen" hat) ein für das Volk besserer Vertreter als jemand, der stets oder überwiegend mit beiden Füßen in der gesellschaftlichen Realität stand / steht? Eher doch wohl nicht!
In einer zunehmend komplexer (und immer weniger duchschaubar) werdenden Welt -- Stichworte: Globalisisierung, internationale Waren- und Kapitalströme, Migration, Militäreinsätze, Klimaprobleme, Artensterben, Zerstörung von Umwelt und Lebensbedingungen u.a.m. -- kann man durchaus den Gedanken entwickeln, "Politik" ist nichts mehr für "Normalbürger", weil sie damit offensichtlich an ihre Grenzen stoßen. Verfolgt man diesen Gedanken so jedoch, dann sollte sehr schnell klar werden, daß es jenen, die es in die Politik zieht, nicht anders gehen dürfte, ganz im Gegenteil, daß es jenen vielfach noch mehr an einschlägigen Kompetenzen mangelt (weil ihnen häufig noch weniger breit angelegte Alltags- und Gesellschaftserfahrungen zuteil wurde / wird!).
Wie jedoch dann sich vom allgemeinen Volk als kompetenter abzugrenzen, sich gleichsam als den Aufgaben (völlig) gewachsen zu präsentieren? So dürfte das Diktum für viele Politikerinnen und Politiker lauten. Ein Mittel hierzu vielleicht dann: Ein Doktortitel muß her, denn mit ihm glaubt man sich von den "Normalsterblichen" absetzen, hervorheben, zu können. Und leider funktioniert dieses "Achtung-Erbringen" innerhalb der breiten Öffentlichkeit immer noch, Gott sei Dank mit abnehmender Tendenz. (Hier geht die Entwicklung wohl in die "richtige" Richtung; gleichwohl bleiben Leuten in der Politik -- allein schon auf Grund intersubjektiver Übereinkünfte hinsichtlich Strategien zur reinen Machterhaltung! -- immer noch genügend andere Mechanismen zur hinreichenden Täuschung der Öffentlichkeit.)
Fakt ist eben: Selbst ein mit größtmöglicher Kompetenz erworbender Doktorgrad sagt nur über die Kompetenz auf dem jeweiligen untersuchten Gebiet aus, jedoch überhaupt nichts über andere Kompetenzen, geschweige denn über allgemeine Kompetenz und Performanz!
Dieser Form verlogenen Expertentums arbeiten also jene Aufdecker von Plagiaten (jedweder Form) entgegen, sie tragen also letztlich zu mehr Transparenz bei. Das Vortäuschen von "Expertentum" wird somit durch das Tun der "Plagiatsjäger" dann doch etwas schwieriger und auch riskanter ... Zusätzlich zeigen sie auf, daß der Grat zu Täuschungsmöglichkeiten doch zunehmend schmaler wird, was natürlich auch andere Bereiche des "So-tun-als-ob" erfaßt. Die "Politik" hätte hier -- idealtypisch abgegrenzt -- grundsätzlich zwei Möglichkeiten: einmal die erhobene Kritik als Falsifikationsaspekt zu begreifen und entsprechend als Impetus zur Innovation aufzufassen oder andererseits die Kritiker zu diffamieren, sie mundtot zu machen versuchen, ihre Argumente als "gänzlich unzutreffend" und / oder "irrelevant" darzustellen. Leider wird immer noch -- zum Schaden der Demokratie und zur Verhinderung von notwendigem Diskurs -- der zweite, also der: schlechte, Weg beschritten. Die Devise: Machterhalt um der Macht willen. Das Ergebnis: Verhinderung von positiver Entwicklung, Vermeidung des Aufgreifens von unangenehmen Problemlagen.
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Ein weiteres Beispiel -- m.E. in vielerlei Hinsicht exemplarisches -- für die Fragwürdigkeit so mancher Ambitionen:
Unlängst gab es -- ich nenne es mal so -- Irritationen ob der Doktorarbeit der Familienministerin Franziska Giffey. Sie promovierte von 2005 bis 2009 im Bereich Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Titel der Promotion: "Europas Weg zum Bürger - Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft". In jener Zeit arbeitete Giffey hauptberuflich als Europabeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln, sie war nebenher Dozentin an der Verwaltungsakademie Berlin, im Juli 2009 kam ihr Sohn zur Welt und drei Monate später reichte sie an der FU ihre Dissertation ein. Vielleicht war es ja auch diese multiple Arbeitsverdichtung, welche die Plagiatsjäger von VroniPlagWiki auf den Plan riefen. Und sie monierten "zahlreiche wörtliche und sinngemäße Textübernahmen, die nicht als solche kenntlich gemacht sind" und "in mindestens 68 Fällen" habe die Verfasserin zudem für ihre Aussagen ganz oder teilweise Quellen angegeben, die "dem Anschein nach willkürlich gewählt" seien bzw. mit denen sich das von ihr Verfasste nicht ausreichend belegen lasse. Die weitere Überprüfung ergab dann Plagiate auf 76 von 205 Seiten (d.i. auf mehr als jeder dritten Seite!) und auf elf Seiten habe sie gar mehr als die Hälfte des Textes aus falsch oder unsauber zitierten Quellen übernommen, auf einer Seite sogar mehr als drei Viertel. (Quelle: Spiegel online, entnommen 10.05.2010)
Frau Giffeys Dissertation wurde von einem zuständigen Gremium der Universität untersucht. Eine solche Kommission wird vom FU-Präsidium für drei Jahre bestellt. Zusammensetzung laut Regelwerk: je ein Vertreter aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, den Naturwissenschaften und der Medizin, zudem eine "zentrale Vertrauensperson" sowie ein Hochschullehrer "mit der Befähigung zum Richteramt oder mit Erfahrungen mit außergerichtlichen Schlichtungen". Am Ende des Verfahrens wird dann entsprechend dem Ergebnis entschieden, ob ein akademischer Grad wieder entzogen wird.
Im Ergebnis kam das Gremium zum Ergebnis, Franziska Giffey habe zwar bei ihrer Dissertation unsauber gearbeitet, erhielt jedoch nur eine Rüge deswegen und durfte den Doktortitel behalten. Eine Anfrage an den Berliner Senat (es sollte der Vorwurf, Giffey habe vorsätzlich getäuscht, worauf hindeute, sie habe mutmaßlich Fremdtexte umformuliert wie etwa "Sätze umgestellt" oder "Wörter substituiert", geprüft werden) wurde folgendermaßen beantwortet: "Der Vorsatz wurde vom zuständigen Gremium zum Teil bejaht." Weiter heißt es: "Erteilung einer Rüge macht kenntlich, dass Frau Dr. Giffey nach Auffassung des zuständigen Gremiums in ihrer Dissertation die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht durchgängig beachtet hat." Weshalb dann der Doktortitel nicht aberkannt wurde, wird mit dem "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" begründet, denn gemäß Hochschulgesetz bestehe in so einem Prüfungsverfahren ein Ermessensspielraum. Bezogen auf die beanstandete Dissertation Giffeys wird das Ergebnis so zusammengefaßt: "Trotz der festgestellten Mängel handelt es sich nach Auffassung des Gremiums um eine eigenständige wissenschaftliche Leistung."
Übrigens hatte Familienministerin Franziska Giffey zumindest eine Konsequenz aus den gegen sie erhobenen Vorwürfen gezogen: sie schloß eine vorgesehene Kandidatur für den SPD-Parteivorsitz aus (dies bereits vor dem Abschluß der Überprüfung ihrer Doktorarbeit ), wohl um Schaden von der Partei zu vermeiden.
Für mich persönlich stellt sich (ungeachtet der Schwere von Unzulänglichkeit oder Täuschung) vor allem eine Frage: Was hat jemand persönlich davon, wenn er einen Titel erworben hat, der auf dünnem Eis gründet? Welche Befriedigung hat man, wenn man um die Unzulänglichkeit einer Leistung weiß bzw. diese im Nachhinein bestätigt bekommt? Gibt es da so etwas wie Schamgefühl, so etwas wie "schlechtes Gewissen", so etwas wie "Wo ziehe ich meine persönlichen Grenzen der Leistungsansprüche", so etwas wie "Wer bin ich denn eigentlich wirklich"? Oder auch: Wie und wodurch möchte ich auf andere wirken, welche Legitimation(en) spielen da eine tragende Rolle?
Miriam Olbrisch gibt mit Blick auf Franziska Giffeys Doktorarbeit auf Spiegel.de Panorama am 31.10.2019 (entnommen am 10.05.2020) eine durchaus nachvollziehbare Antwort: "Legal, aber wertlos." Sie geht auch davon aus, daß der Titel nicht aberkannt wurde, und meint: "Das eigentliche Defizit ihrer Dissertation sind allerdings keine schlampigen Quellenangaben, sondern ihr Thema: Giffey schreibt über sich selbst. MIt Wissenschaft hat das wenig zu tun." (ebd.) Olbrisch, wie viele andere, bezweifelt, daß mit dieser Dissertation ein Beitrag zur politwissenschaftlichen Forschung, also eine notwendige Voraussetzung für eine Dissertation!, geleistet wurde und konstatiert: "Am ehesten nützt sie wohl der Verfasserin, die sich in der Folge mit einem akademischen Titel schmücken darf, der auf ihre Glaubwürdigkeit als Politikerin einzahlen soll. Die Verantwortung liegt dabei allerdings nicht bei der Doktorandin, sondern vor allem bei der verantwortlichen Betreuerin, die diese Arbeit angenommen und durchgewunken hat."
Dieser Auffassung widerspreche ich allerdings zumTeil. (Auch möchte ich das "legal" nicht so uneingeschränkt unterschreiben, das "wertlos" jedoch schon!) Ich denke, daß bei Kenntnis des gesamten Vorgangs und Ablaufs nämlich die Glaubwürdigkeit sehr wohl beschädigt ist und bleibt, und zwar in Bezug auf alle beteiligten Personen und Institutionen. Wer hier anders hoffen sollte, muß auf die (schnelle) Vergeßlichkeit großer Teile der Bevölkerung zählen. Und erfahrungsgemäß muß man schon einräumen, daß die "Vergeßlichkeit" gerade mit Blick auf politische Kontexte immer wieder ein wesentlicher Wirkmechanismus ist, wie auch Wahlergebnisse immer wieder bestätigen. Natürlich (und hoffentlich) lassen sich nicht alle Menschen durch solche Vorkommnisse hinters Licht führen und der Optimist wird wohl auf einschlägige Besserung der Verhältnisse zählen. Damit derartige Dinge nicht dem schnellen Vergessen anheim fallen, damit nicht diese Verfahrensweisen perpetuierende Strukturen fortwähren, könn(t)en die unterschiedlichsten Medien zusätzlich eine wertvolle Aufgabe übernehmen und leisten.
Miriam Olbrisch verweist im Zusammenhang darauf, daß "Franziska Giffey (...) nicht die erste (ist), die auf diese Weise einen Titel erlangt hat". Als Beispiel nennt sie Kristina Schröder, Giffeys Vorgängerin im Amt des Bundesfamilienministeriums, ihre 2009 eingerichte Arbeit im Fach Politikwissenschaft hatte den Titel: "Gerechtigkeit als Gleichheit? Eine empirische Analyse der objektiven und subjektiven Responsivität von Bundestagsabgeordneten." Hierzu stellt Olbrisch fest, daß Frau Schröder zu jenem Zeitpunkt "schon sieben Jahre im Baundestag" gesessen hatte. Auch auf Helmut Kohls Dissertation "Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Partei nach 1945" hebt sie ab und meint, "die Recherchen dürften ihm nicht besonders schwergefallen sein. Kohl trat 1946 in die CDU ein, ein Jahr später gründete er in seiner Heimatstadt Ludwigshafen die Junge Union mit. Ein weiteres Beispiel nennt sie mit dem leider bereits allzu früh verstorbenen Guido Westerwelle und seiner juristischen Arbeit "Das Parteienrecht und die politische Jugendorganisationen", fertiggestellt 1994, wobei sie betont, Westerwelle sei "Gründungsmitglied der Jungen Liberalen und fünf Jahr lang deren Vorsitzender" gewesen. (ebd.)
Bei all diesen Dissertationen ergibt es aus meiner Sicht eben erneut die Frage, die ich weiter oben schon bei Karl Vogeles Dissertation über die Kooperative Gesamtschule Schwabmünchen gestellt habe: Wie ist es neben vielfacher beruflicher Belastung möglich, eine wissenschaftlich eigenständige Leistung zu erbringen? Eine weitere Frage liegt durchaus nicht fern: "Handelt es sich in solchen Fällen nicht um reines Zusammenstellen von Entwicklungsstufen mit einigen persönlichen Anmerkungen und Bewertungen versehen? Das muß natürlich nicht zwangsläufig so sein, aber naheliegend sind vor dem Hintergrund dessen, was eine Doktorarbeit aufzuweisen hat, entsprechende Untersuchungen allemal.
Frau Olbrisch urteilt, Franziska Giffey sei "keine Betrügerin, genauso wenig wie Schröder, Kohl und Westerwelle Betrüger sind. Aber sie alle haben den denkbar einfachsten legalen Weg gewählt, um sich einen Doktortitel auf ihre Visitenkarten drucken zu können -- und die Hochschule damit für ihre Zwecke missbraucht." (ebd.)
Eine Einlassung erscheint mir da doch notwendig: Wie wertvoll ist das Ergebnis überhaupt sowohl für einen selbst als auch für die Öffentlichkeit, die teilweise über Steuermittel da noch -- sei es indirekt (indem Interrollenkonflikte zumindest bezüglich diverser Zeitbudgets entstehen), sei es direkt (durch Bezahlung von Instutionen und deren Manpowerbindung durch Steuermittel) -- in Anspruch genommen wird, wenn nur ein "einfachster Weg" gewählt wird. Aber noch bedeutsamer erscheint mir hier der Aspekt: wenn man schon von "Mißbrauch" spricht, weshalb lassen sich Hochschulen "für (diese) Zwecke missbrauchen" und als Folgegedanken, wie sich solches zukünftig verhindern läßt ...
Uneingeschränkt ist deshalb aus meiner Sicht der von Miriam Olbrisch gezogener Schlußfolgerung zuzustimmen: "Leidtragende sind am Ende die Wissenschaftler: Diejenigen, die wirklich tief in ein Forschungsgebiet eindringen und Jahre damit verbringen, neue Erkenntnisse zu suchen. Universitäten sollten sich nicht mehr vor den Karren karriereambitionierter Politiker spannen lassen. Lehrstuhlinhaber sollten ausreichend Selbstbewusstsein besitzen, um von Promovierenden einen echten wissenschaftlichen Beitrag einzufordern - egal, wie prominent die angehenden Verfasser sind." (Hervorh. durch Fettdruck, d.V.)
Hier noch ein weiteres Beispiel für (notwendigen) Aufwand und (vorausgesetzte) Kompetenz zum Erstellen einer Dissertation. Ich habe seinerzeit den Weg des mit mir befreundeten Wissenschaftlers "hautnah" miterlebt, also einmal mehr gesehen (siehe auch die obigenBeispiele erneut!), wie sich das mit den Voraussetzungen und dem Ablauf einer seriösen Doktorarbeit in aller Regel verhält. In diesem Fall war der Promovierende bereits nach dem Abitur fast ausschließlich an der Universität tätig, mit wissenschaftlichem Arbeiten also bestens vertraut. Auch in diesem Fall gilt: Für andere Aufgaben wie das Ausfüllen eines politischen Amtes, einer anderen beruflichen Tätigkeit, für ausgiebige Freizeitaktivitäten und intensive soziale Interaktionen war da wirklich kein Raum mehr. Die Dissertation zog sich allerdings relativ lange hin, was dem Umstand geschuldet war, daß der Verfasser in seiner universitären Tätigkeit bei der Erstellung einer sehr viel Zeit und enormen Aufwand beanspruchenden textkritischen Ausgabe von Ulysses (James Joyce) maßgeblich beteiltigt war. (Siehe hierzu: James Joyce: „Ulysses. A critical and synoptic edition“, Hans Walter Gabler Hrsg. zus. mit Wolfhard Steppe und C. Melchior, Garland, New York 1984). Dadurch hat sich die Erstellung der Dissertation zwangsläufig erheblich verzögert.
Schließlich wurde die Doktorarbeit mit dem Titel "Sulpicius Severus im Leidener Glossar. Untersuchung zum Sprach- und Literaturunterricht der Schule von Canterbury" (Wolfhard Steppe, Lustheim, Selbstverlag,1999) als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt. Referent war Professor Dr. Helmut Gneuss, Korreferent: Prof. Dr. Hans Walter Gabler. Die mündliche Prüfung fand am 19. Juli 1996 statt. Die Arbeit umfasst inklusive Glossar und Literaturliste 474 Seiten.
Gut, sicherlich sind hier Maßstäbe gesetzt, die nicht an die Qualität jeder Dissertation gerichtet werden (können); gleichwohl zeigt sich hier die Konstanz notwendigen wissenschaftlichen Arbeitens mit der entsprechend erforderlichen Gründlichkeit, sodaß einmal mehr einsichtig werden sollte: so "nebenher", so "neben diversen anderen Aktivitäten und Verpflichtungen läßt sich eine brauchbare, zumindest gute Doktorarbeit nicht erstellen. Wir finden hier also den Einklang von notwendigen und hinreichenden Bedingungen vor. Auch haben wir mit dieser Dissertation als Beleg für angemessenes wissenschaftliches Arbeiten ein weiteres Exempel für den von Miriam Olbrisch (s.o.) aus guten und nachvollziehbaren Gründen uneingeschränkt eingeforderten "echten wissenschaftlichen Beitrag"! Nochmals: hier sind eben vor allem auch die Lehrstühle gefordert, entsprechende Grenzen zu ziehen ...
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Mit dem von mir bislang Dargestellten war jedoch die Geschichte um Franziska Giffeys Doktorarbeit leider noch nicht zu Ende. Die von mir so bezeichneten "Irritationen" zogen zumindest medial noch weitere Kreise. So schrieb Jochen Zenthöfer am 02.12.2019 in der Frankfurter Allgemeinen (online), entnommen 10.05.2020: "Plagiatsfall Franziska Giffey: Uni kennzeichnet Promotion falsch.Die Aufarbeitung der Plagiate in Franziska Giffeys Doktorarbeit ist um weitere Possen reicher. Die FU streicht dem verstorbenen Zweitgutachter seinen Titelzusatz." Dies gelesen, habe ich zunächst einmal gestutzt. Was soll das nun schon wieder bedeuten? Klarheit ward jedoch dann sehr schnell: es handelt sich um die Streichung eines Teils (sic!) des Doktortitels des 2011 verstorbenen Zweitgutachters, dem Soziologen Hartmut Häußermann. Statt "Dr.rer.pol." also nur mehr "Dr." ... Darauf muß man erst einmal kommen, vor allem wenn es eigentlich um die Plagiate in Giffeys Dissertation geht. Dabei hatte Hartmut Häußermann 1975 ganz ordnungsgemäß bei Professor Urs Jaeggi an der FU Berlin promoviert! Jochen Zenthöfer versucht diese Merkwürdigkeit zu klären und kommt zu folgender Überlegung: "Vermutlich wollte die Hochschule den „rer. pol.“ bei der Erstgutachterin Tanja Anita Börzel streichen. Denn vor kurzem fiel der FU durch eine Parlamentarische Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus auf, dass Börzel keinen „Dr. rer. pol.“ erworben hatte, als sie beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz promoviert wurde. Sie darf ihren Titel, dies hat die Kultusministerkonferenz dieser Zeitung auf Anfrage bestätigt, nur als „Dr.“ führen, ohne fachlichen Zusatz." (ebd.) Und er ergänzt: "Das schien weder Giffey bei Abgabe der Doktorarbeit zu wissen, noch fiel es damals oder heute jemandem an der FU auf. Börzel jedenfalls behält ihren fachlichen Zusatz, obwohl die Berliner Landesregierung Gegenteiliges versprochen hatte. Dafür verliert der unbescholtene Häußermann, der mit der ganzen Affäre überhaupt nichts zu tun hat, posthum einen Teil seiner Titelbezeichnung." (ebd.) Die abschließende Feststellung Zenthöfers, wonach die FU Berlin sich "derweil weiter 'Exzellenz-Universität' (nennt)", darf sicherlich ironisch oder gar spöttisch verstanden werden, denke ich.
Das ist aber nur eine der "Possen". Es gibt da nämlich auch noch ein Problem mit einem nicht lesbaren Namenskürzel, ein weiteres mit der Zusammensetzung des Untersuchungsgremiums sowie auch das der explizit ausgeführten Rüge. Auch da ergab sich also im Laufe der Zeit doch seltsam Anmutendes. Doch zunächst noch einmal die Verkündung der FU Berlin am 30. Oktober zum Untersuchungsergebnis hinsichtlich Franziska Giffeys Doktorarbeit: "Mit der Rüge missbilligt das Präsidium, dass Frau Dr. Giffey in ihrer Dissertation die Standards wissenschaftlichen Arbeitens nicht durchgängig beachtet hat. Die Freie Universität Berlin wird die Rüge in der veröffentlichten Fassung ihrer Dissertation kenntlich machen." Und das scheint es dann auch schon wieder gewesen zu sein, was inhaltliche Erläuterung(en) angeht.
Wie ging es nun weiter? "Am 18. November wurde in die Papierversion der Arbeit, die in der Bibliothek der Universität vorgehalten ist, auf der zweiten (bislang textleeren) Seite eine handschriftlich verfasste Information eingefügt: „Rüge erteilt durch das Präsidium der Freien Universität Berlin am 30.10.2019, 18.11.2019“, gefolgt von einem nicht lesbaren Namenskürzel." (Jochen Zenthöfer, ebd.) Frage: Weshalb ist das Namenskürzel nicht deutlich lesbar? Wird die Rüge vielleicht doch nicht allzu ernst genommen? Denn es fehlt jegliche Information, warum die Rüge erteilt wurde, nämlich wegen Plagiat. Ferner fehlt eine Auflistung, welche Textpassagen von den insgesamt 119 wegen Plagiats nicht zitiert werden sollten. Auch gibt es keine ersichtliche Angabe der Rechtsgrundlage dieser Rüge, denn der vorgenommene Bezug der FU auf §34 Abs.7 des Berliner Hochschulgesetzes regelt nur die Entziehung eines Titels; wegen des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes kann eine nicht vorgesehene Rüge nicht erteilt werden. Weiter ist zu sehen, daß gemäß §34 Abs.8 BerlHG eine natürliche Person ("von einem Leiter oder einer Leiterin") gesprochen wird, die so eine Rüge auszusprechen hat (im vorliegenden Fall wäre das der FU-Präsident Professor Günter Ziegler, Mathematiker, gewesen"), und nicht -- wie geschehen -- von einem "Präsidium". So scheint diese Rüge aus Gründen des Gesetzesvorbehalts (fehlende Rechtsgrundlage) sowie wegen mangelnder Kompetenz des Präsidiums sogar rechtswidrig zu sein ...
Kritisch berichtete auch Forschung & Lehre (.de) bereits am 31.10.2019 über diese Entscheidung der FU: "Plagiatsvorwurf. Ministerin Giffey behält Doktorgrad. Die FU hat die Untersuchung der Dissertation von Franziska Giffey abgeschlossen. Die Familienministerin ist erleichtert, andere sind entsetzt. (ebd., entnommen 10.05.2020) Demnach war der Gründer der Plattform "Vroniplag Wiki", Martin Heidungsfelder, über dieses Urteil entsetzt: "Das Ergebnis ist bodenlos und sehr ärgerlich. Frau Giffey scheint Immunität zu genießen (...) Niemals könnten sich andere Personen mit einem solchen Wissenschaftsbetrug halten. Giffey sollte ihren Hut nehmen und gehen. Sie schadet nicht nur dem Ruf der SPD, sondern auch dem der Hochschulen." und sie komme mit ihren Plagiaten davon, während andere für deutlich weniger Fehltritte ihren Doktorgrad abgeben mußten. (Quelle: Forschung & Lehre, ebd.) Bekanntlich hatte Vroniplag Wiki in mehr als einem Drittel dieser Arbeit Plagiate festgestellt.
Ich persönlich teile die Auffassung des bildungs- und forschungspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, Thomas Sattelberger: er hatte gefordert, daß im Falle einer Aberkennung des Doktorgrades Franziska Giffey "sofort" aus dem Bundeskabinett zurücktreten müsse. Diese Aberkennung ist nun mal nicht erfolgt, gleichwohl sollte man hier die von Sattelberger geforderten und anzulegenden Maßstäbe durchaus in die engere Betrachtung miteinbeziehen: "Wer sich mit wissenschaftlichen Weihen schmückt, dabei die guten Sitten seriöser Forschung übergeht (sic!d.V.), ist an der Spitze eines Bundesministeriums fehl am Platz." Ich möchte hier jedoch ergänzen: "fehl am Platz" wohl auch in vielen anderen Bereichen ... (Wobei ich natürlich nicht den Mangel an qualitativer wissenschaftlicher Arbeit in solchen Fällen als einziges Problem ansehe -- es könnte bezogen auf die sonstige / eigentliche berufliche Tätigkeit, so man denn Transferaspekte aus der gezeigten Arbeitsweise gering einstufen sollte, ja auch irrelevant sein! --, sondern m.E. ist das größte Problem das aus solchem Verhalten sichtbar werdende Identitätsproblem der jeweiligen Person.)
Verständnis für Frau Giffeys Lage kann man in gewisser Hinsicht sicherlich aufbringen. So schreibt beispielsweise Kolja Zydatiss am 07.05.2019 unter dem fragenden Titel "Wozu braucht Franziska Giffey einen Doktortitel?" auf Achgut.com (dort entnommen 13.05.2020) folgendermaßen: "Schummeln geht nicht, das ist klar. Doch in gewisser Weise muss einem Franziska Giffey leidtun. In einer Zeit, in der Politik zunehmend als ungeheuer komplexe Sache betrachtet wird, die nur von „Experten“ durchschaut werden kann, ist die Entscheidung, um jeden Preis zu promovieren, durchaus nachvollziehbar, erwirbt man sich dadurch doch den Ausweis des Expertentums schlechthin."
Das ist natürlich richtig, weil die Wirkmechanismen im politischen Geschäft leider auch so zu laufen scheinen. Aber gerade deshalb ist es wichtig, gegen diesen unsäglichen Trend anzugehen. Denn es ist ja gerade so, daß eine Promotion in aller Regel ein anderes Expertentum ausweist (so sie ordentlich verfasst ist!!!) als das, was im politischen Alltagsgeschäft in aller Regel abgefragt wird und zu leisten ist. Für die Fähigkeit der (richtigen) Erfassung komplexer Zusammenhänge, wie sie sich regelmäßig im politischen Kontext stellen, steht ein Doktorgrad nur höchst selten (und einer der selbst auf einem üblicherweise sehr eingegrenztem Betrachtungsfeld nur "schludrig" oder gar durch Täuschung erworben wurde schon gar nicht!).
Die Plagiatsexperten von Vroniplag Wiki hatten die Überprüfung der Arbeit im Februar 2019 ausgelöst und im Mai abschließend 119 Textstellen auf 76 von 205 Seiten im Hauptteil der Arbeit beanstandet – und damit einen Plagiatsanteil von 37,1 Prozent der Seiten festgestellt.
Die Kommission, die Giffeys Arbeit seit Februar dieses Jahres überprüft hat, sei zu dem Schluss gekommen, dass die "problematischen Textstellen" nicht "überhandnehmen", teilte jedoch die Freie Universität mit. Dabei beruft sich das Gremium auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017.
Und wie reagierte Franziska Giffey auf dieses Ergebnis? Sie zeigte sich erleichtert, das Ergebnis habe bestätigt, daß sie ihren Doktorgrad zu Recht führe: "Mit der Entscheidung des Präsidiums ist nun Klarheit geschaffen. Meine Arbeit als Bundesfamilienministerin setze ich weiter mit großem Engagement und viel Freude fort." (Frau Giffey hatte zu Beginn der Untersuchung bereits angekündigt, für den Fall, daß die FU ihr den Titel entzöge, zurückzutreten. Wie bereits weiter oben ausgeführt, hatte sie wegen der laufenden Untersuchung ihre Kandidatur für den SPD-Parteivorsitz unterlassen.)
Ende gut, alles gut? Noch nicht so ganz. Es bleibt noch ein weiteres "Geschmäckle" ... Dazu noch ein kurzer Blick auf die Betreuung der Dissertation von Franziska Giffey. Ihre Doktormutter war Tanja Börzel, Direktorin des Jean Monnet Exzellenz-Zentrums "The EU and its Citizens" und sie "steht mit für die Exzellenz der FU". (ebd.) Auch leitet sie die Arbeitsstelle Europäische Integration an der FU. Hätte man Franziska Giffey den Doktorgrad entzogen, hätte das zumindest auch dem Ruf ihrer Doktormutter geschadet. Dies ist zumindest leicht vorstellbar.
Und um wieviel schlimmer wäre es in der Öffentlichkeit gewesen, wäre Tanja Börzel auch noch Mitglied des Gremiums gewesen, das über die Qualität von Giffeys Doktorarbeit bezüglich möglicher Aberkennung des Titels zu entscheiden hatte. Nicht auszumalen die Aufschreie in der Öffentlichkeit, hätte Prof. Dr. Tanja A. Börzel als Doktormutter auch noch über Nichtaberkennung entschieden.
Also blieb die Frage: Wer saß denn wirklich in jenem Gremium, welches hier dann über doktorhaftes Sein oder Nicht-Sein zu entscheiden hatte. Seltsamerweise ging lange Zeit aus keiner Mitteilung m.W. hervor, wer tatsächlich in jenem Gremium zu Gerichte gesessen hatte. Es hieß jedoch, "keines der fünf Mitglieder hatte laut Angaben der FU zuvor die Dissertation von Giffey begutachtet oder in der Kommission zu ihrem Promotionsverfahren mitgewirkt. Um wen genau und, ob es sich dabei um Frauen oder Männer handelte, geht aus der Mitteilung nicht hervor." (Forschun & Lehre, ebd.)
Aber damit war die Geschichte dann immer noch nicht an ihr Ende gelangt. Auf spiegel.de / Panorama zeigen Miriam Olbrisch und Silke Fokken unter der Überschrift "Berliner AfD rollt Giffeys Plagiatsaffäre noch mal auf" dann doch sehr Erstaunliches (?) auf. Weiter heißt es dort: "Weil sie bei ihrer Dissertation unsauber gearbeitet haben soll, erhielt Familienministerin Franziska Giffey von ihrer Uni eine Rüge. Den Doktortitel durfte sie behalten. Nun rücken Details der Überprüfung ins Licht." (19.03.2020, entnommen: 11.05.2020) Und diese Details haben es durchaus in sich. Zunächst einmal wird festgestellt, daß der Abschlußbericht des Prüfungsgremiums "weiterhin unter Verschluss" bleibt, Zugang hätten lediglich das Präsidium der FU und Frau Giffey persönlich. Auf die AfD-Anfrage wurde ergänzend jedoch mitgeteilt, der Bericht "enthalte Ausführungen zu allen 119 Passagen, die VroniPlag Wiki beanstandet hatte" und umfasse "neun Seiten sowie zwei Anlagen". (ebd.) Aber es kommt dann schon noch viel dicker: "Das Gremium, das die Mängel in Giffeys Arbeit und die rechtmäßige Verleihung des Doktorgrads überprüfen sollte, war vom Promotionsausschuss des Otto-Suhr-Instituts der FU eingesetzt worden. Experten hatten schon früh kritisiert, dass diesem Ausschuss unter anderem ausgerechnet Giffeys Doktormutter Tanja Börzel angehört haben soll. Das bestätigt der Senat nun in den Antworten auf die aktuelle Anfrage. Die Politikwissenschaftlerin durfte also selbst mit darüber bestimmen, wer ihre Arbeit kontrolliert."
Nochmals verdeutlicht: Franziska Giffeys Doktormutter Tanja Börzel gehörte also doch jenem Ausschuß an, konnte als letztlich mitentscheiden, ob der von ihr abgesegnete Doktortitel behalten werden durfte oder nicht ... Vielleicht auch deshalb diese lange Geheimnistuerei um dessen tatsächliche Zusammensetzung. Soviel also zu der o.g. Aussage der FU, wonach "keines der fünf Mitglieder (...) zuvor die Dissertation von Giffey begutachtet oder in der Kommission zu ihrem Promotionsverfahren mitgewirkt habe. Da ist offensichtlich doch recht viel schief gelaufen, denke ich. Und wenn hier jemandem spontan das Sprichwort einfällt, daß Lügen eben kurze Beine haben, so sollte mich das zumindest auch nicht groß verwundern. Aber auch für all jene, die unbedingt hartnäckig Wege unangemessener Vereinfachung gehen wollen, wußte Friedrich Nietzsche schon die warnenden Worte: "Wenn einer sehr lange und hartnäckig etwas scheinen will, so wird es ihm zuletzt schwer, etwas anderes zu sein." Und wer möchte denn schon gerne sich auf diese Art selbst Fesseln anlegen und derart eingeengt seine Kreise ziehen müssen ...
Aber auch dieses sehe ich als durchaus überdenkenswert und naheliegend an:
Es lassen Schein und Sein sich niemals einen,
nur Sein allein besteht durch sich allein.
Wer etwas ist, bemüht sich nicht zu scheinen.
Wer scheinen will, wird niemals etwas sein.
Friedrich Rückert
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"Cetero censeo ..." -- wer kennt sie nicht, jene Introduktion von Cato d.Ä., der zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit im Römischen Senat in grenzenloser Redundanz darauf hinwies, daß Carthago zu zerstören sei ("... Carthaginem esse delendam"). Und mit ähnlicher Wiederholungsqualität werde ich nicht müde, wiederholt zu betonen, wie wichtig es ist, gerade auch in der Politik Schein vom Sein zu trennen, auf diese Unterschiede auch durch jeweilis spezifische Konkretisierung hinzuweisen. Gerade wenn man viele Politikerinnen und Politiker betrachtet, die ja bekanntlich immerhin unsere Staatsgeschicke auf verantwortungsvolle Weise mitzulenken und mitzugestalten haben, sollte man schon immer genauer hinsehen und hinhören, was sich hinter ihrem Auftreten und Verlautbarungen tatsächlich verbirgt! Das betrifft natürlich auch deren Aspirationsniveau. So kann natürlich auch ein erworbener Doktorgrad durchaus für hohe Kompetenz jenseits des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes stehen, nämlich vor allem dann, wenn die bei einer Dissertation de facto gezeigten -- und dort dann notwendigen als auch hinreichenden!!! -- Tugenden und Arbeitshaltungen auf andere Wirkungsstätten übertragen werden (können). Wer sich jedoch gleichsam einer Art von Doktortitel-Obsession unterworfen hat (bzw. sich external dazu drängen ließ), der oder die sollte schon mit gebührender Vorsicht betrachtet werden. Kurz: auch hier tut Ideologiekritik Not, sie muß betrieben werden!.
Hier ist die o.g. Betrachtung der Promotionsbegleiterscheinungen Franziska Giffeys allerdings nur ein Beispiel unter vielen anderen möglichen (es wurden ja von mir auch noch andere dargestellt). Nochmals kurz: Man darf sich nicht so leicht blenden lassen, es gilt den Schein vom Sein zu trennen (bzw. dies zumindest versuchen)!
Ganz allgemein gesprochen: Wir brauchen keine "dünkelhafte Staatskunst", also letztlich eine vom Volk faktisch doch mehr oder weniger abgehobene, sondern eine, welche von der Basis, vom Volk, ausgehend sich manifestiert. Mit regelmäßig stattfindenden Wahlen allein (und mit den in deren Kontext stets ablaufenden Wahlkämpfen auf meist primitiven, von Demagogie und Vereinfachung durchzogenen Oberflächlichkeiten) ist es da wirklich nicht getan.
Damit es hier "mehr" als das bislang so Übliche geben kann, bedarf es jedoch einer notwendigen Voraussetzung: erstens die (politische) Kompetenz der Bürger und zweitens eine dann auch funktionierende (und umgesetzte) Performanz der Bürger.
Wer jedoch in diesem Zusammenhang wieder einmal mehr nur einseitig auf die Schulen schimpft, jene für die traurige Misere mangelnder Mündigkeit und oft fehlender Eigenverantwortung verantwortlich macht und zudem eugnet daß es diesbezüglich einen enormen Nachholbedarf gibt, nimmt eine allzu einseitige Ursachenzuschreibung vor. Die Parteien versagen nämlich in ihrer Mitwirkung bei der staatsbürgerlichen Bildung kläglich -- gerade durch ihr häufig unrühmliches Verhalten und Vorgehen, welches gerade in Hinsicht auf sachliche Auseinandersetzung aber auch in der "Lieferung" von faktenbezogenen Grundlagen und den sie berührenden Interdependenzen für eine Ausbildung von entsprechenden Kompetenzen und wirksamer Performanz in der Zivilgesellschaft kontraproduktiv wirkt. (Und für diese Minderleistung werden Parteien dann noch großzügig aus dem Steuersäckel -- besonders auch hinsichtlich Wahlwerbung o.ä. -- entlohnt ...)
Diese Kritik ist aber auch an viele Medien zu richten, die sich -- sofern je schon einmal anders positioniert -- längst qualitativer Bildung entzogen haben. Die Kritik richte hier besonders an die Öffentlich-Rechtlichen, denn sie werden eigentlich unter dem längst nicht mehr funktionierendem Rubrum der "Grundversorgung" einem adäquaten Bildungsauftrag nicht (mehr) gerecht. Die Zwangsbezahlung geht überwiegend in Unterhaltung und Oberflächlichkeit, in hohe Gehälter und Gigantomanie, als politisch ausgerichtete Formate, bleiben zumeist oberflächlich und vielfach einseitig, qualitative Programme (die gibt es bei den ÖR sicherlich auch) erhalten zumeist Sendeplätze, die von vornherein "garantieren", daß die große Masse der Bevölkerung faktisch nicht erreicht wird.
Ziel -- auch medialen Tuns -- muß sein, die Bürger und Bürgerinnen auf einem Weg zum demokratischen Souverän zu unterstützen und nicht sie einzulullen (einer "panem-et-circenses"-Ideologie folgend) oder auf einer Art "pflegeleichtem Niveau" zu halten.
In diesem Zusammenhang könnte man beispielsweise bereits die Wahl des Dissertationsthemas "Europas Weg zum Bürger. Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft" durchaus auch als selbstentlarvend ansehen: nicht ein wie auch immer geratenes Gremium oder eine installierte Institution hat sozusagen gnädigerweise von oben nach unten sich um den Bürger zu (be-)kümmern, sondern vom Bürger, vom Souverän aus hat so eine Entwicklung von unten nach oben zu erfolgen und dann -- aber erst dann -- wird dies zu einem reziproken, interagierenden Faktor. Daß die EU sich hier von dieser Entwicklung leider sehr weit entfernt hat, zeigt die Bestallung der derzeitigen Präsidentin der EU-Kommission, Ursula Gertrud von der Leyen, denn mit einer Wahl durch die Bürger hatte dieser Vorgang nichts zu tun und der von den Bürgern eigentlich bevorzugte, als für dieses Amt der Öffentlichkeit für die Wahl so präsentierte Kandidat, der Bayer Manfred Weber (CSU), blieb gänzlich unberücksichtigt (um europapolitischen Proporz zu genügen). Er wurde sicherlich auf diese Art "vorgeführt" und (etwas) demontiert (zeigte sich aber m.E. auch bei seinem faktischen Verlieren alles andere als Kämpfer!), aber noch mehr vorgeführt wurden andere: die Wähler und Wählerinnen. Damit wurde auch dem Europa-Gedanken erheblichen Schaden zugefügt! Ursula von der Leyen dürfte niemand auf dem Schirm gehabt haben, wohl auch deshalb für dieses Amt nicht prädestiniert gehalten haben ...
Ein Doktortitel / Doktorgrad im Namen? Aber immer auch ein Renommée?
Teil III
Ich habe vorstehend mehrfach ausgeführt, wer "unbedingt" einen Doktorgrad erwerben muß, wer ihn also wirklich benötigt: dies betrifft vor allem jene, bei denen eine Promotion Etappe in ihrem wissenschaftlichen Arbeiten ist;besonders betrifft dies all jene, die in dieser wissenschaftlichen Betätigung ihre (berufliche) Zukunft sehen.
Natürlich gibt es auch andere Motivationen, eine Promotion in Angriff zu nehmen. Aber es gibt (leider) auch jenen Typus, der oder die sich um diesen Titel bemüht, "nur um ihn zu haben", weil man sich also dadurch private, persönliche oder auch berufliche (z.B. ein dann wie auch immer zu gewichtendes Ansehen im Kundenkontext) Vorteile erhofft. Für viele wirkt so ein Titel sicherlich dann auch sehr identitätsstiftend (vor allem dann, wenn man sich selbst über den jeweiligen tatsächlichen Wert zu täuschen vermag bzw. in intersubjetiver Übereinkunft entsprechende Hofierungen erfährt). Teilweise kann dieses "Streben" nach Titel schon sehr skurille Züge annehmen bis hin zu Kauf von Titel (bzw. durch Vermittlung einer "unproblematischeren" Erwerbsweise Konsul Weyer Graf von Yorck, der auch akademische Grade vermitteln konnte).
Ich denke, ein auf die "leichtere" Art oder gar ausschließlich käuflich erworbener Titel erklärt seinen Renommée-Wert aus sich selbst: es dürfte bei sachkundigen Leuten keinen Eindruck erwecken! Allerdings zeigt der doch immer noch anhaltende Drang zum Erwerb derart fragwürdiger Titel doch auch, daß in vielen Kreisen damit offensichtlich eine positive Wirkung, eine Art "Achtungsmehrung", zu erzielen ist, vor allem wohl auch deshalb, weil noch zuviel Unkenntnis über das Promotionsgeschehen mit anschließendem Titelerwerb in breiten Teilen der Bevölkerung vorhanden ist.
Zwischenbemerkungen: Wie verhält es sich rein rechtlich mit dem "Dr."-Titel?
Laut 312 BGB hat jeder / jede das Recht, mit dem korrekten Namen angesprochen zu werden. Die Führung akademischer Grade ist im HRG bzw. in den Hochschulgesetzen der jeweiligen Länder geregelt. (siehe jeweils dort für Details).(Die unrechtmäßige Führung eines deutschen oder ausländischen akademischen Grades ist übrigens eine Straftat (vgl. § 132a StGB, Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen); dies kann sogar mit Freiheitsstrafe belegt werden.) Aus § 18 Abs.2 HRG ergibt sich zwingend, daß die Promotion eine Hochschulprüfung (wie andere auch, siehe entsprechend §§ 15 ff HRG) ist mit der die erbrachte wissenschaftliche Leistung (sic!) anerkannt wird. So wird auch deutlich, daß dies mit dem bürgerlichen Namensrecht nichts zu tun hat.
Es gibt ergo keine gesetzliche Grundlage, einen Anspruch auf Anrede mit dem Doktortitel abzuleiten. Inwieweit dies allerdings (immer noch) ein Gebot der Höflichkeit ist, unterliegt allgemeiner Konvention; ich denke, wer genau um die "Funktion" eines Doktorgrades weiß, der wird kaum auf die Idee kommen, einen diesbezüglichen Anredeanspruch zu erheben; und wer da -- wohl eher an mittlerweile überkommenen Gepflogenheiten sich orientierend -- auf "Rechte" pocht, der oder die darf sich allenfalls mit Aspekten der Höflichkeit auseinandersetzen, damit ringen ... (Ich kenne in meinem Bekanntenkreis übrigens niemanden, der auf eine Anrede mit "Dr." zu bestehen versucht, wohl wie sie alle wissen wie es einerseits rechtlich und andererseits sachbegründet darum bestellt ist.) Das gilt übrigens auch für die Anrede "Professor". (Seltsamerweise verlangten einige Lehrkräfte in meinem früheren Internat, mit "Herr Professor" angesprochen zu werden -- sie waren jedoch lediglich "Assessor", "Studienrat" oder "Oberstudienrat". Als uns ein wohl aufgeklärterer Mitschüler einmal darauf hinweis und einen Heimerzieher -- Studienrat -- mit "Herr Studienrat", also nicht mit dem von ihm geforderten "Herr Professor" titulierte, bekam er von jenem Herrn "Professor Minderwertigkeitsgefühl" zwei kräftige Ohrfeigen ... Da möchte man fast anmerken: "Sachen gibt's. die gibt's nicht!" -- ein Satz eines anderen unserer Präfekten, der auf der Anrede "Herr Professor" bestand ... Wie richtig er ja damit lag! Aber zur Einsicht aus dieser Erkenntnis war er offensichtlich nicht fähig oder bereit.) Summa summarum: eine Person mit rechtmäßig erworbenen Doktorgrad ist als "Dr." -X grundsätzlich anredefähig, nicht mehr.
Belassen wir es also damit: There's a time and a place for everything! Man hat also das Recht, den Doktortitel in seinen Ausweis eintragen zu lassen, ein Recht auf entsprechende Anrede besteht aber nicht! Natürlich kann man den, statt "Titel" besser und zutreffender: "Grad" (der Begriff "Titel" mag zur Irreführung bezüglich "Doktoritis" ja mitbeigetragen haben, denn auf eine Anrede mit Titel -- Graf, Freiherr, etc. -- besteht sehr wohl, denn jene sind Bestandteil des Namens, werden dann allerdings bei z.B. Heirat geschlechtlich umgeformt: aus Graf wird dann z.B. Gräfin.) in seiner Korrespondenz etc. verwenden; besonders im Wirtschafts- und Geschäftsverkehr ist das gängige Praxis. So hat das Bundesarbeitsgericht einmal entschieden, daß ein Arbeitnehmer vor allem im Geschäftsverkehr (sic!) nach außen das Recht hat, seinen akademischen Grad korrekt genannt zu bekommen. Aber dies ist ein Spezialfall. Ansonsten dürfte gelten: Was jedoch zum "guten Stil" in der Kommunikation gehört, unterliegt wie so vieles ander im Leben dem (gesellschaftlichen) Wandel. Also Feingefühl gefragt? Bisweilen, denke ich.
Wer sich nun an dieser Stelle fragen sollte, weshalb Andreas Scheuer seinen im Ausland (Prag) erworbenen Doktortitel "nur" in Bayern und Berlin tragen hätte können, erhält Antwort aus den jeweiligen Hochschulgesetzen. Für Bayern heißt es schlicht: Im Freistaat Bayern dürfen seit 1. August 2003 (s.a. Novellierung des BayHG vom 1. Juni 2006) ausländische Grade und Titel genehmigungsfrei geführt werden. Es werden keine Genehmigungsverfahren durchgeführt oder Führungsgenehmigungen erteilt.(Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Informationen zur Führung ausländischer akademischer Grade in Bayern, Stand April 2014). Ergänzend sei hier noch der "Führungsgrundsatz", festgelegt in Art. 68 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 des Bayerischen Hochschulgesetzes, aufgezeigt:
"Ein ausländischer akademischer Grad, der von einer nach dem Recht des Herkunftslandes anerkannten Hochschule oder anderen Stelle, die zur Verleihung dieses Grades berechtigt ist, aufgrund eines tatsächlich absolvierten und ordnungsgemäß durch Prüfung abgeschlossenen Studiums verliehen worden ist, kann im Freistaat Bayern in der Form, in der er (originär) verliehen wurde, sowie in der im Herkunftsland zugelassenen oder nachweislich üblichen Abkürzung jeweils unter Angabe der verleihenden Hochschule genehmigungsfrei geführt werden.
Soweit erforderlich kann diese Führungsform in die lateinische Schrift übertragen und eine wörtliche Übersetzung (in die deutsche Sprache) in Klammern hinzugefügt werden; dabei bilden dann Originalform bzw. die Übertragung in die lateinische Schrift, Übersetzung und Hochschulangabe als Einheit die maßgebende Führungsform.
Für ausländische staatliche und kirchliche Grade, Hochschultitel und Hochschultätigkeitsbezeichnungen sowie für Titel, die inländischen akademischen Graden gleich lauten oder ihnen zum Verwechseln ähnlich sind, gilt dies ebenfalls."
Übrigens möchte ich an dieser Stelle abschließend nochmals festhalten: Andreas Scheuer hat auf die Führung des Doktortitels nach Bekanntwerden der Umstände seiner Promotion auf das Tragen des Doktorgrades verzichtet. Hier gerieten ihm wohl wie so vielen anderen auch die Aktivitäten der Doktorarbeiten-Untersucher (s.o.) zum Problem. Vielleicht sollten ihm manche andere aus Gründen neuer Einsicht und Identitätsproblematik darin folgen ...
Gleichwohl möchte ich mir über den moralischen Aspekt dieses "Näherhinsehens" bei Doktorarbeiten an dieser Stelle kurz noch ein paar grundsätzliche Gedanken machen. Ungeachtet dessen, ob man eine Promotion angeht, weil man den Doktorgrad für die weitere wissenschaftliche Karriere benötigt oder ob man diesen Weg beschreitet, weil einem ausschließlich einfach Interesse und Freude an der Beschäftigung mit einem spezieller Thematik antreibt oder aber -- aus meiner Sicht eher die "törichte" Variante ob man damit glaubt, in der breiten Öffentlichkeit (oder auch "nur" im Bekanntenkreis) Eindruck schinden zu können, eines gilt für alle Fälle: die Arbeit muß die notwendigen Voraussetzungen ausweisen und zudem sie hinreichend erfüllen.
Nochmals zur Erinnerung: der Doktorgrad (nicht mit "Titel", s.o., zu verwechseln!) ist der Abschluß eines wissenschaftlichen Abschnitts, der -- so ist es zumindest vorgesehen -- neben der intensiven Beschäftigung mit einem Forschungsgegenstand hohe Qualität im systematischen als auch tiefergehend in die jeweilige Materie einsteigenden Arbeiten ausweist und entsprechende "Wissenschafts-Kompetenz" verdeutlicht. Nun dürfte in aller Regel so eine Leistung in der Öffentlichkeit kaum von großem Interesse sein, da in aller Regel zu speziell ausgerichtet, somit auch der Doktorgrad höchst selten außerhalb seines besonderen Wirkraumes besondere Aufmerksamkeit erwecken. Zudem ist ist es zunehmend immer mehr Menschen eher egal, ob jemand einen Doktorgrad erworben hat oder nicht. Der Grund hierfür: bei gewissen (Aus-)Bildungswegen ist er schlicht "normal", also Folge dieses Weges, er gehört da einfach dazu. Wer diesen Weg aus reinem privaten Interesse beschreitet, wird eher kaum mit dem Doktorgrad in der Öffentlichkeit hausieren gehen, sondern sich vielmehr mit dem Wissen um eine gewisse Eigenleistung zufrieden geben. So steht zu vermuten, daß die beiden hier gekennzeichneten "Doktor-Typen" kein großes Aufsehen erregen, also keine kognitive Dissonanz wegen des Grades erzeugen.
Anders sieht es dann freilich aus, wenn der Doktorgrad auf die Öffentlichkeit als eine Art besonderes Statussymbol wirkt. Dies ist eben bei Personen, die besonders im Augenmerk der Öffentlichkeit stehen, dann der Fall, wenn wegen der äußeren Umstände (z.B. multiple Arbeitsbelastung, auffällige Beziehungen und Verwicklungen, vermisste sonstige Kompetenzen, profilneurotische Auffälligkeit, Geltungssucht, etc.) das Gefühl, es könnte da ja etwas nicht stimmen, nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, sich einstellt. Vielleicht ergibt sich ja aus diesen Überlegungen, daß besonders häufig die Doktorarbeiten von Politikerinnen und Politikern aufs Korn genommen werden ... Ich kann mir durchaus auch vorstellen, daß bisweilen Neid und Rivalitätsgezänk Auslöser für derartige Untersuchungen sind. Aber eines sollte bei (durchaus teilweise berechtigter Kritik bezüglich der Motive und des Impetus der Vorgehensweise jener "Untersucher") im zentralen Blickpunkt bleiben: es gibt eben Voraussetzungen und Vorgaben für die Erstellung einer Dissertation. Diese müssen erfüllt sein. Und wie jedes Ergebnis einer jedweden Arbeit, also einer Leistung, haben sowohl der qualitative Aspekt als auch der Gesichtspunkt Seriosität den Anspruch, erfüllt zu werden. Dies mag dann für eine Promotion vielleicht ganz besonders gelten. Wer also hier Mängel, Täuschung oder gar Betrug aufdeckt, handelt durchaus im Sinne von "Wert(e)erhaltung" in mehrfacher Hinsicht. Dies dient vor allem auch dem Schutz all jener, die sich bei ihrer Dissertation (häufig sogar über mehrere Jahre hinweg) geplagt haben, denen keine Anstrengung zu wenig war, die somit vor allem auch eine wirkliche wissenschaftliche Leistung (mit dem entsprechenden Erkenntnisgewinn!) geleistet haben. Daß hier die Universitäten und Hochschulen ebenfalls noch Verbesserungen vornehmen können, um es "Pseudowissenschaftlern" nicht zu leicht auf einer Art "Autobahn zum Doktorgrad" zu machen, wurde weiter oben bereits angedeutet; hier könnte es bei einigen Instituten durchaus entsprechenden Nachholbedarf geben. Mein Fazit: Das Überprüfen von Dissertationen (bislang und auch für die Zukunft) ist bereits durch einige üble Vorfälle legitimiert, erweist sich durchaus als notwendig; mit Blockwartmentalitäten oder Diffamierung oder mit Erbsenzählerei haben diese Nachprüfungen jedenfalls nichts zu tun, man kann jenen aus meiner Sicht nicht einmal eine Art von Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Mentalität vorwerfen, denn sie gehen systematisch gegen ein Übel an, das es zu beseitigen gilt -- dies auch im Sinne echter Wertschätzung von all den erbrachten wirklichen Leistungen. Und eines ist auch klar: Wer sich bei der Erstellung einer Dissertation nichts vorzuwerfen hat, der oder die hat auch von den "Plagiatsjägern" nichts zu befürchten ...
Was Politiker angeht denke ich: man muß nicht akademische Weihen, da vielleicht gar einen Doktorgrad, haben, um ein guter Politiker sein zu können. ALLERDINGS: Irgendwelche "Weihen" (= Qualifikationen und Erfahrungen, erworben außerhalb der Politik!) sollte man in aller Regel aber schon haben, um in diesem Bereich für die Öffentlichkeit glaubwürdig und beispielgebend wirken zu können ...
Wer hat schon mal jemanden kennengelernt, der trotz einer Ämteranhäufung auch noch eine Doktorarbeit geschrieben hat? Ich meine: ist es wirklich möglich eine Doktorarbeit zu schreiben, wenn man dazu nicht immens viel Zeit aufwenden und sich auf die jeweils ausgewählte Thematik intensiv einlassen kann -- natürlich ist das nicht möglich, solange es seriös zugehen soll. Was ist denn das -- eine Doktorarbeit (Dissertation)? Das habe ich weiter oben bereits zu beantworten versucht. Es sei hier nochmals kurz zusammengefasst:
Eine Doktorarbeit ist also eine Forschungsarbeit, in der die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Arbeiten nachzuweisen ist. Zur Erlangung eines Doktorgrades (vergeben durch eine Wissenschaftliche Hochschule mit Promotionsrecht!) ist grundsätzlich eine herausragende wissenschaftliche Arbeit, die festgelegten qualitativen und formalen Kriterien entsprechen muß, vorgeschrieben. Die Dissertation soll einen forschungsbasierten Wissenszuwachs enthalten. Die Doktorarbeit wird meistens an einem Institut angefertigt (sie kann jedoch auch ohne Anstellung oder Immatrikulation bei einer Universität angefertigt und "extern" bei dieser eingereicht werden) und erfolgt unter Betreuung eines Professors oder Privatdozenten ("Doktorvater", sprachlich neuerdings natürlich auch "Doktormutter", Mentor/in, Betreuer/in). Viele Promotionsordnungen verlangen, daß von Anfang an ein Zweitbetreuer / eine Zweitbetreuerin festgelegt werden (die auch Angehörige einer anderen Universität sein können).
In der Regel ist der Forschungsgegenstand bei der Erstellung einer Dissertation sehr speziell und in der Bandbreite eingeschränkt (sofern das Aufgabengebiet nicht eine Ausweitung erfordert). Selbst wenn -- meist in sozialwissenschaftlichen Bereichen -- z.B. über Erhebungen, Umfragen, qualitative Interviews, etc. -- ein großes soziales Umfeld berührt wird (oder gar: in Versuchen, das Gesamt der Bevölkerung einzubeziehen) führt dies nicht zu langanhaltender Nähe bezogen auf eine gesellschaftliche Vielfalt. Das bedeutet aber auch, eine erfolgreiche Promotion ist faktisch, vor allem was den tatsächlichen persönlichen Hintergrund und die gesellschaftliche Position des "Doktor-Titel-Inhabers" angeht, kein Ausweis dafür, daß jemand sich nicht in einer abgehobenen, partiell isolierten, vom Status gesehen her herausgehobenen Stellung befindet. Die Kluft zwischen dieser wissenschaftlich (eng fokussierter) Leistung und einer gesamtgesellschaftlichen Realität dürfte da immer mehr oder weniger groß sein. Anders gewendet: es ist nicht davon auszugehen, daß jemand nur auf Grund seiner Promotionsleistung, deren Ablauf und Ergebnis, eine besondere Nähe zu vielen Gruppierungen innerhalb unserer Gesellschaft erworben hat. Das häufig gebrauchte (böse) Wort vom Fachidioten möchte ich hier nicht verwenden (weil auch dieses vor allem Aufgaben und Wert einer Disseration völlig verkennt, sie letztlich damit auch, was allgemeine Ansprüche angeht, überfordert!), aber es ist schon Tatsache: das Lernen von Gesellschaft kann eine Dissertation nie und nimmer ersetzen, im Gegenteil, durch ihren Aufwand dürften die meisten Promovenden allein zeitlich bedingt schon eine gewisse Abwesenheit vom Alltäglichen erfahren. Ihnen dürften sowohl Zeit als auch Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit bestenfalls sehr eingeschränkt zur Verfügung stehen.
Dies bedeutet aber auch: Wer als "Doktor" keine anderen Gelegenheiten wahrgenommen hat, umfassender wahrnehmen konnte, "Gesellschaft" als Gesamtheit kennenzulernen, zu erfahren, wer sich nach diesem spezifischen Ausbildungsweg gar in eine Art Efeuturm der weiteren Lebensgestaltung eingenistet hat, wird wohl kaum die Bedürfnisse, Nöte, Schwächen und Stärken unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen / Schichten (trotz mittlerweiliger Ablehnung des Schichten-Begirffs seitens Soziologie sehe ich diese Begrifflichkeit immer noch als taugliches Instrumentarium zur Erfassung von Unterschiedlichkeiten und faktischer Zuordnung im Zusammenleben einer Gesellschaft!) kennen, fühlen, verstehen. Hier gilt es schon zu unterscheiden zwischen jenen, die über einen Sachverhalt mehr oder weniger klug reden (man kennt ja hier die diversen Vertreter und Vertreterinnen aus Politikwissenschaft und Sozialwissenschaften in ihrem einschlägigen Sprachduktus ...) und all jenen, die tatsächliche Nähe zu den Problemlagen kennen, weil zum Beispiel jene unmittelbarer erfahren habend.
Vor diesem dargelegten Hintergrund ergibt sich für angehende Politiker und Politikerinnen auch: Eine Dissertation allein ist für gute politische Kompentenz nicht zielführend, sollte also für den Weg innerhalb einer Partei und für das Bild eines Politikers in der Öffentlichkeit entsprechend belanglos sein. Sie ist jedoch nur dann hilfreich, wenn man sich fachspezifisch innerhalb einer Thematik kompetent auseinandersetzen möchte (sozusagen als "Werkzeug" im Denken, Handeln und Schlußfolgern).
Mit diesen Anmerkungen ist auch die obligate weitere Frage bereits beantwortet, nämlich: Kann eine Dissertation ein Äquivalent zu einer fundierten bürgerlichen Ausbildung sein, während der man sich fortwährend mit einer großen Bandbreite gesellschaftlicher Realität auseinandersetzen mußte? Schlicht und einfach: Sie kann das nicht leisten, sie kann kein Ersatz für Erfahrungslernen auf sozialem, auf gesellschaftlichem Gebiet sein!
Erneut Zeit und Gelegenheit, wiederholt Helmut Schmidt auch an dieser Stelle zu zitieren:"Jemand, der in die Politik geht, ohne einen Beruf zu haben, kann mir gestohlen bleiben. Ich kenne leider mehr als genug von denen!" (Helmut Schmidt, 2011 im Zeitmagazin) Eine Relativierung zu diesem Diktum möchte ich nochmals anmerken: Ich denke, Helmut Schmidt kannte auch einige Politiker, die seinem Diktum entsprochen haben und ihm dennoch nicht "gestohlen" blieben, also Politiker mit hoher Kompetenz ohne zuvor einen der üblichen bürgerlichen Abschlüsse erreicht zu haben. Aber diese dürften zumindest das Leben in großer Bandbreite und Tiefe hautnah erfahren haben und diese Erfahrungen in ihre parlamentarische Arbeit eingebracht haben. Wahrscheinlich aber eine: Minderheit ...
Weshalb stehen manche Politiker (natürlich gilt das auch für andere Berufsfelder, aber die sollen mich hier einmal nicht interessieren) bisweilen nicht offen zu ihrer Biographie bzw. hübschen sie (aus welcher Erwartungshaltung auch immer) auf? Diesem Aspekt hat sich u.a. Markus Wehner in der FAZ vom 26.05.2013 angenommen: "Ein Makel im Lebenslauf: Deutsche Spitzenpolitiker verschleiern ihre Studienabbrüche."
Dieses "Verschleiern", "Beschönigen" oder gar ein krampfhaftes Durchhalten bis zu einem (wenn dann häufig auch dubios wirkenden) Abschluß kann natürlich auch die Ursache habe, welche ich weiter oben angesprochen habe und die auch Helmut Schmidt heftig kritisierte: zu wenig oder keine Qualifikation könnten in der Öffentlichkeit den Eindruck mangelnden Könnens, fehlender Erfahrung, unzureichender Lebenspraxis erwecken. So spielt man dann lieber (oder notgedrungenermaßen) die Rolle des oder der Erfolgreichen. Weil eben eine sicherlich große Zahl der Wähler nicht bereit sind, zu akzeptieren daß in einem Bundestag als Vertretung der Querschnitt der Bevölkerung, zu dem eben auch Studienabbrecher und Promotionsabbrecher gehören, sitzen sollten. So hat Dietmar Nietan (MdB, SPD), der selbst sein Studium der Biologie und Sozialwissenschaften an der Universität Köln nicht abgeschlossen hatte, wohl hinsichtlich Abbrechern zutreffend gesagt: "Die Leute fragen sich: Können wir jemandem (als Politiker, d.V.) vertrauen, der in einer wichtigen Sache gescheitert ist? Kann man sich auf den verlassen?" Hier mit offenen Karten zu spielen, ist sicherlich nicht einfach und für viele persönlich sehr unangenehm; jedoch gerade in der heutigen Zeit der schnellen Informationsverbreitung und der gezielten Suche nach Widersprüchlichkeiten dürfte der Versuch des Verbergens oder gar Beschönigens eigener Biographie zumeist scheitern. Diese Enthüllungen dürften dann allerdings besonders nachteilig (wegen der aufgezeigten Unaufrichtigkeit) sein ... Dietmar Nietan selbst hat übrigens auf seiner Webseite explizit auf sein Studium, aber auch auf den fehlenden Abschluß ("ohne Abschluss") hingewiesen! (Im Artikel von M. Wehner wurde noch dargestellt, Nietan habe seinerzeit noch nicht auf den fehlenden Abschluß hingewiesen, sondern nur auf das Studium.)
Offen ging damit Daniela Wagner (Die Grünen) um; sie hatte sich dermaßen bei den Grünen und andere politische Aktivitäten (u.a. war sie als Studentin für die Grünen auch im Hessischen Landtag) engagiert, daß für ein erfolgreiches Studium keine Zeit war. So hat sie zwar über zehn Jahre Politik-, Rechs- und Wirtschaftswissenschaften studiert, das Studium jedoch nie abgeschlossen. Frau Wagner dazu: "Das Studium war bei mir wegen der Politik immer unter ,ferner liefen. Ich‘ dachte, ich müsste es zu Ende machen, weil ich es meinen Eltern schuldig sei (...)." (M.Wehner, ebd.)
(Auf ihrer Webseite kann man, entnommen 20.05.2020, über ihren Studienweg lesen: "1977 bis 1980 Studium der Germanistik und Anglistik für das Lehramt in Frankfurt am Main und Oldenburg/Niedersachsen" sowie "1981 bis 1988 Studium der Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Mainz und Darmstadt". Der fehlende Abschluß ist allerdings nicht explizit vermerkt.)
Wird ein Studium nicht vorgabengemäß abgeschlossen, heißt das ja noch lange nicht, daß man all die Jahre nichts gernt, keine Erfahrungen gesammelt hat, vor allem wenn man außerhalb der Universität sehr aktiv war und am gesellschaftlichen Leben intensiv teilgenommen hat. Dieser Gesichtspunkt sollte bei der Beurteilung eines Werdeganges immer auch im Auge behalten werden. Es dürfte allerdings für Außenstehende nicht immer einfach sein, die Qualität des Lernens (ohne Abschluß) zu beurteilen; andererseits gibt es unzählig viele mit Abschluß, die häufig nicht immer jene Qualitäten aufweisen, die vorschnell Urteilende einem Abschluß zuordnen ... Letztlich gilt: die Qualität und Kompetenzen eines Menschen erweisen sich vor allem im konkreten Denken und Handeln.
Bekannt ist der Werdegang Josef (Joschka) Fischers: Abitur, Taxifahrer, Politiker -- sein weiterer Lebensweg füllt(e) sowohl die Berichte seriöser Medien als auch die Klatschspalten. Viele dürften bei der Beurteilung seiner Person und Kompetenz sagen, der Erfolg gebe ihm recht. Ich sehe das schon etwas differenzierter und betrachte ihn nicht gerade als nachahmenswertes Beispiel; er hatte sicherlich bei seinem Aufstiegsweg das "Glück des Augenblicks", wobei auch bei so einer Einschätzung festzuhalten ist: man muß auch die Fähigkeit haben, die Gunst der Stunde zu erkennen und entsprechend zu nutzen. (Diese Fähigkeit hat Joschka Fischer sicherlich in hohem Maße, denke ich.)
Ich persönlich schaue mir Politiker / Politikerinnen gerne auch nach ihrem Sprach- und Diskussionsverhalten an, wobei ich besonderes Augenmerk auf die Fähigkeit des Eindringens in die Tiefe von einer Materie richte. Dazu gehört freilich auch die Stringenz in der Argumentationsstruktur sowie faktenbasierte Untermauerung des Dargebotenen. Hier kann man übrigens dann auch zumindest bis zu einem gewissen Grade zwischen guten (=kompetenten) und schlechten (=inkompetenten, schwatzhaften) "Abbrechern" unterscheiden. Kurz: zwischen jenen, die im Studium trotz Abbruch sehr viel gelernt haben und anderen, bei denen dies nicht so zutage tritt ...
Die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt ist übrigens keine Theologin; sie hat lediglich einige Semester Theologie studiert, das Studium jedoch nie abgeschlossen, Abitur 1984 in Gotha, Abbruch Studium in Leipzig 1988). Noch kürzer studierte ihre Parteikollegin Claudia Roth: ganze zwei Semester Theaterwissenschaft. Sie brach das Studium ab, weil man nach ihren Worten ihr etwas Besseres anbot. (M. Wehner, ebd.) Sie war nach Studienabbruch als Dramaturgieassistentin tätig, wobei sie darauf verwies, in ihrem letzten Arbeitsvertrag habe "Dramaturgin" (nicht geschützt!) gestanden. Danach war sie mehrere Jahre Managerin (auch keine geschützte Berufsbezeichnung!) der Polit-Rockband Ton Steine Scherben. 1985 startet sie ihre politische Karriere bei den Grünen als Pressesprecherin. Spezielle Qualifikationen für diese Position hatte sie keine. Aber hier mag das zutreffen, was ich weiter oben über Joschka Fischer gesagt habe: die Fähigkeit, die Gunst der Stunde und die Möglichkeiten des Augenblicks zu nutzen, hatte sie auf jeden Fall, wie auch ihr weiterer Weg im Bundestag und bei den Grünen ausweist. Laut M.Wehner hat Frau Roth übrigens das alles so eingeordnet: "Heute (...) hätte sie kaum noch Chancen auf den Job." Realistisch oder nicht gesehen? Mag sein, allerdings zeigt auch heute so mancher (berufliche) Aufstieg immer wieder, was in unserer Gesellschaft so alles möglich ist.
M.Wehner: "Insgesamt haben 35 Abgeordnete oder 5,6 Prozent aller Parlamentarier des Bundestags ihr Studium abgebrochen." Die von ihm präsentierten Werte: Die Grünen 8,8 Prozent, die FDP 7.5 Prozent (absolut: 7), die SPD 6,8 Prozent (absolut: 10), die Linke 5,3 Prozent und die CDU/CSU 3,6 Prozent. (Quelle: M. Wehner, ebd.)
Wehner verweist in seinem Bericht auf einen Sachverhalt, der sicherlich bezeichnend ist: "Kein einziger der knapp ein Dutzend Abgeordneten, die für diesen Artikel Rede und Antwort standen, gibt auf seiner Homepage oder in der Biographie des Bundestags an, ohne Abschluss zu sein. Stattdessen schreiben sie etwa: „Studium der Volkswirtschaftslehre in Osnabrück und der Landespflege, Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie in Essen.“ So steht es bei dem SPD-Abgeordneten Frank Schwabe. „Studium der Biologie und der Sozialwissenschaften an der Universität Köln“, heißt es bei Dietmar Nietan*), auch er von der SPD. So handhaben es alle. Nur dadurch, dass kein Abschluss vermerkt ist, kein Diplom, Magister oder Staatsexamen, lässt sich erahnen, dass das Studium abgebrochen wurde. Eine direkte Lüge ist das nicht. Aber eben auch nicht die Wahrheit.""
*) dies ist offensichtlich damals so zugetroffen, mittlerweile ist diese auf der Webseite (s.o. meine Anmerkung hierzu) ergänzt, denn es heißt nun zusätzlichd: "ohne Abschluss. " Wie damals mit diesem Sachverhalt "erweitert" umgegangen ist, sprach Dietmar Nietan mit Bezug auf die Tatsache, daß ein Wikipedia-Eintrag "ohne Abschluss" immer wieder gelöscht wurde, wie folgt an: << "Ein Parteifreund hat mich gefragt, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er das löscht, weil er es einseitig findet. Ich war natürlich nicht dagegen“, sagt der Sozialdemokrat, der für den Kreis Düren im Bundestag sitzt. Einseitig? Es ist doch schlicht richtig. „Mit meinem nicht beendeten Studium so offensiv umzugehen, ist schwierig für mich“, versucht Nietan die Löschorder zu erklären.>> (Quelle: M. Wehner, ebd.)
Ich sehe das so: es hat zumindest bei jenem Abgeordneten eine Art Läuterungsprozeß stattgefunden, vielleicht ist dadurch (und überwiegend durch äußeren Druck!) mehr Souveränität im Umgang mit der eigenen Biographie gewachsen. Und es wäre für uns alle wünschenswert, wenn zukünftig alle Abgeorneten ihre Wege völlig transparent darlegen würden, damit man zumindest in großen Teilen weiß, mit wem und mit was man bei der Wahl jeweils zu tun hat. Großmundige Verkündungen in Wahlkämpfen, bunte Broschüren sowie effekthaschende Auftritte in den Medien reichen da wirklich nicht aus ...
Damals schrieb der Abgeordnete Frank Schwabe ebenfalls über den Umgang mit fehlendem Abschluß; bei ihm las sich das dann folgendermaßen: <<"Es wäre schon ehrlicher, „ohne Abschluss“ zu schreiben, gibt Schwabe zu. Zugleich aber sei jeder frei zu entscheiden, was er in seinem Lebenslauf betone. „Man schreibt auch nicht, wenn man in der neunten Klasse mal sitzengeblieben ist“, sagt der 42 Jahre alte SPD-Politiker aus Castrop-Rauxel. Wie sehr er es nicht mag, dass sein Studienabbruch überregional bekannt wird, zeigt der Umgang mit seiner Wikipedia-Biographie. In das Online-Lexikon schrieben Nutzer seinen Studienabbruch immer wieder hinein. Doch heute fehlt der Hinweis. „Mein Büro hat das immer wieder geändert“, erklärt Schwabe die Bereinigung.>>
Natürlich gilt auch hier: man hat es eigentlich selbst in der Hand, wie man mit Tatsachen umgeht. Verschweigen und Löschen sollten da nicht gängige Praxis sein. Versuche, sich besser darzustellen gibt es allerdings viele. Da bedient man sich der Bezeichnungen von nichtgeschützten Berufen wie beispielsweise Geschäftsführer, Journalist, Dramaturgin, wissenschaftliche Mitarbeiter, Angestellte (z.B. bei Mitarbeit in einem Abgeordnetenbüro) u.a.m.
Was den Umgang mit der eigenen Biographie angeht, hier noch ein letztes Beispiel, das offensichtlich auch mehr Selbstbewußtsein offenbart. So hat Jan Mücke (FDP), ehemaliger Staatsekretär im Bau- und Verkehrsministerium (Berlin) sein Studium der Rechtswissenschaft an der TU Dresden ohne Abschluß beendet, um dann als selbständiger Immobilienverwalter tätig zu sein. Zitat: "Ich habe diese Entscheidung damals bei vollem Bewusstsein getroffen, kann sie sehr gut verantworten und lasse mir das auch nicht vorwerfen“, (...). Er habe das Studium nicht wegen der Politik aufgegeben, sondern weil er auf eigenen Füßen stehen wollte. Und er sei stolz darauf, dass er sein Geld selbst verdient und Steuern gezahlt habe. Und ergänzt dann: "Dem einen oder anderen im Bundestag habe ich diese praktische Tätigkeit voraus." (M. Wehner, ebd.) Altkanzler Helmut Schmidt dürfte an ihm, ungeachtet Mückes Parteizugehörigkeit, ob dieses Werdeganges und dieser Einstellung bestimmt etwas Freude gehabt haben, zumindest hätte er ihm die gebührende Achtung entgegenbringen können (die er anderen m.E. zu Recht zumindest implizit verweigerte) ...
Ich glaube, einer der wenigen Athener - wenn nicht der einzige - zu sein, der sich um die wahre Staatskunst bemüht, und der einzige unter meinen Zeitgenossen, der für das Staatswohl tätig ist. Denn ich richte meine Worte nicht danach, daß sie Gefallen finden, sondern ich bezwecke damit das Gute.
Platon
So kann ich nicht billigen, dass man von den studierenden künftigen Staatsdienern gar zu viele theoretisch gelehrte Kenntnisse verlangt, wodurch die jungen Leute vor der Zeit geistig wie körperlich ruiniert werden.
Johann Wolfgang von Goethe
Es gibt zu viele Volksvertreter, die fehlende Politik durch bloße Anwesenheit ersetzen…
Elmar Kupke
Dem Staatsmann liegt es ob, sich in der Phantasie ein Bild von der Zukunft zu entwerfen und sich lange
im voraus klar zu machen, welche Zufälle glücklicher und unglücklicher Weise eintreten könnten, und
was zu tun sei, wenn etwas Menschliches passiert; aber es nie so weit kommen zu lassen, daß man
einmal sagen müßte: "Das hätt' ich nicht gedacht".
Marcus Tullius Cicero
Zu dieser letzten Aussage wäre es der Mühe wert, einmal folgende beiden Bücher Nassim Nicholas Talebs durchzuarbeiten:
a) Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen.
b) Der Schwarze Schwan: die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse.
Und nochmals: Ein Doktortitel oder andere akademische Weihen müssen sie unbedingt sein ...
Teil IV
Johan Osel hat sich in der SZ vom 29. Juli 2013 einmal mit der Thematik Dissertation unter dem Titel "Abbruchquote bei Promotionen. Karriere schlägt den Doktorhut" auseinandergesetzt und verknüpft dort mehrere Feststellungen: "Ein Doktortitel ist bei vielen Führungspositionen gefragt. Doch jeder fünfte Promovierende bricht ab oder wird nie fertig. Was den wissenschaftlichen Ehrgeiz bremst - und warum das oft gar nicht so schlimm ist."
In einer schon etwas älteren Untersuchung kam das HIS-Institut für Hochschulforschung über den Verbleib der Absolventen des Jahrgangs 2001 zu dem Ergebnis, daß ein Hochschulabschluss (sic!) die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit *) sei. Demnach haben 40 Prozent der Hochschulabsolventen sogar eine Führungsposition. In einem Nebenaspekt der Studie fand man heraus, daß etwa ein Drittel der Hochschulabsolventen ein Promotionsvorhaben begannen. Bei der Untersuchung handelte sich übrigens um die Absolventenkohorte, zu der auch Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg (siehe weiter oben) gehörte. Wir erinnern uns: er schrieb eine Doktorarbeit, die nach seinen Worten dann "neben meiner Berufs- und Abgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevollster Kleinarbeit"
*) Aber auch neuere Erhebungen zeigen den Wert eines Hochschulabschlusses auf dem Arbeitsmarkt. So stellt Anja Warning, Arbeitsmarktforscherin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, fest: "Wer studiert hat, hat sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Daran hat auch die steigende Zahl von Hochschulabsolventen bisher nichts geändert. Nur 2,6 Prozent der Menschen mit Hochschulabschluss sind arbeitslos gemeldet. Die allgemeine Arbeitslosenquote liegt mit gut sechs Prozent deutlich darüber. Bei Medizinern, Psychologen, Informatikern und Ingenieuren herrscht derzeit Vollbeschäftigung. Besonders gefragt sind auch Wirtschaftswissenschaftler und Lehrer. Außerdem ist die Nachfrage nach Sozialarbeitern und Sozialpädagogen gestiegen, man braucht sie für die Integration der Geflüchteten. Sprach-, Kultur- und Geisteswissenschaftler müssen dagegen wie schon in der Vergangenheit flexibel sein, denn es gibt nur wenige Stellen, die genau den Qualifikationen entsprechen, die sie im Studium erworben haben." (Quelle: ZEIT Campus vom 9. Februar 2018 und 7. Februar 2017) Auch spätere Erhebung bestätigen diesen Trend, auch dort wird für bestimmte wissenschaftliche Studienabschlüsse allerdings die Notwendigkeit eines höheren Maßes an Flexibilität bei der Arbeitssuche angedeutet.
Tatsache bleibt aber auch: ein Promotionsvorhaben "so nebenbei" weist enorme Tücken auf, sowohl was die Arbeit am Thema als solches als auch was die Qualität von derartigen Arbeiten angeht. Die HIS-Studie ergab: "17 Prozent derjenigen, die sich nach dem Abschluss an eine Arbeit wagten, haben das Projekt abgebrochen. Weitere fünf Prozent sind nach gut zehn Jahren immer noch nicht damit fertig. In manchen Fächern ist die Abbrecherquote erschreckend, liegt höher als ein Viertel." (J. Osel, ebd.) Diese Aussagen drücken jedenfalls das Belastungspotential aus, über die Qualität der (dann tatsächlich vollendeten) Arbeiten läßt sich daraus jedoch nichts entnehmen. (Es sei denn, es wird, wie bei Freiherr von Guttenbergs Arbeit, wie auch bei einigen anderen, auch von mir weiter oben kurz angesprochenen Doktorarbeiten, beim späteren Überprüfen der Beweis für tatsächliche Mängel erbracht.)
Im o.g. Artikel wird ausgeführt, daß die Promotionsneigung des Absolventjahrgangs eng mit dem Fach zusammenhängt, so der Erfahrungswert. Von den Medizinern haben mehr als 70 Prozent nach dem Examen den Doktorgrad erworben. Viele Mediziner schreiben während ihres Studiums bereits ihre Doktorarbeit, meistens parallel zum praktischen Jahr oder früher - für den begehrten Titel "Dr. med.". Für eine statistische Doktorarbeit mit hauptsächlich Patientenakten als Untersuchungsmaterial muss man nämlich viel weniger Zeit einplanen als für experimentelle Arbeiten, bei denen man im Labor Versuche durchführt und auswertet. Insofern dürfte die Qualität der jeweiligen Doktorarbeiten bei Medizinern sehr unterschiedlich sein, zumindest was Aufwand und Schwierigkeit sowie Zeit betrifft. Bei Chemikern ist die Dissertation (85 Prozent der Chemieabsolventen) schon so etwas wie ein Regelabschluß. In Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und Jura nahm jeder Vierte ein Promotionsvorhaben auf, bei den Geisteswissenschaften jeder Dritte, in Psychologie und Pädagogik jeder Zehnte. Das Ziel (Erwerb des Doktorgrades) erreichten mehr als ein Fünftel der Befragten nicht (bzw. waren noch mit ihrer Arbeit beschäftigt). Interessant auch die Dropout-Quote: im naturwissenschaftlichen Bereich nur 6%, in Psychologie und Pädagogik 26% und in WiWi 22%.
Nochmals: Mediziner fertigen ihre Doktorarbeiten meist abschlußbegeitend an, deshalb unter anderem auch die Kritik an dem Schwierigkeitsgrad dieser Dissertationen (häufig erhobener Vorwurf: Schmalspur-Promotion). Ansonsten ist die Zeit der Anfertigung einer Dissertation sehr unterschiedlich, beginnend bei zwei Jahren bis einige Jahre mehr. Als Durchschnittszeit für die Erstellung einer Dissertation werden etwa 4 1/2 Jahre angegeben. Leider gibt es keine offiziellen Abbruchquoten mangels entsprechender Erfassung von Promovierenden. Leichter zu erfassen sind jene, die an der Universität arbeiten und in diesem Kontext ihre Dissertation anstreben. Andere arbeiten fernab, also außerhalb der Hochschulen, viele auch -- und damit sind wir wieder beim sicherlich großen Problemfeld -- berufsbegleitend (meine Beispiele oben, stellvertretend für viele andere, lassen hier hinsichtlich Qualität grüßen ...). Ein an einem Lehrstuhl unmittelbar promovierender Assistent zum Beispiel dürfte allein schon wegen der dort doch regelmäßig stattfinden Absprachen mit dem Betreuer (Professor) weniger "Fehlverhalten" unterliegen als andere, die noch mehr auf sich gestellt sind. Jedenfalls läßt sich statistisch nicht sehr viel über die Promotion aussagen, zumindest nicht valide. Eine amtliche Statistik erfaßt nur die erfolgreichen Promotionen, jährlich sind das ca. 25.000. Es fehlen Daten über Beginn und Abgabe einer Doktorarbeit. Es fehlen exakte Angaben über Abbrecher.
Da es immer noch bei gewissen Stellenausschreibungen üblich ist, den Doktorgrad als "erwünscht" zu fordern, gibt es deswegen vielleicht eine Dissertations-Problematik, welche J. Osel als "eine Art Karriere-Durchlauferhitzer, in dem sich zu viele externe Doktoranden tummeln, von denen viele gar nicht mit Eifer für die Wissenschaft brennen" beschreibt. Entsprechend hört und liest man immer wieder Negatives über berufsbegleitende Promovierende, vor allem daß jene auch die Universitäten zusätzlich belasten und diese mit einer gründlichen Betreuung (somit auch: Bewertung) dann mehr oder weniger überlastet sind / werden. Diese Problematik hat auch immer wieder -- vor allem dann, wenn wieder mal ein Plagiat entdeckt wurde -- eine Qualitätsdebatte entfacht. In diesem Kontext hat auch der Wissenschaftsrat (Beratergremium von Bund und Ländern) die fehlende Datengrundlage moniert. Seitdem haben einige Universitäten Dokoranden enger an sich zu binden und gründlich zu registrieren. Johan Osel in diesem Zusammenhang: "Durch die Exzellenzinitiative, die spezielle Graduiertenschulen fördert, ist das Promotionswesen auch etwas institutionalisierter geworden als zuvor."
Aus meiner Sicht höchstinteressant ist die Nennung der Abbruchgründe. 72 Prozent nennen die Arbeitsbelastung durch ihren Job! Davon ausgehend, daß es heutzutage kaum noch Arbeitsstellen gibt, die bei ordentlicher Aufgaben- und Pflichterfüllung viel Raum und Zeit für die zusätzliche Erstellung einer Dissertation lassen, schließe ich, daß von seltensten Fällen einmal abgesehen, hier dann Abstriche in der Erstellung und Qualität gemacht werden müssen. Und genau dies ist es, was bereits durch die notwendigen Bedingungen zur Erstellung einer Doktorarbeit ausgeschlossen werden muß, will die Arbeit den geforderten wissenschaftlichen Ansprüchen auch genügen. Übrigens nennen 51 Prozent (die Überschneidung der Prozentzahlen dürfte wohl niemanden irritieren, hoffe ich) als Abbruchgrund eine mangelnde Betreuung, also den fehlenden oder unzureichenden Betreuungsrahmen.
Es gibt aber auch (wenige?) Fälle, die davon zeugen, daß jemand zwar eine Dissertation begonnen hat, sich damit dann mehr oder länger (intensiv) hineingekniet hat, dann aber das Vorhaben ad acta legte, weil er / sie eine gute Position in der Wirtschaft bekommen konnte (oder eben: in der Politik ...).
Was natürlich auch die Lust am Promovieren nehmen kann, ist die Tatsache, daß einige Laufbahnen an der Universität eher prekär zu nennen sind, daß es Befristungen gibt, daß die Chancen auf eine Professur sich (plötzlich?) als gering erweisen. Hier läßt ein Ergebnis vielleicht etwas aufhorchen: "Auch unter den Befragten mit abgeschlossener Promotion ist nur etwa jeder Dritte zehn Jahre nach dem Examen tatsächlich an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung tätig." (Osel, ebd.)
Vielleicht hat auch so mancher eine Promotion nur deswegen begonnen, weil momentan noch keine geeignete Arbeitsstelle gefunden wurde und man das Promotionsvorhaben als eine Art Ausweg, vielleicht mit der gesehenen Möglichkeit der eigenen Marktwertsteigerung durch Doktorgrad, gewählt hat. Dies allerdings ist bereits aus Motivationsaspekten beste Voraussetzung für ein Scheitern; zudem zeugt es nicht gerade von analytischer Fähigkeit (die sollte man bei einer Promotionsvorhaben in hohem Maße haben!), auch nicht von guter Wirklichkeitskenntnis ...
Zu den Gründen für einen Abbruch der Promotion hat Anja Franz von der Universität Magdeburg in standardisierten Interviews die Beweggründe ehemaliger Promovierender erfragt. Ihr Ergebnis: "Der Promotionsabbruch ist keine kurzfristige Entscheidung, sondern ein individueller Abwägungsprozess, teils über Jahre." Gerade wer sich vor der Promotion nicht ganz sicher sei, breche später eher ab. Ein weiterer Grund seien konkrete Probleme bei der Bearbeitung, wie "beispielsweise Detailverlorenheit oder in den Naturwissenschaften Laborexperimente, die nicht funktionieren". Und wenn die Betreuung es nicht schaffe, diese Probleme zu lösen, sorge das eben dann für Frustrationen mit den bekannten Resultaten.
Das Thema abgebrochener Doktorarbeiten wurde u.a. auch im Spiegel Panorama (15. 03. 2017) aufgegriffen. Dort hieß es: "Ambitioniert gestartet, frustriert gelandet: Mehr als ein Drittel (fast 40%) aller Doktoranden bricht irgendwann die Dissertation ab." Der emeritierte Professor für Arbeitsmedizin, Friedrich Hofmann (Buch: Promotionsfabriken), versuchte dort, die Ursachen zu erklären.
Ob die Ursachen singulär oder mannigfach sind (z.B. keine Kraft mehr, kein Geld mehr, keine Lust mehr, zu große Belastung, Zeitprobleme), die Hauptursache für das Aufgeben sieht Hofmann in der schlechten Betreuung der Doktoranden. Auf die Frage, ob ein Doktorgrad überhaupt hilfreich für die Karriere sei, wer stelle schon einen überqualifizierten Mitdreißiger ohne Berufserfahrung ein, zeichnet Hofmann kein derart negatives Bild und betont, Studien hätten ergeben, ein Doktor sei für die Karriere immer noch nützlich, Promovierte verdienten im Durchschnitt mehr als ein Akademiker ohne "diesen Titel" (zur Begriffsproblematik "Titel" versus "Grad" siehe weiter oben) und für viele sei dies einfach auch ein (notwendiges, verzichtbares?) Statussymbol. Und mit einer Dissertation weise man nach, daß man eigenständig zu forschen vermag. Zur notwendigen Dauer und verlangtem Inhalt dann: "Das kann er in drei Jahren genauso gut machen wie in sechs. Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, warum sich die Arbeit an einer Dissertation so lange hinzieht. Die Promotion sollte sowohl von der Zeit als auch vom Umfang her begrenzt werden. Eine Arbeit mit 600 bis 700 Seiten ist für alle Beteiligten eine Katastrophe - auch für Betreuer und Zweitkorrektor." (Spiegel Panorma, ebd.) Dann betont er nochmals den Aspekt des Nachweises der Fähigkeit zu einem eigenständigen Forschen. Ich meine: das kann man nicht oft genug betonen und dieser Nachweis sollte bei der Begutachtung ganz penibel an jede erstellte Doktorarbeit angelegt werden! Dies dürfte dann bei so mancher en-passent-Arbeit zu einem abwertenden Urteil führen, davon gehe ich einmal aus ... In anderen Worten: der Doktorgrad darf nicht in Richtung einer gewährten Großzügigkeit verkümmern.
Hofmann kritisiert die Kleinstaaterei des Bildungssystems in Deutschland, es fehle an einer zentralen Stelle, "um die Doktorarbeit anzumelden". Deswegen gebe es auch keine Daten darüber wieviele Doktorarbeiten begonnen wurden, eine Vereinfachung des Systems in Richtung Vereinheitlichung sei bislang gescheitert, hierzulande existierten mehr als 600 (verschiedene) Promotionsordnungen. Ferner behauptet Friedrich Hofmann, die Betreuung sei einfach schlecht, viele Doktorväter würden die Arbeit erst nach der Abgabe lesen. Er fordert, daß sich Promovend und Betreuer eigentlich etwa alle zwei Wochen zur Besprechung und Diskussion treffen sollten. Das sei freilich nicht möglich, wenn ein Professor zu viele Doktoranden betreue, Hofmann spricht von "bis zu 20". Und weiter stellt er fest: "Viele Promovenden müssen sich nebenbei noch um Studierende kümmern und Hausarbeiten korrigieren. Für wissenschaftliches Arbeiten bleibt da immer weniger Zeit." Auf die Frage, ob es auch Fächer gebe, wo es mit der Betreuung gut liefe, meint Hofmann, die gebe es eigentlich nicht und selbst "in der Medizin, wo sehr viel promoviert wird, ist die Betreuung furchtbar schlecht." Und ergänzt dies mit einem sarkastisch anmutendem Satz: "Viele angehende Ärzte arbeiten im Schichtsystem im Krankenhaus und sollen nebenbei für ihre Dissertation forschen. Ein Mediziner hat mir das einmal so geschildert: Entweder stirbt das Enzym im Reagenzglas oder der Patient im Bett."
Hier wird einmal mehr auf die Mehrfachbelastungen bei der Erstellung einer Dissertation abgehoben: ein Grund mehr, zu prüfen, inwieweit eine Arbeit überhaupt ordentlich erstellt werden konnte. Und da fallen natürlich dann jene arbeits- und zeitintensiven Berufe (wie der des Politikers) ins Auge, wo man sich schon mal fragen kann: Waren hier überhaupt die Bedingungen gegeben, eine sorgfältige Dissertation abzufassen? Und wer hier zweifelt, der sucht eben auch schon mal etwas gründlicher, ruft eben jene auf den Plan, deren Naturell es ist, immer wieder zu prüfen, ob alles mit rechten Dingen zugeht ...
Abschließend hier nun noch Angaben aus dem Wintersemester 2015/2016: Laut Statistischem Bundesamt gab es 196.200 Promovierende, 29.000 haben in 2015 erfolgreich abgeschlossen, die Abbruchquote lag nach Absolventen-Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschafszentrums bei 17 Prozent. Ältere Zahlen von 2008 gehen davon aus, daß zwei von drei Promovierenden abbrechen. Problem bei der Verarbeitung dieser Zahlen: sie bezögen sich jedoch in erster Linie auf Promotionsabsichten von Studenten, so Anke Burkhardt vom Institut für Hochschulforschung Halle-Wittenberg. Wer sich hier nun über die Kritik an fehlender Datenlage (siehe auch weiter oben) wundert, hier nun glaubt quantifizierbare Kenntnisse zu sehen, der dürfte richtig liegen: es gibt leider keine robuste Kenntnis über Abbrüche, Qualität, Betreuungsintensität, Themenvergabe, Evalutation, um nur einige der hier eigentlich relevanten Variablen zu nennen. Aber eines kann man schon feststellen: Es bedarf hier einer gründlichen Neubesinnung, sowohl im Hochschulbereich (vor allem bezüglich Betreuung und Annahme von Dissertationsvorhaben) als auch in der Öffentlichkeit darüber, was ein Doktorgrad tatsächlich aussagt und bewirkt und wie mit sogenannter "Hochachtung" und -- gerade besonders aktuell -- "Systemrelevanz" praktisch und praktikabel umgehen sollte.
Demnächst hier dann noch: Führungskräfte ohne "richtige" Ausbildungsbiographie und warum gerade diese eher "Mittelmäßigen" in einigen Parteien in Spitzenpositionen gewählt werden ...
und dann meine autobiographische Sicht auf Werdegang,akademische Abschlüsse sowie Doktoritis ...
"Das Elend mit der Ehrlichkeit" oder: "Wie steht es um das wirksame Einlösen von Verantwortung?"
"Mensch: du bist nicht gemacht für Industrie und Produktion, für Konto und Konsum.
Du bist gemacht, um Mensch zu sein. Du bist geschaffen für das Licht,
für die Freude, um zu lachen und zu singen, um in Liebe zu leben und
um dazusein für das Glück der Menschen um Dich herum."
(Phil Bosmans)
"Der Grund für die Umweltverschmutzung ist der Mensch selbst:
die Vergiftung seines Geistes, die Verwüstung seiner Seele."
(Phil Bosmans)
Das Problem mit der Ehrlichkeit, der Nachhaltigkeit, der Glaubwürdigkeit ... (Aufgezeigt am Beispiel "Corona-Epidemie")
Wer die Diskussion um die Sterbehilfe lange und aufmerksam verfolgt hat, dürfte sich nun angesichts dessen, was im Zuge der Corona-Epidemie angsprochen wird, doch zumindest etwas wundern. Wir erinnern uns noch gut: Es ging und geht darum, ob ein Mensch selbst (für sich!) entscheiden darf, ob und wann er sein Leben beenden möchte. Oder ob andere (hier: wer auch immer) das Sagen über individuelle Zielsetzungen sich anmaßen dürfen, dies dann noch gesetzlich abgesichert.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht hier (im Sinne einer individuellen Entscheidung) geurteilt, daß es enge Grenzen mit der Beschneidung der Individualität gibt, daß also ein Einzelner sehr wohl über das Ende seines Lebens entscheiden darf, daß ihm zum Vollzug die entsprechenden Mittel nicht verwehrt werden dürfen, daß allerdings auch ein "Töten auf Verlangen" ausgeschlossen bleibt.
Was spricht eigentlich dagegen, wenn irgendein Mensch -- aus welchen Gründen auch immer -- für sich entscheiden sollte, es sei nun genug mit seinem Leben, es reiche ihm, er möchte nicht mehr länger hier verweilen? Was dagegen spricht, kann man unschwer den Verlautbarungen all jener Kreise entnehmen, die sich etwa auf "Gott" berufen, daß danach ein Mensch eben keine individuelle Entscheidungsbefugnis hat bzw. haben kann. Jene Kreise, so edel ihr Weltbild aus ihrer Sicht auch sein mag, verkennen allerdings, daß "Gott" (oder welch andere metaphysische Konstruktionen auch immer) für andere eben keine Bedeutung, damit die sich daraus unmittelbar ergebenden Setzungen, hat. Für viele Menschen ist "Gott" ein Fiktion, ein Konstrukt (etwa dem menschlichen Denk-Bedürfnis, daß mit dem Tode doch nicht alles vorbei sein könne geschuldet, also ein Produkt einer Projektion!), eine Projektion (ggf. aus der Ursprungsgeschichte des menschlichen Bewußtseins generiert), u.a.m.; aber "Gott" und die durch ihn sich legitimierenden Instanzen sind vor allem auch eines: Ausgeburt von Macht, Versuche intensiver Fremdbestimmung, Einflußnahme auf gesellschaftliche Entwicklung, nicht zuletzt auch Absicherung persönlicher Pfründe. All diese Faktoren dürften Karl Marx in der 1843/44 verfaßten Einleitung zu seiner Schrift "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" zu der Aussage veranlasst haben, wonach Religion "das Opium des Volkes" sei. (Fälschlich wird oft das Zitat in der Form "Religion ist Opium für das Volk" kolportiert, was freilich aus kritischer Perspektive den gemeinten Sachverhalt nicht in ein Gegentteil verrückt, sondern vielmehr einen Perspektivenwechsel sowohl im Betrachtungsschwerpunkt als auch im funktionalen Aspekt bedeutet.)
Nun kann man freilich darüber diskutieren, ob eine Gesellschaft ohne Religion generell möglich (im Sinne von einigermaßen ordnungsgemäßen Funktionieren) ist, ob sie "sinnvoll" ist, ob sie wegen menschlicher Grundbedürfnisse notwendig ist (vielleicht / höchstwahrscheinlich sind andere Formen kompensatorischer Wirkungen noch viel kontraproduktiver!): eines ist aber auch klar, nämlich daß es in einer pluralistischen, säkularisierten Werteordnung keine wie auch immer umgesetzte Art von Ex-cathedra-Bestimmungsmoral seitens z.B. Kirchen gegenüber einer Gesamtgesellschaft geben darf. So gesehen, ist "Kirche" (und die daraus resultierenden Moralvorstellung z.B. hinsichtlich Sexualität, Umgang mit all dem, was gemeinhin als "Schöpfung" bezeichnet wird, also Flora und Fauna -- unrühmliches alttestamentarisches Diktum, der Mensch solle sich die Erde "untertan" machen ... --, Leben und Tod, Freude und Leid, Sinn und Unsinn, etc.) nur ein Wirk- und Gestaltungsmechanismus unter mehreren anderen in einer Gesellschaftsordnung.
Wenn nun Stimmen kirchlicherseits (bzw. affiner Positionierungen) kategorisch festlegen wollen, der einzelne Mensch habe kein Recht, sein eigenes Leben (das laut jenen Gläubigen bekanntlich von Gott gegeben ist und nur von ihm beendet werden darf), wie es ihm geziemen sollte, zu beenden -- und wir folgen hier einmal jenem Gedankengut -- dann hätte dies natürlich für alle Grenzfälle (zwischen Leben und Tod) zu gelten. Es dürfte da vor allem nicht darüber sozusagen "von außen" entschieden werden, welches Erhalten von Leben zu bevorzugen wäre. Kurz: Niemand dürfte entscheiden, wer zu leben, wer zu sterben hat. Niemand dürfte zum Beispiel eine -- sicherlich hier: aus der Notwendigkeit knapper werdenden Ressourcen -- Abwägung treffen, wem noch zu helfen und wem nicht, wen zu bevorzugen und wen nicht ...
Und hier lehrt uns die durchaus als Katastrophe zu bezeichnende Corona-Epidemie etwas anderes: Plötzlich geraten solche Abwägungen in die Diskussion, nun hat man sich der Tatsache zu stellen, (hart formuliert) man könne unter sich zuspitzenden Situationen nicht mehr allen helfen, man müsse abwägen, letztlich: aussortieren. Übersteigt die Bedürftigkeit an Beatmungsgeräten die Kapazität, sprich: hat man faktisch weniger Geräte als eigentlich notwendig, dann sollen nun "Auslesekriterien" greifen -- es muß entschieden werden, wem man noch hilft und wem nicht mehr. Plötzlich wird das (sicherlich nicht nur aus religiösen Überlegungen getragene) Argument, kein Mensch habe das Recht, über sein Ende frei zu bestimmen, dadurch ausgehöhlt, daß eben nun andere diese Aufgabe, diese "Wahl" zu treffen haben.
STIMMIG IST DAS NICHT! Zumindest wenn man die Argumentation so vieler in der Suiziddebatte in Betracht zieht. Plötzlich suchen (und finden natürlich) jene Kreise das, was man in der Psychologie als Rationalisierung bezeichnet: man sortiert sich die Sachverhalte eben so, wie sie einem nun in den Kram passen. Natürlich weiß man da zu "beschwichtigen" und findet sofort scheinbar relativierende Achtung vor dem menschlichen Leben und dem (plötzlich auf Grund des Mangels beförderten) Sterbeprozeß: jene würden "palliativ" dann bestmöglich auf ihrem Weg ins "Jenseits" begleitet, dies in vollverantwortlicher Weise und in größter Achtung vor dem menschlichen Leben ...
Für mich klingt das alles schon recht zynisch, wie man da versucht, das zu beschönigen, was die Crux ist: Wie umgehen damit, daß nicht mehr allen, die der Hilfe bedürfen, geholfen werden kann. Plötzlich nennt man auch die Dinge nicht mehr beim eigentliche Namen (faktisch werden nämlich "Leben" gegeneinander gewichtet, was eigentlich nicht in unsere sonst üblichen Moralvorstellungen und Ethikgrundsätze passen dürfte!), sondern findet dafür einmal mehr verharmlosende Vokabeln wie z.B. "Triage".
Noch (Stand: 29.03.2020) funktioniert ja die deutsche Intensivmedizin, man hat mit freien Betten vorgesorgt, hat nicht unbedingt notwendige Operationen ausgesetzt um freie Plätze für eventuell notwendig werdende Intensivbehandlungen zu sichern, ja auch ganze Häuser für den Fall der Fälle requiriert, neue Kapazitäten geschaffen, noch gibt es keinen Mangel an Beatmungsgeräten und qualifizierten Klinikpersonal; gleichwohl (und natürlich ist es immer geboten, auch für das schlimmste Szenario sich Gedanken zu machen und wirksame Pläne zu schmieden!) hört man immer mehr aus Politik und Medizin das Nachdenken über jene Zeit, wenn die Kapazitäten nicht mehr ausreichen sollten, wenn also in Kliniken und anderswo nicht mehr genug Leben gerettet werden kann, sondern Leben vorsätzlich beendet wird. Es wird dann eben die befürchtete "Selektion" geben, die man natürlich nicht so nennt; bekannterweise wird in Notsituationen gerne mit Euphemismen gearbeitet oder mit verharmlosend klingendem Vokabular, dies mit dem (meist unausgesprochenen), Ziel, die Beunruhigungen in der Bevölkerung nicht noch weiter zu schüren, gearbeitet. In diesem Kontext spricht man nun statt von "Selektion" (was es ja faktisch wäre!) von "Triage". Mag in manchen Ohren vornehm und harmlos, vielleicht gar verniedlichend klingen, stammt jedoch aus dem Französischen, wo das Verbum "trier" nichts anderes als "aussortieren" meint; der Begriff hat übrigens seine Ursprung in der französischen Militärmedizin des 18. Jahrhunderts. Dieses Triage-Verfahren werde in der Universitätsklinik Staßburg bereits "seit zwei Wochen" angewandt (Der Tagesspiegel, 27.03.2020: "Verwirrung um Triage-Verfahren an Universitäts-Klinik in Straßburg")
Es ist für meine Überlegung hinsichtlich der ethischen Stimmigkeit über die Entscheidung hinsichtlich Leben und Tod (s.o., vor allem: Verweigerung der freien, eigenen Entscheidung) dabei allerdings unerheblich, daß angeblich "die Entscheidung von dem Schweregrad der Krankheit abhängig gemacht wird und nicht etwa von einer Altersgrenze der Patienten." (laut dem Leiter der chirurgischen Anästhesie Paul Michel Mertes, Der Tagesspiegel, ebd.) Die Dramatik wird auch von Ärzten des DIFKM (Deutsche Institut für Katastrophenmedizin) in Tübingen unterstrichen und sie schreiben, daß "sich die Entwicklung, wie sie im Elsass bestehe, bald auch in Deutschland einstellen werde: Eine optimale Vorbereitung sei von 'allerhöchster Dringlichkeit' -- wichtig zu sehen sei dabei, 'dass das Nadelöhr die zu beatmenden Patienten sind'." (Der Tagesspiegel, ebd.) Es heißt also wirklich nicht, den Teufel an die Wand zu malen, wenn man die Deutlichkeit des moralisch-ethischen Dilemmas von Entscheidungen über Hilfe und (notwendig werdender?) Unterlassung thematisiert.
Fakt ist nun für hiesige Verhältnisse, daß "im Falle einer akuten Knappheit (...) auch in deutschen Krankenhäusern (das Ausland wie Italien, Frankreich, Spanien machen uns das längst vor ..., d.V.) Intensiv-Betten nach bestimmten Kriterien verteilt werden. Die Entscheidung über die Zuteilung von Ressourcen müsse medizinisch begründet und gerecht sein, heißt es in einer Handlungsempfehlung, vorgelegt von sieben medizinischen Fachgesellschafteen, darunter die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, die Gesellschaft füür Anästhesiologie und Intensivmedizin und die Akademie für Ethik in der Medizin." (Gabor Steingart, Morning Briefing: Wie beeinflusst das Coronavirus Deutschland und die Ärzte?, 27. März 2020) Den Unterzeichnern der Handlungsempfehlung gelte als Kriterium "die Wahrscheinlichkeit, ob der Patient die Behandlung überleben wird und danach ein Leben außerhalb der Intensivstation führen kann." (Steingart, ebd.)
Die Handlungsempfehlung besteht aus 11 Seiten und in ihr kann man unter anderem lesen: "Eine Intensivtherapie ist nicht indiziert, wenn der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen hat, die Therapie als medizinisch aussichtslos eingeschätzt wird, weil keine Besserung oder Stabilisierung erwartet wird oder ein Überleben an den dauerhaften Aufenthalt auf der Intensivstation gebunden wäre." (...) "Wenn die Ressourcen nicht ausreichen, muss unausweichlich entschieden werden, welche intensivpflichtigen Patienten akut-/intensivmedizinisch behandelt werden und welche nicht oder nicht mehr." (...) "Dies bedeutet eine Einschränkung der sonst gebotenen patientenzentrierten Behandlungsentscheidungen, was enorme emotionale und moralische Herausforderungen für das Behandlungsteam darstellt." (...)
"Wenn nicht mehr alle kritisch erkrankten Patienten auf die Intensivstation aufgenommen werden können, muss über die Verteilung der begrenzt verfügbaren Ressourcen entschieden werden." (Quelle: Steingart, ebd.)
Vor allem aus den beiden letzten Aussagen wird klar, daß jene Mediziner letztlich hier dann über über Behandlung und Reduzierung der Behandlung, letztlich über Tod und Leben, entscheiden. Oder um es mit Gabor Steingart zu sagen: "Den Medizinern ist bewusst, dass sie damit Gevatter Tod die Tür zum Patientenzimmer öffnen."
Da kommen natürlich auch jene Stimmen ins Spiel, die auch für die schlimmsten Situationen ihre jeweils ureigene Beruhigungspille offerieren, aus der Not noch eine Tugend zu machen scheinen. So meint der (nun: Ex-)Vorsitzende des Ethikrates, der evangelische Theologe Peter Dabrock (er hat für die Bundesregierung ebenfalls Empfehlungen zur Triage erarbeitet), es handele sich hier um "keine Güterabwägung sondern um eine verantwortete Schuldminimierung" und spricht damit sowohl Politiker und Mediziner von Verantwortung frei. Mich wundert es persönlich nicht, daß auch hier wieder kirchlicherseits eine Rechtfertigungsverrenkung erfolgt (er wirkt auf mich zudem einmal mehr sehr chamäleonhaft) ; freilich sollte man diese Formen der Auseinandersetzung in dem Rahmen belassen, in den sie hineingehören: die Meinung einer -- zwar starken, aber gesamtgesellschaftlich doch etwas mehr zurückzunehmenden -- Gruppierung. Weshalb in einer pluralen Gesellschaft gerade ein Vertreter der evangelischen Kirche Vorsitzender des Ethikrates sein muß, das sollte freilich doch etwas kritischer hinterfragt werden!
Wie zutreffend liest sich vor all dem Geschehen aus meiner Sicht da doch das von Gabor Steinhart getroffene Fazit: "Da haben im medizinisch-politischen Komplex die Richtigen zusammen gefunden. Die Mediziner werden zu assoziierten Kabinettsmitgliedern und im Gegenzug sprechen sie den Staat frei von Schuld, einen Staat, der bis heute unfähig ist, Schutzbekleidung für die Ärzte zu organisieren, der die Einreiseregeln für Staaten mit hoher Corona-Infizierung erst spät verschärfte und sich nicht traute Skiferien in Tirol und Karneval im Rheinland zu untersagen. So funktioniert politische Präventivmedizin. Aber die berechtigte Erwartung der Bürger, die bald zu Patienten werden könnten, ist eine andere. Der Staat muss die Ruhe vor dem Sturm nutzen, das deutsche Haus sturmfest zu machen. Die Regierung hat das Mandat Leben zu retten. Ein Mandat, Gevatter Tod die Tür zu öffnen, hat sie nicht. Auch für Minister und Chefärzte gilt das eine Fundamentalgebot, das an höchster Stelle erlassen wurde: Du sollst nicht töten." Treffender, besser, läßt sich die ganze Misere wohl kaum beschreiben ...
All jene, die sich in der Diskussion über "Sterbehilfe", über den "Freitod", über die "Selbstbestimmtheit des Menschen", über sein Recht auf "Selbstbestimmung" so ganz besonders in ihr moralisches Zeug gelegt haben, dabei externe (von mir aus auch: sich auf "Gott" berufende) Vorgaben als sakrosankt gesetzt haben, die haben jetzt ein weiteres Problem: sie finden sich entweder in der Unlogik eigener Argumentation wieder oder aber sie betreten -- wendehalshaft und chamäleongerichtet -- den Pfad eines fragwürdigen "Der-Zweck-heiligt-die-Mittel"-Dilemmas.
Über Schein und Wirklichkeit und entsprechende Kompetenz, was Umsetzung und konkretes Handeln in Problemlagen angeht.
Ergänzend zu meinen Überlegungen zur Coronakrise möchte ich hier kurz dazwischenfügen: Natürlich hat -- vor allem Markus Söder -- ein Teil der eigentlich Verantwortlichen (aus Politik und Bevölkerung!) durch schnelles Handeln bislang zumindest etwas wirksam gegen die Problematik gesteuert. Doch nun erscheint nach doch relativ kurzen, sicherlich uns sehr einschränkenden und notwendigen Maßnahmen schon wieder der Ruf nach Lockerungen der Restriktionen. Viele sehen nun die Demokratie, die Freiheit, den Datenschutz und was weiß ich noch nicht alles in Gefahr. Jetzt die getroffenen Maßnahmen schon wieder aufzuheben, wäre allein schon wegen mangelhaften Kenntnisstands, also auch wegen bislang nicht ausreichender Datenlage, möglicher weiterer Entwicklung verantwortungslos. Nur wer die Gefahren vom Coronavirus gering schätzt, kann jetzt schon fordern, wieder zum sogenannten "normalen" Alltag zurückzukehren. Zieführend dürfte ein solcher Schritt nicht sein, es sei denn, man möchte die Gefahren noch vergrößern ...
Sicherlich ist es richtig, auch jetzt sich schon Gedanken über die "Zeit danach" zu machen, entsprechende Planungen zu unternehmen; wer dies jedoch in den Kontext einer baldigen Aufhebung von Restriktionen stellt, setzt ein falsches Signal und schürt falsche Hoffnungen. Hier sollte man die Warnungen von Experten wie Lothar Wieler (RKI) ernster nehmen; er hält einen "raschen Weg zur Rückkehr" in die bislang gewohnte "Normalität für den falschen Weg" und mahnt: "Aus medizinischer Sicht möchte ich, dass wir alle die räumliche Distanzierung möglichst lange durchhalten". Deutschland stehe "immer noch am Anfang der Welle". Die Menschen müssten die Pandemie "sehr ernst nehmen". (Quelle: tagesschau.de vom 29.03.2020).
Ich meine, wenn hier jemand von politischer Seite mit einem "Der Satz, es sei zu früh, über eine Exit-Strategie nachzudenken, ist falsch" und "Wir müssen schon jetzt die Zeit in den Blick nehmen, in der die rigiden Maßnahmen erste Wirkung zeigen." (so Arnim Lasche in der Welt am Sonntag) aufwartet, dann wirkt das eher wie politisches Schaulaufen und ein durchsichtiger Versuch, sich vermeintlich an die Speerspitze der Rettungsbewegungen zu stellen: Natürlich ist es selbstverständliche Aufgabe der Politik, sich auch jetzt schon Gedanken über die weitere Entwicklung zu machen, immer also auch das zukünftig Mögliche und Notwendige zu bedenken, dies ist also letztlich eine Binsenweisheit; wer jedoch heute bereits faktisch suggeriert, man könne bereits jetzt baldige Ausstiegsszenarien verkündigen, verkennt die wahre Sachlage dieser Epidemie. Vor allem fehlen für zeitliche Planungen und Festlegungen bislang fundierte Grundlagen und Erkenntnisse, so Experten. Wie vage letztlich Laschets Positionierung ist und wohl auch noch lange bleibt, zeigt er doch, wenn er völlig unscharf meint, jetzt sei die Zeit, Maßstäbe für die Rückkehr ins soziale und öffentliche Leben zu entwickeln (sic! d.V.), damit diese Entscheidung anhand transparenter Kriterien erfolge und dafür brauche es einen breitengesellschaftlichen Konsens, und diesr könne "nur auf der Grundlage einer intensiven Abwägung aller medizinischen, sozialen, psychologischen, ethischen, wirtschaftlichen und politischen Implikationen" wachsen. Dann stellt Laschet noch -- die Selbstverständlichkeit -- fest, dieser Prozeß brauche Zeit und folgert aus seiner meines Erachtens wirklich eher banalen Erkenntnis: "Damit wir in der Osterzeit die Maßstäbe kennen und den konsens hergestellt haben, müssen wir jetzt beginnen." (Quelle: tagesschau.de vom 29.03.2020)
Wer würde hier denn bei derartiger Phrasendrescherei (und nur kann ich Laschets Schwadronieren verstehen!) ein 'Heureka!' ausrufen wollen und nicht eher sich gelangweilt abwenden! Reden um des Redens willen, sich weitgehend inhaltsleer, was die tatsächliche Problemlagen angeht, äußern und sich einmal mehr für eine Position an der Spitze der Bundes-CDU untauglich zeigen -- das hat Laschet m.E. hier allenfalls erreicht, mehr nicht.
Wie wohltuend und ehrlich dagegen die letzten Aussagen Angela Merkels (ich bin wahrlich kein Fan von ihr!), die um Geduld bat und vor verfrühten Forderungen nach gelockerten Maßnahmen warnte, dies in Übereinkunft mit ihrem Kanzleramtsminister Helge Braun, daß es vor dem 20. April 2020 keine Lockerung der derzeitigen Einschränkungen geben werde. Auch Finanzminister Olaf Scholz hat gegenüber der "Bild am Sonntag" festgestellt, daß ein Abbau der Maßnahmen nur nach medizinischen, niemals nach ökonomischen Kriterien, erfolgen dürfen, wörtlich: "Ich rate dringend davon ab, eine Lockerung an wirtschaftliche Fragen zu knüpfen."
Und wie nützlich und aufbauend sind vor allem die klaren Worte eine Markus Söder immer wieder, ein Ministerpräsident der in dieser Krise wirklich zielführend zu handeln verstand (und versteht), und dies nachweislich relativ schnell. (Allerdings hätte Söder besser schon zu Faschings-Zeiten, also auch zu Zeiten des "Ski-Urlaubs" im Februar entsprechend gehandelt. So gilt eben "nur" jenes "better late than never" ...) Wer all die politischen Akteure aufmerksam beobachtet und in ihrem Tun verfolgt, der wird sehr bald die Spreu vom Weizen zu trennen wissen ... (Dabei ist allerdings die Nachhaltigkeit der jeweiligen Positionen stets zu beobachten! Söder hatte ja beispielsweise damals beim Problem "Skischaukel", bei der Diskussion um den "Alpen-Plan", für an der Umwelt sehr Interessierte alles andere als glaubwürdig und zuverlässig gewirkt; auch daran wird man sich hoffentlich erinnern und entsprechend vergleichen, wenn immer wieder Urteile zum Gesamteindruck gefällt werden ...)
Mit seinem Verkünden von Allgemeinplätzen sowie der zumindest implizit angedeuteten Hoffnung auf schnelle Aufhebung von Sicherheitsmaßnahmen hat Armin Laschet wohl niemanden einen guten Dienst erwiesen! Da sollten wir doch eher jenen folgen, die sachkompetent sich zu äußern vermögen und die auf Grund von Expertenurteilen maßvoll und gleichzeitig wirksam handeln, wie beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ... Die Einlösung von Verantwortung im Kontext von moralischem Handeln erfordert eben mehr als nur die Verkündung und Verbreitung von Schlagwörtern und Wunschphantasien!
Viele mögen es womöglich als eine Nebensächlichkeit abtun, ich sehe das jedoch nicht so: Welchen Eindruck macht es denn, wenn jemand (hier: Armin Laschet) öffentlichwirksam mit der vielfach geforderten "Mundschutz- / Atemschutzmaske" auftritt, dabei zeigt, daß er diese nicht richtig anzuwenden versteht (er hatte -- was extrem für denSchutz wichtig ist! -- seine Nase unbedeckt gelassen, also die Schutzmaske "nur" über die Mundpartie gezogen?! Ich denke, daß es oft sehr elementare Dinge sind, die bereits zeigen, wo es mit der Sachkompetenz nicht zum Besten bestellt ist. Wer über Schutzmaßnahmen spricht und zu entscheiden hat, wer sich als sachkompetent darstellt, der (oder die) sollte schon auch das "ABC" einer Thematik beherrschen und damit umzugehen wissen. Gelingt ihm / ihr das nicht, dann darf man sich nicht wundern, wenn in der Öffentlichkeit ein entsprechender Eindruch entsteht bzw. fortgeschrieben wird. (Daß Armin Laschet diesen Fehler dann später in den Sozialen Medien auf eine von ihm sicherlich als humorvoll verstandene Art eingeräumt und korrigiert hat, macht es vielleicht lustiger, aber nicht besser ...)
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Gut, daß Markus Söder (und einige andere in Verantwortung), seit kurzem auch die Bundekanzlerin, da den Gang eines besonneren Weges anmahnen und nicht den Gedanken beispielsweises eines Armin Laschets folgen. Daß die Wirtschaft hier sich jetzt schon -- wo eigentlich noch nichts wirklich abzusehen ist -- nach Ostern (2020) "eine schrittweise Rückkehr zur Normalität" fordert, zeigt aus meiner Sicht vor allem eines: kapitalisisch orientierte Form von Ignoranz. (Auch die Wirtschaft sollte sich bewuß machen, daß sie mit einem solchen Wege wohl ans eigene Bein pinkeln würde, denn eine im Übermaß kränkelnde Bevölkerung wird wohl andere Probleme zu lösen haben als sich für die Wirtschaft hinreichend dem Konsum hinzugeben ...) Ich denke (und wünsche mir), daß ein anderer Weg uns die Krise lehren sollte, nämlich den, welchen der Soziologe Professor Aladin El-Mafaalani fordert: "Ich wünsche mir eine Weltgesellschaft, die von Macht und Konkurrenz auf Kooperation, Solidarität und Zusammenhalt umschaltet. Vor Corona dachte ich, es bräuchte Außerirdische dafür. Aber vielleicht sind es winzig kleine Viren, die uns zeigen, dass wir alle im selben Boot sitzen." (in: Gabor Steinhart, Morning Briefing/ Der 8. Tag - Deutschland neu denken, 28.03.2020)
Dieser Gedanke in Richtung Systemwechsel könnte eine sinnvollere Antwort auf eine mögliche Zukunft sein als der, zu denken, es werde sich "danach" schon alles wieder in der gewohnten (aus der Vergangenheit bekannten) Normalität wiederfinden.
Aber auch der Gedanke sollte Normalität werden: Wer moralische und ethische Vorgaben macht, sie quasi zu einer allgemeinen Gesetzgebung (z.B. im Kantschen Sinne des Kategorischen Imperativs) erhebt, der (oder die) sollte zugleich prüfen, inwieweit dies dann auch nachhaltig und wirklich allgemeinverbindlich sein und gelten kann ...
Es bedarf also (offensichtlich bei vielen!) auch eines Systemwechsels im Denken hinsichtlich Machbarkeit, Stimmigkeit, Nachhaltigkeit sowie Respekt vor der Einzigartigkeit der Individuen, damit auch Achtung vor deren jeweiligen Entscheidung über ihr eigenes Leben, was letztlich dann auch die eigene Bestimmung über das Ende eines Lebensweges beinhalten muß.
Zum Schluß an dieser Stelle lese man auch einmal dies (auch in Hinblick auf: fakenews ...) und überlege, wie sinnvoll so eine Aussage überhaupt sein kann:
"Am Ende wird alles gut; und wenn es nicht gut wird, dann war es noch nicht das Ende."
(fälschlich oft "Oscar Wilde" zugeschrieben) *)
*) Diese Aussage ist aus mehrfacher Hinsicht interessant: vor allem zeigt sie einmal mehr, wie schnell etwas jemandem zugeschrieben werden kann und dann ebenso schnell zu einer Art unverrückbarer Tatsache hochstilisiert wird. Belegt ist jedoch vielmehr dieser seit mindestens 1991 auf Portugiesisch verfaßte Spruch mit Fernando Sabino als Autor. (Übrigens wird der Satz stellenweise auch John Lennon zugeschrieben ...). Gegen eine solche Einstellung, also damit auch gegen eine Autorenschaft Oscar Wildes, spricht sicherlich dessen eigene Biographie, auch seine politische Positionierung (er neigte zu sozialistischen Betrachtungs- und Gestaltungweisen innerhalb einer Gesellschaft) sowie seine, wenngleich von ihm selbst gerne überspielte, Rationalität. So sagte er auch einmal: “To the world I seem, by intention on my part, a dilettante and dandy merely – it is not wise to show one’s heart to the world – and as seriousness of manner is the disguise of the fool, folly in its exquisite modes of triviality and indifference and lack of care is the robe of the wise man. In so vulgar an age as this we all need masks.” (in einem Brief vom Februar 1894 an Philip Houghton), eine Aussage, die man vielleicht auch in gegenwärtigen Zeiten oft als angebracht empfinden könnte. Wie wir ja immer wieder erleben können, ist es wirklich nicht immer klug, der Welt das eigene Herz zu zeigen (deshalb auch die "Spielchen" der Täuschung und Verstellungen bis hin zu Lügen nicht nur auf politischer und wirtschaftlicher Ebene, sondern gerade auch bis in den einfachen Alltag hinein), wie häufig ist sicherlich auch "ernsthaftes Verhalten" die Tarnung des Trottels, treiben Belanglosigkeit und Gleichgültigkeit sowie der Mangel an echter Sorge ihre Blüten; und in geschmacklosen Zeiten bedarf es der Maskierungen ... Wer so urteilt, wer so denkt, wird wohl kaum auf ein immer weiter zu verschiebendes Ende abheben, an dem dann zuletzt wirklich "alles gut" sein wird. Oscar Wilde hätte diesen Satz so ganz bestimmt nicht formuliert, sondern vielmehr auf die Lösung in Gegenwärtigkeit gedrängt. Auch hier zeigt sich, wie Moral und Verantwortung sich nicht in eine vage Zukunft verschieben lassen, wenn es doch darum geht, Dinge zeitnah, möglichst unverzüglich und vor allem vorhandener Not gehorchend, in Ordnung zu bringen.
Anmerkung: Oberflächlich betrachtet klingt dieser häufig und gerne zitierte Satz, fälschlicherweise Oscar Wilde zugeschrieben, ja inhaltsschwer und wohl für viele zunächst positiv. Aber trifft diese Sichtweise auch wirklich zu oder verhindert eine derartige Sichweise nicht eher die gründliche Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit? So eine Art Perpetuum Mobile des Optimus? Ich kann nicht umhin, hier zu kritisieren, daß dieses Denken / Hoffen, den Umgang mit zu lösenden Dingen auf etwa einen Sankt Nimmerleinstag verschiebt, eben von der Hoffnung geleitet, irgendwann werde dann schon alles gut werden. Mich erinnert das schon sehr an meine sehr katholisch-gläubige Oma (ich liebte sie übrigens sehr, insofern ist diese Einlassung keine Kritik an ihrer Person, freilich eine an dieser fatalistisch anmutenden Grundhaltung!) mütterlicherseits, die bei größeren Problemen oder gefühlten Drangsalen stets vor sich hinseufzte, das "Himmelvaterle (gemeint war damit natürlich "Gott", d.V.) werde ihr schon mal alles im Jenseits vergelten". Diese Vertröstung auf ein Jenseits (auch wenn man fest daran glaubt!) oder auf andere Projektionsebenen ist jedoch der falsche Weg! Hic et nunc!, so muß die Gestaltungsmaxime lauten; es ist unsinnig auf ein wie immer gedachtes "Ende" zu spekulieren, an dem sich alles in Wohlgefallen auflöst und sollte dieser (paradiesische) Zustand eben immer noch nicht erreicht sein, zu konstatieren, dann sei eben jenes antizipierte "Ende" noch nicht Realität geworden, man müsse also noch geduldig abwarten. Diese Haltung ist gerade nicht die Einlösung von "Verantwortung", kann auch nicht Maxime einer "Moral" sein! Vielmehr ist es eine Art von Unterordnung, von Selbstaufgabe, vor allem ein Aufgeben des Bemühens einer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entrinnen.
Moral und Verantwortung sind keine Seinsbestimmungen, die man nur dann versucht einzulösen, wenn man es sich bequem leisten kann, sondern sie erfahren ihre Gültigkeit vor allem dann, wenn es durch die Umstände schwierig wird, moralisch zu handeln und Verantwortung zu zeigen, eben entsprechend zu leben.
"Nicht jeder wandelt nur gemeine Stege: Du siehst, die Spinnen bauen luft'ge Wege."
(J.W.v.Goethe)
"Das beste Mittel, glücklich zu werden, ist wie eine Spinne aus sich heraus nach allen Seiten ein Netz aus Liebe
zu spinnen und mit dessen klebrigen Fäden alles einzufangen, was des Weges kommt."
(Leo Tolstoi)
(Anmerkung: Da hat der gescheite Herr wohl allzu viel an Optimismus versprüht! Denn: man muß sehr wohl auch ab- und ausgrenzen können!)
Die Politik ist in ihren Entscheidungen sicherlich abhängig von Expertenwissen, sofern sie bereit ist, darauf entsprechend zu hören. Allerdings ist das für Politiker nicht immer so einfach, da sich gerade auch Experten vielfach widersprechen bzw. Sachverhalte oft recht unterschiedlich deuten. Ein Beispiel: Noch am 21. Januar 2020 äußerte sich der Präsident der Robert-Koch-Instituts, Professor Lothar H. Wieler, folgendermaßen: "Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich das Virus nicht sehr stark auf der Welt ausbreitet." Als eine Woche später dann der Gesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz sagte, "Die Gefahr für die Gesundheit der Menschen in Deutschland durch diese neue Atemwegserkrankung aus China bleibt nach unserer Einschätzung gering.", stand Professor Wieler an dessen Seite, ohne hier zu widersprechen. Es fällt also wirklich schwer, die Politik zu tadeln, wenn sie -- auf Expertenwissen angewiesen -- im Sinne solcher Äußerungen handelt bzw. nicht handelt.
Allerdings gab es zu dieser Zeit und auch schon früher andere Stimmen, die gegenteiliger Auffassung waren und entsprechend warnten. Ein Problem von Politikern also ist unter vielen anderen: auf wen will man hören, auf wen kann man sich verlassen. (Heute spricht Professor Wieler natürlich eine ganz andere Sprache, er benennt das Problem sehr deutlich! Aber dies vermag ich mit dem sonst sicherlich häufig so zutreffenden 'Better late than never' angesichts der tatsächlichen Problemlage hier nicht zu relativieren, auch nicht zu entschuldigen.) Denn erst 3 Tage vor dem 21. Januar 2020 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die "Gefahr einer weltweiten Verbreitung des SARS-CoV-2" als "hoch" eingestuft...
Nun fehlen neben Personal vor allem auch notwendige Hilfsmittel. Hier stellt sich die Frage, ob hier derartige Mängel in der Ausstattung wirklich nicht vorhersehbar waren. Da hilft ein Blick weiter zurück, nämlich ins Jahr 2012. Bereits damals wurde auf die Wahrscheinlichkeit möglicher verheerende Pandemien von namhaften (und wirklichen!) Experten hingewiesen. Auch das RKI (Robert-Koch-Institut) hat auf der Grundlage der Erfahrungen mit den Coronaviren SARS und MERS bereits 2012 (sic!) ein Pandemie-Szenario aufgezeigt, das nun 2019/2020 genauso wie seinerzeit skizziert sich realisiert hat ... Information sowie Zeit sich auf so eine Katastrophe vorzubereiten, wäre also durchaus vorhanden gewesen!
Es ist nun einmal Tatsache, daß frühe Warnungen von Ärzten mißachtet worden waren: Als im Dezember 2019 von ihnen die Übertragung dieser neuen Lungenkrankheit von Mensch zu Mensch festgestellt wurden, nahm man diese Hinweise nicht ernst; beispielsweise wurde einer von ihnen, Li Wenliang (mittlerweile selbst an Corona verstorben), regelrecht mundtot gemacht. Die entsprechende Studie (veröffentlicht im März 2019 im Fachjournal Viruses!) zeigt, daß chinesische Wissenschaftler bereits vor einem Jahr eindringlich vor dem möglichen Auftreten eines neuen Corona-Virus gewarnt hatten. Und wer waren die Autoren jener Studie? Es waren vier Forscher des Instituts für Virologie in Wuhan (jene Metropole, die vom Covid-19-Virus extrem schwer betroffen wurde und von wo die Epidemie nach bisherigem Kenntnisstand ihren Ausgang nahm) sowie der Universität der chinesischen Akademie der Wissenschaften. (Für viele von uns schien das offensichtlich alles äonenhaft entfernt, eine recht seltsame Einschätzung allerdings, wenn genau jene Verharmloser dann immer wieder über das System der Globalisierung tönen und es uneingeschränkt lobpreisen ...)
Kurz zur Definition, die freilich auch schon einen Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und mögliche zukünftige Auswirkungen geben kann: Der höchstwahrscheinlich von Tieren (vermutet wird der Genuß von Fledermäusen u.a. auf dem Markt von Wuhan gehandelten Tieren) auf den Menschen übertragene "Coronavirus" wird wissenschaftlich "Sars-CoV-2" genannt. (Die Tiere werden nach derzeitigem Kenntnisstand als der natürliche "Wirt" des Virus, der Mensch als "Zwischenwirt" gesehen.) Weshalb die Bezeichnung "Sars-CoV-2"? Der Erreger ist dem Sars-Erreger von 2002/03 (sic!) sehr ähnlich, wird von Experten als eine Variante von ihm angesehen. "CoV" ist die Abkürzung von "Corona-Virus" und die "2" zeigt an, daß es sich um das zweite bekannte "Sars-Virus" handelt. (Die Bezeichnung "Covid-19" ist abgeleitet von "Coronavirus-Disease 2019.) Allein die Ähnlichkeit und das erste Auftreten eines Sars-Erregers hätten dazu führen müssen, die Warnungen der Experten bereits damals mehr zu beachten und Vorsorgemaßnahmen (wie z.B. Bereitstellen von Masken, von Schutzanzügen, das Vorhalten von Desinfektionsmitteln, etc.) seitens Politik einzuleiten. Dies ist jedoch nicht geschehen, weshalb man hier in vielerlei Hinsichten Fahrlässigkeit und kein vorausschauendes Planungsverhalten den jeweiligen Stellen vorwerfen kann (und muß).
Dieser Vorwurf sollte allerdings auch jene Politiker und Politikerinnen sowie andere zuständige Personen / Institutionen treffen, die 2019 hierzulande vehement noch für eine Ausdünnung des Krankenhaussystems eingetreten sind und sich heute als "Krisenmanager" und "Tatmenschen" feiern lassen ... (Ein Beispiel mehr dafür, wie schnell die breite Öffentlichkeit Tun bzw. Unterlassen Verantwortlicher vergißt bzw. "entschuldigt". Dieser Umstand ist auch ein weiterer Hinweis darauf, wie sinnlos eigentlich alle jene Umfragen zu "Stimmungen" und "Wertschätzung" der Bevölkerung sind, welche in regelmäßigen hitparadenähnlichen Aufzeichnungen dann von den Medien, allen voran den Öffentlich Rechtlichen präsentiert werden, so als würde damit wirklich Realität abgebildet; faktisch sind das eher sinnlose Spielereien, allenfalls zu seichter Unterhaltung tauglich -- jedenfalls einen ganz besonders negativen Beigeschmack haben all jene Inszenierungen dann doch: sie befördern die Oberflächlichkeit in der Wahrnehmung und im Urteilsvermögen ...)
Der "Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012" macht deutlich, daß die Bundesregierung seit jener Zeit von der aktuellen Corona-Pandemie wußte. (vgl. "Frontal 21" vom 24.März 2020! Das RKI und weitere Behörden hatten das Szenario einer Pandemie mittels theoretischer Analyse fußend auf Datenmaterial früherer Seuchengeschehen sehr intensiv durchgespielt! Woher diese Daten? In den Jahren 2002 und 2003 waren weltweit mehr als 8.000 Menschen an SARS erkrankt, es starben 800 Personen daran. 2012 dann nahm von der arabischen Halbinsel MERS (ebenfalls ein Corona-Virus) seinen Ausgang: 2.519 Infizierte und 866 Tote (lt. WHO Ende,Februar 2020)
Am 3. Januar 2013 (sic!) veröffentlichte der Deutsche Bundestag das Ergebnis von zwei Risikoanalysen; diese zeigten die Wahrscheinlichkeit eintretender Ereignisse sowie den zu erwartenden Schaden! In der Analyse hinsichtlich einer Pandemie durch den Erreger "Modi-SARS"ist von einem "außergewöhnlichem Seuchengeschehen" die Sprache und es wird darauf hingewiesen, daß in der Folge auch zu Versorgungsnot im medizinischen Bereich dann käme. Es würden "Engpässe" entstehen, "die Industrie (könne) die Nachfrage nicht mehr vollständig bedienen." Also nochmals: Die Gefahr war bereits damals benannt, indirekt ist auf deshalb vorsorglich zu treffende Maßnahmen hingewiesen worden. Es zeigt sich hier offensichtlich auch ein Versagen seitens Politik! Bemerkenswert ist m.E. auch, daß der Geschäftsführer des Verbands Hygiene und Oberflächenschutz laut eigenem Bekunden erst im Gespräch mit dem "Frontal21"-Autoren Andreas Halbach von der Existens des Papiers vo 2012 erfahren habe. Er wörtlich: "Ich kannte es nicht. Davon bin ich überrollt worden." Den ersten Kontakt mit Jens Spahn, dem derzeitigen Bundesgesundheitsminister, habe es erst Mitte März 2020 gegeben.
So ist das also mit der eigentlich notwendig (und m.E. als selbstverständlich handzuhabenden!) Koordination, möchte man da kritisch anmerken ...
So soll auch die Warnung von Achim Theiler, dem Geschäftsführer der Franz Mensch GmbH (die Firma ist einer der führenden Hersteller von Hygiene- und Schutzartikeln!), von Jens Spahn nicht entsprechend aufgenommen worden sein. Theiler schrieb am 5. Februar 2020 dem Gesundheitsminister eine Mail, in der u.a. darauf verwies, daß 97 Prozent der Weltmarktproduktion von Hygiene- und Schutzartikeln aus China stamme, diese Artikel nun aber dort dringend benötigt würden (bekanntlich brach dort im Dezember 2019 der Virus aus) und nun von China in Deutschland wieder aufgekauft würden. Theiler forderte auch deshalb die Bundesregierung auf, bezüglich der Ausstattung des medizinischen und des Pflegpersonals "vorzeitig" zu planen. Zitat: "Der Brand lief schon. Und man hat sich weiterhin mit dem Erklären des Brandes beschäftigt, anstatt darüber nachzudenken, wie man ihn löscht."
Wer hier nun -- vielleicht die rechtzeitige Untätigkeit und Ignoranz entschuldigen wollend ?! -- als Gegenargument die "Unvergleichbarkeit" von Sachverhalten gelten zu machen versucht, dürfte hier gelinde gesagt (einmal mehr) viel zu kurz greifen. Sicherlich, die im Szenario von 2012 beschriebende "Modi-SARS" ist hypothetisch, zeichnet sich jedoch durch realistische Eigenschaften aus: es handelt sich wie beim derzeitigen Sars-CoV-2 um ein Coronavirus. Die Annahme für mögliche Szenarien wurde gut begründet: "Die Wahl eines SARS-ähnlichen Virus erfolgte unter anderem vor dem Hintergrund, dass die natürliche Variante 2003 sehr unterschiedliche Gesundheitssysteme schnell an ihre Grenzen gebracht hat." Sicherlich steht im Bericht von 2012 unter anderem auch, es sei "in der Praxis nicht vorhersehbar, welche neuen Infektionskrankheiten auftreten werden und wann dies geschehen wird." Das bedeutet jedoch nicht, daß Politik und andere dafür relevante Stellen derartige Modellberechnungen geringschätzen oder gar ignorieren dürfen! Wir erleben derzeit ja die Auswirkungen einer derartigen Ignoranz, die Ergebnisse von Beschönigungs- resp. Verharmlosungsversuchen. Wir stehen wegen falscher Schwerpunktsetzungen nun schon etwas allzu sehr unvorbereitet da. Da wundern sich auch Experten wie Prof. Dr. Uwe Janssens (Präsident der Deutschen Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin), der in "Frontal21" erklärte, er sei "erstaunt. Ich hätte es mir gar nicht vorstellen können, dass wir tatsächlich so unvorbereitet sind."
Da bin ich froh, wenn die häufig (sicherlich bisweilen auch zu Recht) oft zu Recht gescholtenen Medien einmal mehr eine hervorragend Aufklärungs- und Erhellungspflicht erfüllt haben. Dadurch werden jeweils Versäumnisse und Notwendigkeiten verdeutlicht, werden Versagen und Minderleistungen erkennbar. Unvorstellbar sollte es schon sein, wenn man auf breiter Ebene in der Öffentlichkeit jene lobt und hofiert (s.o.), die sich in der Vergangenheit auf ihrem jeweiligen Gebiet nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben. Wie es überhaupt immer wieder auffällig ist, daß seitens Politik und Ministerien beim Aufdecken von Mängeln (z.B. in Magazin-Sendungen) entsprechende Anfragen / Nachfragen unbeantwortet bleiben, ignoriert werden oder aber -- falls man sich doch zu einer Antwort "bequemt" -- mit einem "es besteht kein Handlungsbedarf" (o.ä.) abtut. Demokratie verlangt eigentlich nach anderen Reaktionen ...
Mit der Kritik -- trotz angebrachten partiellen Lobs (vor allem hinsichtlich Markus Söder) -- muß man auch all jene tatsächlichen, gefühlten oder durch eigene bzw. fremde Inszenierung erzeugten Spitzenreiter im Carona-Handeln erfassen: weshalb haben jene nicht schon bei den ersten Anzeichen konsequent gehandelt? Das Problem war zu Karnevalszeiten und in der Periode des Skiurlaubs (Stichwort: sogenannte Skiferien in Bayern mit Ausflügen nach Ischgl etc.) bereits absehbar, hätte auf Grund all der überall nachlesbaren und hörbaren Warnungen erkannt werden müssen. Aber da galt es offensichtlich: Spaß und "den Bürgern die Freude nicht verderben" zuerst, alles andere erst später sofern überhaupt. Wer sich nun nach den Versäumnissen dann doch noch mit "schnellem" und "energischen" Handeln an die Spitze gesetzt hat resp. von Medien und Öffentlichkeit gesetzt wurde, der muß sich sicherlich auch eine Bewertung und Einschätzung á la "I'm so far behind I think I'm first!" gefallen lassen.
Und relativ gesehen ist diese "Hitparaden-Attitüde" ja auch richtig, denn wer unter all den Zögernden, Nichthandelnden, Abwartenden, Beschwichtigenden dann als erster das Zepter schwingt, der darf für sich durchaus beanspruchen, aus jener großen Masse herauszuragen -- allerdings eben leider doch etwas zu spät und auf Versäumnissen gebettet. Allerdings wird es vor diesem Hintergrund für die breite Öffentlichkeit nicht so ganz einfach sein, zwischen tiefer Überzeugung, Verantwortung, Ehrlichkeit, Macherqualitäten, Wörtergetöse, Handlungskompetenz und populistischem Gebaren sowie ideologischer Zielsetzung (hier vor allem: Machterhalt bzw. Machterweiterung gegenüber der politischen Konkurrenz) zu unterscheiden. Der Grat zwischen Lob und Verurteilung ist da in der Tat recht schmal ...
Womit ich hier -- leider: so notwendig, weil naheliegend -- mit einem saloppen Kommentar schließen werde: Viel zu viel Mittelmaß (wenn überhaupt ...) in der Politik! Man sollte einmal mehr die Bedingungen der Möglichkeiten sondieren, um diesem Mangel wirksam zu begegnen.
Vielleicht ist ja in den folgenden Weisheiten zumindest der Kern einiger Antworten auf bohrende Fragen hinsichtlich praktizierter und gelebter Mittelmäßigkeit enthalten:
Jeder Eindruck, den man macht, schafft Feinde. Um populär zu bleiben, muß man mittelmäßig sein.
Oscar Wilde
In jeder Gesellschaft gibt es das sogenannte goldene Mittelmaß, das Anspruch auf den ersten Platz erhebt.
Diese Leute der goldenen Mitte sind schrecklich von sich eingenommen. Sie sind diejenigen, die auf jeden
Neuerer den ersten Stein werfen.
Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Viele Worte machen, um wenige Gedanken mitzuteilen, ist überall das untrügliche Zeichen der Mittelmäßigkeit; das des eminenten Kopfes dagegen, viele Gedanken in wenig Worte zu schließen.
Arthur Schopenhauer
Gedanken zu "Corona" und der Krise
Daß es immer wieder Epidemien geben wird, ist längst bekannt. Auch daß eine gefährliche Pandemie uns belasten wird, ist keine neue Erkenntnis. Die "Corona-Krise" hätte uns eigentlich nicht so "überraschend" treffen müssen, wie es nun gerade von jenen Stellen, die jegliche Anzeichen einer (möglichen) Krise lange geleugnet haben, damit auch eigentlich rechtzeitig zu treffende Maßnahmen verhindert haben, suggeriert wird. Man hätte es wissen können (entsprechende Warnungen lagen lange vor, jene vor allem gründend auf Erkenntnissen früherer Epidemien!), man hat es jedoch gerade von Entscheidungsträgern vorgezogen, die Nase in den Sand zu stecken. Dann spielte man vielerorts plötzlich den "Überraschten". Auffällig sind sie schon: all die häufigen Schlußfolgerungen aus dem Bekannten in eine daraus eigentlich nicht genau genug erfassbare Zukunft. Das Versagen der Politik ist da immer wieder besonders auffällig. So weiß man seit Jahrzehnten über die Ausbeutung von Fremdarbeitern in Schlachthöfen, über deren miserable Bezahlung und Unterbringung und spielt jetzt -- m.E. pharisäerhaft -- den Empörten. Nein, man wußte darum, man hätte schon längst auf politischer Seite entsprechend handeln können (so man es denn gewollt hätte und nicht obendrein dem Einfluß von Lobbyisten nachgegeben hätte)! Jetzt tut man so, als wäre dies alles wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen. Und dann immer diese blödsinnige Ausweitung des Begriffes "systemrelevant". Wir erinnern uns an die Entstehung dieser euphemistischen Begrifflichkeit: es ging um die Rettung der Banken, weil die ja allesamt ach so "systemrelevant" waren und sind. Kein Wort darüber, daß sie durchaus auf dem Markt ersetzbar sind wenn man nur eine entsprechende Schwerpunktsetzung von politischer Seite rechtzeitig vorgenommen hätte. Und jetzt ist es die Lufthansa. Und vor allem die Autoindustrie, die mit dem Lorbeerkranz der "Systemrelevanz" bedacht wird; eine Industrie, die von führenden Firmen vor allem durch eklatantes Fehlverhalten bis hin zur Täuschung der Öffentlichkeit aufgefallen ist, die riesige Gewinne erzielen konnte und jetzt -- angesichts der Corona-Krise -- nach Staathilfen (also nach dem Geld der Steuerzahler) schreit. All diese Forderungen und auf Kosten der Allgemeinheit dann häufig gewährten Hilfen werden dann meistens noch mit dem Totschlagargument "Arbeitsplatzverlust" dramaturgisch aufbereitet. Gerade die Autoindustrie hat jahrelang verschlafen, daß ein Umsteuern in der Verkehrspolitik allein schon wegen des Klimas notwendig ist. Man hat -- wie andere auf vielen Feldern auch -- mit dem bekannten "Weiter-so!"-Diktat operiert.
Eigentlich zeigt die Corona-Krise uns, was wirklich "systemrelevant" ist, damit auch, was nicht unter den Begriff "Systemrelevanz" zu subsumieren ist, soll er letztlich nicht bis hin zur Beliebigkeit entwertet werden. Es ist die Grundversorgung der Bevölkerung, es ist all das, was die Gesundheit unmittelbar betrifft, es sind diejenigen, welche unmittelbar für die Bevölkerung zur Bestreitung basaler Bedürfnisse wirklich notwendig ist; es sind jene Personen, denen man bislang weder durch entsprechende Wertschätzung noch durch Bezahlung für ihr unverzichtbares Tun große Achtung entgegen gebraucht hat: Verkäufer / Verkäuferinnen, für die Mobilität Zuständigen, medizinisches Personal (damit meine ich freilich nicht jene überaus gut verdienenden Zahnärzte, denen man mit 80% Zuschüsse staatlicherseits Einkommensausfallkompensation, dafür z.B. Physiotherapeuten dann nur 40%, zukommen lassen möchte -- auch hier dürfte Lobbyarbeit einmal mehr grüßen lassen ...), Pflegepersonal, Pflegeheime und Krankenhäuser, Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln u.a.m.
Vieles jedoch, was heute dann so als "systemrelevant" bezeichnet wird, sollte aus Gründen notwendiger (und bezahlbarer) Abrenzung anderweitig attribuiert werden. Auch sollte der Gedanke des unternehmerischen Risikos nicht so ganz außen vorgelassen werden, wenn Einkommensausfälle diskutiert werden. Letztlich wird all das, was der Staat an Finanzmittel (jetzt natürlich durch Aufnahme immenser Schulden) leistet, zu leisten bereit ist, vom Steuerzahler und vor allem auch von den nachfolgenden Generationen zu tragen sein! Auch sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man generell eine Deckelung von Unterstützungsleistungen vornimmt, die keine Gruppierung (wie z.B. die vorgenannten Zahnärzte) besonders priviligiert. Um nicht mißverstanden zu werden, natürlich sind Zahnärzte für die zahnärztliche Grundversorgung unverzichtbar (und diese sollte auch entsprechend abgesichert werden, allerdings ebenfalls gedeckelt), jedoch wenn es um Zahnästhetik o.ä. geht, dann sollte jene Gruppe nicht mehr privilegiert werden als jeder andere letzlich auf Eigenverantwortung arbeitende (mittelständische) Betrieb.
Und weil hier die Grenzziehung zur "Systemrelevanz" nicht einfach ist, sollte hier ein besonders enger Maßstab, nämlich jener der Unmittelbarkeit, angelegt werden. Alles andere würde zu einer Anspruchsinflation führen -- und diese erleben wir ja nun auch vor dem Hintergrund des staatlich versprochenen Füllhorns für Corona-Geschädigte.
Wesentlicher Punkt: Jegliche Krise zeigt immer wieder, daß es in aller Regel danach eigentlich nicht so bleiben kann, wie es war. Wir haben das aus wirtschaftlicher Perspektive früher beispielsweise im Bereich des Bergbaus (Ruhr und Saar) erleben können, wenngleich hier der "Umbau" (auch wieder aus Lobbyismus und politischen Präferenzen), die Umstrukturierung, viel zu lange gedauert hat; Fakt war und ist: viele Bergleute mußten sich einen neuen Job suchen, dabei wurde ihnen vom Staat teilweise auch Unterstützung zuteil. Manchmal sind sog. heilige Kühe eben allzu irdisch und zu schlachten, sie fallen aus der Zeit nicht zuletzt deshalb, weil Aspekte der Umgestaltung und Diversifiktion nicht ins Kalkül unternehmerischer Gestaltung gezogen wurden. Und eine Autoindustrie ist sogesehen ebenfalls eine Art "heilige Kuh", der man endlich so manche "Heiligenscheine" nehmen muß. Hierzu gehören natürlich auch politische Maßnahmen, denen man sich leider bislang immer wieder verweigert hat; wenn man dann zugleich von Nachhaltigkeit, von Umweltschutz, von Innovation, etc. predigt, dabei jedoch entsprechende politische Steuerungsmaßnahmen unterläßt, weil man zu feige ist und vielleicht Wählerstimmenverlust fürchtet oder weil man einer massiven Lobby zu Kreuze kricht, (z.B. SUVs, PS-starke, für unser Verkehrssystem und unsere notwendige Mobilität weit überdimensionierte Fahrzeuge), dann ist das nichts anderes als Widersprüchlichkeit bis hin zu einer eklatanten Verlogenheit. Beispiel für eine wirkliche Verantwortung für eine gesunde Zukunft ist das alles jedenfalls nicht.
Die Corona-Krise zeigt sicherlich auch eines: so vieles, was man im (früheren, normalen) Alltag glaubte, unbedingt zu benötigen, verliert plötzlich an Wichtigkeit, an Bedeutung. Und anderes, das vor der Krise eher gering geachtet wurde, erhält nun endlich die gebotene Aufmerksamkeit und (zumindest vorerst eher in verbaler und symbolischer Hinsicht) die angemessene Wertschätzung. Kurz: es gibt so vieles, was man nicht dringend braucht. (Und all das andere ist dann eben nicht: systemrelevant!) Die Corona-Krise zeigt auch dies: Wir müssen unsere Lebensweise ändern, wir müssen mit der Umwelt wieder vernünftig und respektvoll umgehen (damit auch Flora und Faune ihren Lebensraum ungestört lassen und diesen auf unsere Kosten immens vergrößern!), wir müssen uns in Zukunft mehr einschränken und -- nicht nur, aber auch, global gesehen! -- wir werden unseren gewohnten Lebensstandard herunterfahren müssen, eine Änderung von Quantität hin zu Qualität (i.e. mehr Sein, weniger Haben, mehr Bescheidenheit, weniger Gier)! Das ist die eigentliche Nachricht, die uns die Corona-Krise übermittelt, ja, geradezu aufdrängt.
Aber wird diese Nachricht begriffen, wird sie überhaupt gehört und, wenn ja, werden daraus die notwendingen Konsequenzen gezogen? Ich fürchte: Nein! Insofern teile ich die Ansicht des kritischen französischen Schriftstellers Michel Houellebecq, der unlängst bestrittenhat, daß die Welt nach der Corona-Krise eine bessere sein werde: "Wir werden nach der Eindämmung nicht in einer neuen Welt aufwachen; es wird die gleiche sein, nur ein wenig schlimmer." (so Houellebecq in einem Brief an Radio France Inter)
Die Menschen werden danach nicht vernünftiger sein, nicht mehr zusammenrücken und die Befürchtung des Schriftstellers, es gebe eine "Tendenz zur Beschleunigung von Vereinsamung und Entfremdung" fußt auf einer soliden Grundlage: "Seit einigen Jahren hätten alle technologischen Entwicklungen die Reduzierung materieller und insbesondere menschlicher Kontakte zur Folge. Die Pandemie diene als großartiger Vorwand für diesen folgenschweren Trend."
Wer all den Hype um die modernen Medien, die Abhängigkeit von Smartphone etc. wahrnimmt, wer die zunehmende Reduktion an lebendiger Kommunikation registriert (man beobachte nur mal das Verhalten der Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln heutzutage, kaum eingestiegen, schon sich in den Schutzmantel des Smartphones, Tablets, o.ä. begeben und darin versunken), wer vor allem die eigentlich unübersehbare Tendenz einer weiteren Delegation eines möglichen Miteinanders vom menschlichen zum materiell-reduzierten Kontakt (Stichwort: Home Office, diese deutsche Erfindung, sie existiert übrigens -- wie auch das deusche "Handy" -- in der englischen Sprache so nicht; Home Office ist das Innenministerium in GB, "handy" bedeutet u.a. geschickt, hat also mit dem ominösen Gerät nichts zu tun ...), mittels dessen man (= die davon vor allem materiell Profitierenden) glaubt, die zukünftige Welt in den Griff zu bekommen, erlebt (erleben muß), der sollte sich besser nicht einer kritiklosen Unterordnung befleißigen ... Viele nutzen gerade die Corona-Krise, um ihre diesbezüglichen Interessen durchzusetzen, sie einer Allgemeinheit schmackhaft zu machen.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie waren / sind sicherlich durchaus notwendig und angemessen, im Verhältnis zur Problematik von Corona waren sie auch relativ zeitlich-kurz gefaßt (natürlich ist 'kurz' ein relativer Begriff, jedoch gemessen an dem, was eigentlich wirklich notwendig wäre, würden die Entscheidungsträger sich nicht vielfältigem öffentlichen Druck ausgesetzt sehen, kann man m.E. durchaus sagen, die einschneidenden Maßnahmen waren eher zu kurz als zu lang ...). Natürlich war das alles nicht angenehm. Nicht schön. Aber eben halt: notwendig.
Wer nun die lautstarke bisweilen sogar extrem aggressive Reaktion einer doch recht breiten Bevölkerung erlebt, wer sieht wie die Ungeduld des "Zurück-nach-früher" wächst, bei Teilen geradezu ungeistig explodiert, wer also die Schreie nach "Freiheit", nach "Urlaub", nach "Gaststättenbesuch", nach "Biergartenöffnung", nach "Popkonzerte", nach "Entertainment" (statt nach etwas mehr sicherem: "containment" ...), nach "Konsum", nach "Shopping", nach "Freie Fahrt für freie Bürger", nach "Umsatzrückgang", nach "Umsatzeinbuße", nach einem "Aufbegehren gegen Bevormundung und Freiheitsberaubung", nach teilweiser Forderung von Sonntagsöffnung der Konsumtempel zwecks Aufholen von Umsatzausfällen, nach dieser und jener Oberflächlichkeit und Vordergründigkeit hochschwappen spürt, ja, wer all diese Phänomiona hautnah über sich ergehen lassen muß (die Medien, allen voran auch die Öffentlich Rechtlichen befördern das häufig auch noch), ja, der oder die weiß, wohin die Reise gehen wird: zum Nachholbedarf, zur Kompensation des als durch die Krise (angeblich) gestohlen und verweigerten Lebensgenusses, zu einem Auf-geht's-zum-wie-gehabt-und-wie-gewohnt, koste es, was es wolle ...
Nein, die große Masse (und damit die Politiker und Politikerinnen die von deren Stimmen vor allem beruflich "leben") will kein Umsteuern, sie will keine Änderung des Lebensstandards, sie will faktisch keine Umsteuerung von Quantität hin zur Qualität, sie will keine Entschleunigung (dies wird allenfalls in der künstlichen Welt der großen Wörter als Selbsttäuschung betrieben!), sie will kein Innehalten, sie will kein gesundes Wachstum, sie will letztlich nur eines: das fortschreiben, was die kapitilistische Gewohnheit ihnen als geistige Nahrung eingetrichtert hat und weiter einimpft. Die große Masse will vor allem eines: nicht aus ihrer gewohnten Ruhe (wie selbstbetrügerisch sie auch scheinen mag, meist teppichhaft verdeckt von wie auch immer gearteten Statussymbolen, seien sie materieller oder immaterieller Art) ausbrechen müssen, möglichst wenig Eigenverantwortung, möglichst wenig Autonomie (zumindest in tatsächlicher Hinsicht!), sich möglichst wenig um das bekümmern, was Kant so eindringlich gefordert hat: sich des eigenen Verstandes zu bedienen (freilich diesen immer auch in Anstrengung entwicklen und dann weiterentwickeln) und somit Fremdbestimmung auf ein absolut notwendiges Minimum beschränken.
Die Corona-Krise wird leider wohl vor allem eines zeigen: die große Masse lernt nichts dazu, sie wird nichts in die Richtung etwas ferner einer menschlichen Hybris bewirken, Einsicht also ausgeschlossen, die meisten Menschen werden weiter schwätzen und gröhlen, dabei sich der Chance einer wirklichen und substantiellen Verbesserung begeben.
Und weil jetzt so sehr nach Nachholbedarf geschrien wird, weil man wieder nach dem poltert, was man in Verkennung des Freiheitsbegriffes als "Freiheit" versteht, wird es wohl so sein, wie Michel Houellebecq es befürchtet: "Wir werden nach der Eindämmung nicht in einer neuen Welt aufwachen; es wird die gleiche sein, nur ein wenig schlimmer."
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